Nochmal zur Historie
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
Die (zufällige?) Übereinstimmung zwischen den graphischen und konsonantischen Geminaten muß also dafür herhalten, daß das ß nicht eingeführt wurde. Als ob sich ausgerechnet das Schweizerdeutsche durch eine besondere Übereinstimmung zwischen Lautung und Schreibung auszeichnen würde.
Wie war das denn nun: Gab es das 'ß' nie in der Schweizer Orthographie, oder wurde irgendwann darauf verzichtet? Wie auch immer es verschwand -- das bedeutet ja, daß es es vorher gab: In seinem Aufsatz "Warum die Schweizer weiterhin kein Eszett schreiben" beschreibt Gallmann kurz die entsprechende Entwicklung in der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und motiviert damit die Suche nach einem wirkungsvolleren, aber auch versteckteren Grund für das eszettlose Schriftbild.
Einerseits wundert es mich, daß er in dieser Passage keinen Literaturverweis anbringt, obwohl er die jeweiligen Abschnitte mit Die einen führen ... und Andere nennen ... beginnt -- wer ist das jeweils? Und: Ist das historisch wirklich so schwer nachzuvollziehen, was der wirkliche Grund war bzw. was die entscheidenden Wendepunkte waren, so daß man es heutzutage nicht genau weiß, warum das 'ß' verschwand? Gibt es denn keine Literatur zu diesem Thema, die bereits zu einem gewissen Fazit in diesem Bereich gekommen ist und auf die ein Verweis angebracht gewesen wäre?
Andererseits scheint mir die Argumentation Gallmanns nicht mit der Historie zusammenzupassen: Wenn es für das Schweizerdeutsche wirklich so bestimmend ist, zwischen Fortes und Lenes zu unterscheiden, wie er es beschreibt, und er gleichzeitig von einem wirkungsvolleren Grund als der Antiquaschrift bzw. der Schreibmaschinentastatur spricht, kein 'ß' zu verwenden -- dann sollte es doch eigentlich nie ein 'ß' in der Schweizer Orthographie gegeben haben! Hat sich Gallmann nicht diesbezüglich mit seiner eigenen Argumentation ad absurdum geführt?
(Aber selbst wenn nicht: Der Eindruck, es handele sich hier um ein Musterbeispiel nachträglicher Rationalisierung [R. Markner], verfestigt sich bei mir durch diese Überlegungen recht deutlich...)
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Jan-Martin Wagner
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