Dies ist der Brief, den ich am 19.6.2002 an den Dekan der Philosophischen Fakultät II der Universität Erlangen-Nürnberg geschrieben habe. (Weggelassen ist nur ganz weniges, was sich auf Berufungsangelegenheiten bezieht.) Man sieht auch ohne Kenntnis des zugrundeliegenden Denuntiationsschreibens , mit welchen Mitteln schon damals die geschäftsschädigende Reformkritik mundtot gemacht werden sollte. Übrigens kam eine entscheidende Anregung aus dem Lexikographischen Institut in München, wo auch das Götzesche Bertelsmannwörterbuch entstanden war. Ein entsprechendes Fax liegt mir vor.
Stellungnahme zum Brief der Kollegin Pommerin-Götze an den Herrn Dekan der Philosophischen Fakultät II vom 10. Juni 1997
Sehr geehrter Herr Dekan, lieber Herr Hausmann,
besten Dank für die Überlassung der Kopien des Briefes von Frau Kollegin Pommerin-Götze sowie Ihrer Antwort. Obwohl durch Ihre klare und eindeutige Antwort die Sache inhaltlich für mich erledigt sein könnte, möchte ich im Sinne der umfassenden Information doch eine Stellungnahme dazu abgeben.
Vorausschicken möchte ich, daß mich das Vorgehen der Kollegin Pommerin-Götze außerordentlich befremdet. Zunächst fällt schon auf, daß Frau Pommerin-Götze, wie sie selbst zutreffend sagt, nicht aus einer meiner Veröffentlichungen zitiert, sondern aus einer geplanten Publikation. Wie sie an das Manuskript gelangt ist, entzieht sich meiner Kenntnis; ich habe die Vorstufen meines Buches nur wenigen Personen überlassen, die ich für vertrauenswürdig hielt. Es ist zweifellos unüblich, sich für geplante Schriften verantworten zu müssen.
Das Manuskript, in dem sie ihren Ehemann angegriffen wähnt, ist außerhalb meiner Dienstgeschäfte entstanden. Herrn Götze steht, wie jedem anderen, der Rechtsweg offen, um sich gegen vermutete Verletzungen seiner Persönlichkeitsrechte zu wehren. Frau Pommerin spricht in ihrem Brief von einer Dienstaufsichtspflichtsbeschwerde, die sie gegen mich anstrengen will; was immer das sein mag, ich sehe ihm gefaßt entgegen. Selbstverständlich sind ihre Anschuldigungen völlig grundlos. Niemals habe ich mich in irgendeiner Weise über sie geäußert, schon gar nicht despektierlich, auch nicht über ihre wie sie selbst es nennt innovative Forschung und Lehre, die ich nicht näher kenne. Ich erwähne ihren Namen ab und zu empfehlend in der Sprechstunde, wenn es darum geht, einen Irrläufer auf den Studiengang Didaktik des Deutschen als Zweitsprache hinzuweisen. (...) Über die Herren Zabel und Götze äußere ich mich oft und immer höchst kritisch, bin aber selbstverständlich nicht so töricht, dabei die Grenzen des guten Geschmacks oder gar des strafrechtlich Relevanten zu überschreiten. Allerdings warne ich meine Studenten seit langem, das von Götze verantwortete Bertelsmann-Wörterbuch zu kaufen, da es das schlechteste Wörterbuch ist, das ich kenne. Sollte diese Kritik als diffamierend empfunden werden, so liegt es nicht an mir, vgl. die beigefügte, soeben erschienene und noch recht maßvoll formulierte Rezension. Zabel hat das Werk übrigens als verlegerische Pionierleistung gefeiert. Näheres in meinem Buch Die sogenannte Rechtschreibreform ein Schildbürgerstreich, St. Goar 1997 (auch über die finanziellen Interessen der beiden Herren an der Rechtschreibreform).
Nun zur Sache selbst:
In der ersten, bei weitem am meisten verkauften Fassung der Bertelsmann-Rechtschreibung sagt der Bearbeiter Lutz Götze folgendes:
Nach der Machtergreifung der Nazis war 1933 erst einmal Schluss mit Überlegungen zur Reform der deutschen Rechtschreibung; das amtliche Regelwerk von 1901/02 wurde bis in die vierziger Jahre unverändert aufgelegt, doch ist heute bekannt, dass Nazi-Reichsminister Bernhard Rust noch 1944 eine ´Neuordnung der Rechtschreibung´ auf den Markt bringen wollte, die eine Schreibung vorsah, ´die klar, schlicht und stark ist´. Das Kriegsende verhinderte diesen Plan zum Glück.
(Bertelsmann: Die neue deutsche Rechtschreibung. Gütersloh 1996:20)
Da der uneingeweihte Leser nicht darüber aufgeklärt wird, welche Veränderungen die Rustsche Reform vorsah, weiß er auch nicht, warum es ein Glück gewesen sein soll, daß sie nicht verwirklicht wurde.
Die Nationalsozialisten haben nach 1933 zunächst aus volksdeutschen Erwägungen allen Rechtschreibreformplänen eine Absage erteilt, aber schon 1939 gab es Pläne, im Sinne der angestrebten Weltherrschaft Großdeutschland die beste und modernste Schreibung der Welt zu verschaffen. (Weiteres Material bei Jansen-Tang, Doris: Ziele und Möglichkeiten einer Reform der deutschen Orthographie. Frankfurt 1988: 81ff.) Der erste Schritt war die Einführung der Antiqua anstelle der Fraktur (1941), es folgten Pläne zur Rechtschreibreform. Fritz Rahn, der auch nach dem Krieg bekanntlich noch eine wichtige Rolle spielen sollte, schlug u.a. vor: Kleinschreibung der Substantive, Nichtbezeichnung der Vokaldehnung, konsequente Bezeichnung der Vokalkürze durch Verdoppelung des folgenden Konsonantenbuchstabens, Eindeutschung von Lehnwörtern. Alle diese Punkte sind nicht spezifisch nationalsozialistisch, sie stimmen im Gegenteil mit dem überein, was die gegenwärtig tonangebenden Reformer noch 1992 einstimmig für richtig gehalten haben, aber zu ihrem Bedauern nicht durchsetzen konnten.
Der Nazi-Reichsminister Bernhard Rust (Götze) strebte folgendes an:
In Zusammensetzungen, in denen der Mitlaut dreimal zu schreiben war, sollte er nur noch zweimal geschrieben werden (Bettuch, Schiffahrt, fettriefend, Blattrichter).
Die Silbentrennung hatte grundsätzlich nach Sprechsilben zu erfolgen (da-rüber, hi-nab, Fens-ter).
Fremdwörter sollten so weit wie möglich eingedeutscht werden (Kautsch, Miliö, Träner). Die Buchstaben th und ph sollten in Fremdwörtern durch f und t ersetzt werden, das h nach r ausfallen (Filosof, fysik, teater, tema). Um die Schreckenswirkung der neuen Schreibgebilde zu mildern, blieb der bisherige Schreibgebrauch mit ph, rh und th weiterhin zulässig.
Da die Gliederung der Rede durch Stimmführung und Pausen nicht immer mit der Gliederung durch die Satzzeichen übereinstimmt, wurde angeordnet, Abweichungen von den aufgestellten Interpunktionsregeln nicht als Fehler in der Zeichensetzung zu ahnden, wenn sie sich von der gesprochenen Sprache aus begründen ließen.
(H. G. Küppers: Orthographiereform und Öffentlichkeit. Düsseldorf 1984:111, vgl. auch Jansen-Tang a.a.O.:83)
Mit Ausnahme des marginalen ersten Punktes stimmt dieser Entwurf erstaunlich gut mit dem gegenwärtig vorliegenden Reformplan überein, noch mehr aber mit den weitergehenden Absichten, wie sie u.a. Lutz Götze verschiedentlich geäußert hat, dem die gegenwärtigen Pläne nicht weit genug gehen. Es ist auch nichts spezifisch Nationalsozialistisches daran zu erkennen, vielmehr handelt es sich um Forderungen, die den Kernbestand der weit überwiegenden Mehrheit aller Reformentwürfe seit Klopstocks Zeiten ausmachen: mehr lautgetreue als historische und/oder morphologische Schreibung. Es ist also durchaus keine Schande, sich in Übereinstimmung mit Rust bzw. dessen fachkundigen Beratern zu befinden. Götze könnte, soweit man das seinen schriftlichen und mündlichen Kommentaren zur gegenwärtig geplanten Reform entnehmen kann, alle Rustschen Punkte mit Ausnahme des ersten unterschreiben. Sein Kommentar hätte logischerweise lauten müssen: Leider wurde dieser Plan nicht verwirklicht. Er hätte eine Distanzierung von den ihm verständlicherweise nicht sympathischen Vorläufern hinzufügen können falls man das überhaupt für nötig erachten sollte, denn niemand kommt wohl so leicht auf die Idee, eine Rechtschreibreform sei moralisch oder politisch zu beanstanden, nur weil irgendwelche nationalsozialistischen Autoren ähnliche Vorstellungen entwickelt haben. (Der von Götze lobend erwähnte Dudenkonkurrent der Nachkriegszeit, Lutz Mackensen, dem die Reformer Augst und Schaeder sogar ein Buch zugeeignet haben, hat im Dritten Reich auch manches geschrieben, was man heute mit gemischten Gefühlen liest; er hat nach dem Krieg kaum noch auf seinem eigenen Gebiet, der Volkskunde, gearbeitet, sondern sich auf unverfänglichere Gegenstände wie eben das Wörterbuchmachen verlegt. Über die Qualität seiner lexikographischen Arbeit ist damit natürlich nichts gesagt.) Götzes Darstellung suggeriert, daß die Rustschen Reformpläne etwas ganz Schlimmes gewesen sein müssen. Das trifft jedoch ganz und gar nicht zu. Wer immer die Berater des Ministers Rust waren nach dem Krieg wurden die Reformbemühungen maßgeblich von Personen betrieben, die auch schon während des Dritten Reiches aktiv gewesen waren. Die Kontinuität der diversen Arbeitskreise reicht bis in die Gegenwart. Niemand hat das je beanstandet, da die Grundgedanken einer jeden Rechtschreibreform völlig unabhängig von der politischen Richtung sind wie man ja auch an der gegenwärtigen Koalition der Kultusminister sehen kann, die sich für die heute geplante Reform einsetzen.
Übrigens war es nicht das Kriegsende, das die Verwirklichung der Rustschen Pläne vereitelte, sondern die Kritik an der Weitergeltung der alten Schreibungen, die zu Verwirrung zu führen drohte (so die Darstellung bei Jansen-Tang). Auch dieses Problem (Variantenführung, wie man es heute nennt) ist uns vertraut geblieben.
In meinem Buch Die sogenannte Rechtschreibreform ein Schildbürgerstreich (erscheint im Juli 1997) habe ich als Fußnote folgendes geschrieben:
Diesen Übergang [sc. von der Fraktur zur Antiqua] haben die Nationalsozialisten durchgesetzt. In manchen Darstellungen wird diese etwas peinliche Tatsache vornehm umschrieben, so etwa in einem noch zu DDR-Zeiten erschienenen Buch: Noch bis zum Anfang der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts war die Fraktur die dominierende Schriftart. (Nerius et al. 1989: 218) Der ebenfalls sehr fortschrittliche Herausgeber der Bertelsmann-Rechtschreibung meint, das Kriegsende habe zum Glück verhindert, daß die Reformpläne des Nazi-Ministers Rust Wirklichkeit wurden. Er weiß nicht oder verschweigt, wie sehr diese Pläne mit der gegenwärtigen Reform und mit seinen eigenen weitergehenden Vorstellungen übereinstimmten.
(In der nichtautorisierten Manuskriptfassung, die Frau Pommerin-Götze vorliegt, lautet der letzte Satz: Er weiß nicht oder verschweigt, daß diese Pläne fast identisch waren mit der gegenwärtigen Reform und seinen eigenen Reformvorstellungen bei der Fremdwortschreibung sogar noch weiter entgegenkamen. Auch diese Fassung bin ich bereit zu vertreten.)
Diese Darstellung ist m. E. Wort für Wort zutreffend, sie enthält auch nichts Beleidigendes (verleumderische Gleichstellung sagt Frau Pommerin-Götze), wohl aber eine begründete Kritik an der zitierten Passage aus Götzes Werk. Daß die Kritik nicht unberechtigt war, zeigt am deutlichsten folgender Umstand: In der Neubearbeitung der Bertelsmann-Rechtschreibung vom Frühjahr 1997 ist der ganze Abschnitt über das Dritte Reich nicht mehr enthalten, Götze springt vom Kosogschen Diktat (1912) unmittelbar ins Jahr 1947. Ausdrücklich bedankt er sich bei Zabel für Hilfe bei der Neufassung dieses Kapitels.
Frau Pommerin beklagt sich darüber, daß ich ihren Mann in die Nähe nationalsozialistischer Sprachreinigungsprozesse gerückt hätte. Dies setzt sie in Anführungszeichen, als stünde es in meinem Manuskript. In Wirklichkeit steht es nicht darin und kann auch gar nicht darin stehen, weil mir seit je geläufig ist, daß die Nationalsozialisten von Sprachreinigung nichts hielten und diesbezügliche Aktivitäten des Sprachvereins nach anfänglicher Duldung kurzerhand verboten. Ich spreche vielmehr in einem ganz anderen Zusammenhang, ohne jeden Bezug auf Herrn Götze, von den Sprachreinigern des 18. Jahrhunderts und erwähne eine Episode vom Jahre 1789. Frau Pommerin wird doch nicht etwa Campe für einen Nationalsozialisten halten? Ihre Technik des eher assoziativen als philologischen Lesens läßt vieles als möglich erscheinen.
In der Hoffnung, mit diesen Mitteilungen zur weiteren, auch wissenschaftlich interessanten Aufklärung der Angelegenheit beigetragen zu haben, bin ich mit freundlichen Grüßen
Ihr Theodor Ickler
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Th. Ickler
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