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Krieger__historisch
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Theodor Ickler
31.03.2003 14.30
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Entlarver des Schwindels

Der Aufsatz steht übrigens auch in Hans Kriegers Sammlung: „Der Rechtschreib-Schwindel“ (Leibniz Verlag), zusammen mit vielen anderen guten Sachen, die zum Teil über 30 Jahre alt sind und kein bißchen veraltet.
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Th. Ickler

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Henning Upmeyer
31.03.2003 11.20
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Hans Krieger 1989

Auch dieser hervorragende und noch immer aktuelle Kommentar verdient es (ebenso wie Hans Kriegers aktueller Kommentar zu Eisenbergs Reform-Reformvorschlag), nicht wieder nach hinten weggeschoben zu werden, sondern durch einen direkten Link von der Willkommen-Seite aus zugänglich zu bleiben.
Ich halte Herrn Krieger für einen der hervorragendsten Schreiber und Vordenker zumindest bei diesem Thema.

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Christian Dörner
31.03.2003 10.50
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Krieger

Diesen Artikel aus der Bayerischen Staatszeitung habe ich beim Durchsuchen meiner Festplatte zufällig elektronisch gespeichert vorgefunden; ich hatte ihn vor gut 2 Jahren abgetippt und, soweit ich weiß, auch auf das Nachrichtenbrett gestellt, wo er jedoch inzwischen verschwunden ist.
Als Schüler hatte ich mir diesen Text 1989 aufgehoben. Es war damals mehr ein Zufallsfund, aber ich hielt den Artikel für so interessant, daß ich ihn nicht wegwerfen konnte, obwohl damals eigentlich keiner (zumindest nicht wir Schüler) an eine Rechtschreibreform glauben wollte.
Ich halte ihn noch immer – auch nach über 14 Jahren – für einen der besten reformkritischen Aufsätze, die vor dem Beschluß der Reform jemals verfaßt wurden.
__________________
Christian Dörner

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Christian Dörner
31.03.2003 10.40
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Krieger – historisch

Bayerische Staatszeitung (13.01.1989)

Wozu Rechtschreibung, wozu Rechtschreibreform?

Nicht die Orthographie, sondern der Unterricht bedarf der Reform


Von Hans Krieger

Wie einfach könnte doch das Klavierspiel zu erlernen sein, wenn nur die verfluchten schwarzen Tasten nicht wären, an denen die Finger so leicht ins Stolpern kommen. Käme endlich der Musikreformer, der den schwarzen Tasten den Garaus macht, so könnten ganze Heerscharen von Klavierspiel-Anfängern erleichtert aufseufzen. Auch das Notenbild würde sehr viel übersichtlicher, denn all die häßlichen Kreuze und „b“s, deren gehäuftes Auftreten auch noch für den Fortgeschrittenen zum Alptraum werden kann, würden gänzlich überflüssig. Gewiß könnte man auf dem reformierten Instrument dann keinen Mozart mehr spielen und keinen Bach und keinen Chopin, und schon beim Deutschlandlied gäbe es Schwierigkeiten. Aber muß es denn unbedingt Mozart sein? Klingt nicht „Hänschenklein“ oder „Stille Nacht“ auch ganz schön?
Nein, es ist natürlich ganz und gar unfair, die bereinigte Rechtschreibung, die das Mannheimer Institut für deutsche Sprache (genauer: seine Kommission für Rechtschreibfragen) uns andienen will, mit einem reduzierten Musikinstrument zu vergleichen. Schließlich muß ja nicht jeder Klavierspielen lernen; wem es zu mühsam ist, der kann es bleibenlassen. Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift aber wird von jedem verlangt und braucht jeder, wenn er in unserer Welt zurechtkommen will. Trotzdem bleiben Vergleichspunkte genug. In der Sprache wie auf dem Klavier gibt es unterschiedliche Anspruchsebenen. So wie nicht jeder Hobby-Pianist ein Horowitz oder Pollini zu sein braucht, so muß auch nicht jeder, der die deutsche Sprache seine Muttersprache nennt, mit den letzten Feinheiten ihres Wortschatzes, ihrer Syntax und eben auch ihrer Rechtschreibregeln sicher vertraut sein, und in beiden Fällen wäre es eine Torheit, die differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten der Meisterklasse dem streßfreien Lernen der Anfänger zu opfern.

Der Zweifel ist unausweichlich

Es ist nämlich ein grobes Vorurteil, zu glauben, die überlieferte Rechtschreibung mit ihren Mehrfachschreibungen für den gleichen Lautwert, ihrer Unterscheidung von groß geschriebenen und klein geschriebenen Wörtern und ihren Regeln für Getrennt- und Zusammenschreibung sei ein jeder Logik entbehrendes, ja geradezu unsinniges Gebilde. Gewiß enthält sie Widersprüchlichkeiten, Ungereimtheiten, Paradoxien und eine Fülle von Zweifelsfällen, an denen auch der Kundigste mitunter strauchelt. Mit all dem aber macht sie uns Sprache als etwas geschichtlich Gewordenes anschaulich und erlebbar und fordert damit das sich entwickelnde und verfeinerte Sprachgefühl heraus, sprachhistorische wie etymologische Zusammenhänge und die oft verborgene, manchmal auch sehr offensichtliche Logik aufzuspüren. Und sie führt vor Augen, daß Deutlichkeit in der Sprache eben nicht Eindeutigkeit ist, sondern Differenzierung, Nuance, immer abhängig von einem komplizierten Kontext, in dem eins das andere bedeutet und in seinem Bedeutungswert verändert. Schon darum kann es keine narrensicheren Regeln geben, die ohne Kopfzerbrechen mühelos anwendbar sind, so zuverlässig wie das große Einmaleins (dessen Erlernung ja ebenfalls vielen Schülern kaum mehr gelingt, ohne daß jemand auf die Idee käme, man müsse es durch ein weniger schwieriges ersetzen).
Dies nämlich ist das zweite Vorurteil, dem die unstillbare Reformsucht der Orthographiebastler in Mannheim und anderswo aufsitzt: zu glauben, es könne widerspruchsfreie Regeln, die keine Zweifelsfälle offenlassen, überhaupt geben. Gewiß läßt sich die Zahl der Fehlermöglichkeiten reduzieren. Ein Beispiel ist die Großschreibung der Substantive, die überall dort Schwierigkeiten bereitet, wo nicht mehr ganz sicher ist, ob das Substantivum wirklich substantivisch oder vielleicht adverbial gebraucht ist. Die Befürworter der sogenannten „gemäßigten Kleinschreibung“, welche natürlich ganz und gar nicht gemäßigt ist, sondern einen sehr radikalen Eingriff in die Schreibtradition bedeutet, umgehen diese Schwierigkeiten dadurch, daß sie vorschlagen, nur noch Eigennamen groß zu schreiben. Aber auch Eigennamen haben die Tücke, in einer Weise verwendet werden zu können, die ihren Eigennamencharakter verwischt. Wenn wir beispielsweise sagen, wir bräuchten einen neuen Duden, um derartige Streitfälle zu klären, so ist nicht eine konkrete Person gemeint, sondern ein Typus; es handelt sich also nicht im eigentlichen Sinn um einen Eigennamen. Müßte also dann geschrieben werden, wir brauchen einen neuen duden? (Nicht auf diese Frage kommt es hier an, sondern auf das Beispiel für die Unausweichlichkeit des Zweifels. Ein anderes Beispiel liefern die Mannheimer Reformer mit ihrem Vorschlag, vor s oder t grundsätzlich ein hartes p zu schreiben und das b nur noch dort zu setzen, wo es durch einen eindeutig erkennbaren etymologischen Zusammenhang gefordert wird, also „Apt“ zu schreiben statt „Abt“ (denn wer kennt noch den „Abba“, den jesuanischen Papa, auf den dieses Wort zurückgeht?), „Opst“ statt „Obst“ und „schupsen“ statt „schubsen“. Nun ist aber die Verwandtschaft von „schubsen“ mit „schieben“ und „Schub“ auch dem Laien einleuchtend; wenn sie trotzdem professionellen Sprachforschern entgehen kann, die doch gewiß über ihrem Reformvorschlag lange gegrübelt haben, so wird damit stillschweigend illustriert, daß mit jeder Beseitigung von Irrtumsmöglichkeiten neue auftauchen, daß es also wenig Sinn machen kann, die vertrauten Fehlerquellen gegen andere einzutauschen. Denn jede Reform vermehrt ja auch allein dadurch die Stolpersteine, daß sie einen Traditionsbruch setzt, der ein Umlernen verlangt und dadurch neue Unsicherheit schafft.

Hilfestellung beim Lesen

Aber nehmen wir einmal an, es gelänge wirklich, die Zahl der Fehlermöglichkeiten auf eine spürbare Weise zu verringern – auch für diesen Fall bleibt abzuwägen, welchen Preis wir für die Lernerleichterung zahlen. Solange nur das Wortbild betroffen ist, also etwa die Vokalverdoppelungen weitgehend entfallen, das „ai“ in der Regel durch „ei“ ersetzt wird und nur in wenigen Fällen erhalten bleibt (z. B. „Laib“ zur Unterscheidung von „Leib“, „Saite“ zur Abgrenzung von „Seite“ – Regelungen, die die Kommission, ihr ganzes Unternehmen desavouierend, selber für „unlogisch“ erklärt), der Gebrauch der Umlaute neu geordnet und das „ß“ in den meisten Fällen aufgegeben und durch „s“ oder „ss“ ersetzt wird, mag der Schaden in Grenzen bleiben. Man würde, setzte diese Reform sich durch, während einer langen Phase der Umgewöhnung immer wieder über das Schriftbild stolpern, müßte beim Lesen wie beim Schreiben ein gedrosseltes Tempo hinnehmen und hätte nach endlich erreichter Gewöhnung seine liebe Not mit Gedrucktem aus vorreformierter Zeit.
Schlimmer kommt es, wenn der Satzbau betroffen ist. Das wäre etwa bei der gemäßigten Kleinschreibung“ der Fall, die diesmal gottlob in das Reformpaket (noch?) nicht mit eingeschnürt wurde. Sogar Ausländer, denen die Großschreibung als eine Spezialität des Deutschen noch mehr Mühe macht als unseren Schülern, geben ja meist bereitwillig zu, daß sie gleichwohl eine beträchtliche Lesehilfe ist, das rasche Erfassen der Satzstruktur erleichtert, was wiederum mit Eigentümlichkeiten des deutschen Satzbaus zusammenhängt, der in der Wortstellung sehr viel Variationsmöglichkeiten läßt. Der Verlust diese Lesestütze könnte längerfristig die Vermeidung bestimmter Satzbauformen und damit eine stilistische Verarmung zur Folge haben.
Ähnlich steht es mit dem Wegfall des „ß“ in der Konjunktion „daß“ – ein Vorschlag, den vor langen Jahren schon einmal ein Germanistentag ausgeheckt hat und mit dem uns nun die Mannheimer Kommission abermals beglücken will. Das Argument, das gerade in diesem Zusammenhang so verführerisch klingt, das Argument nämlich, das gerade in diesem Zusammenhang besonders viele Fehler gemacht werden, mag hörenswert sein, kann eine Änderung der Schreibung jedoch nicht überzeugend begründen. Ich habe mir diesen Reformvorschlag gerade zu eigen gemacht, und wohl kaum ein Leser wird bei dem zweimaligen „das“ in jeweils völlig anderer syntaktischer Funktion nicht einen Ausflug von Verwirrung gespürt haben, eine leichte Irritation, die den Lesefluß bremste. Dies war ein Beispiel, daß die Hilfestellung, die der Leser durch die bisherige Schreibung erfährt, ihren Sinn und Wert hat und nicht ohne Einbuße an Klarheit preisgegeben werden kann.
Dagegen wenden die Mannheimer nun ein, auch das Wörtchen „der“ habe ja unterschiedliche Funktionen, sei bald Artikel, bald Relativpronomen und werde doch immer gleich geschrieben. Solche Klippschülerlogik hätte ich von Wissenschaftlern nicht erwartet. Als Verbindungswort an der Spitze eines Nebensatzes ist „der“ nämlich immer Relativpronomen; es ist also mit „das“ überhaupt nicht zu vergleichen, das ohne orthographische Differenzierung zwei Nebensatztypen von völlig unterschiedlicher Funktion einleiten würde. Und Leute, die für so fundamentale Unterschiede blind sind, sollten uns die Stradivari aus der Hand schlagen und eine Zigarrenkiste als Geige unterjubeln dürfen?

Sprachkultur ist Lesekultur

Den gleichen Mangel an Sprachgespür zeigen die Reformvorschläge für die Zeichensetzung, etwa der Vorschlag, vor einem „und“ zwischen zwei Hauptsätzen kein Komma mehr zu setzen. Gerade die Regeln der Zeichensetzung sind im Deutschen hochgradig durchdacht und differenziert und nahe lückenlos logisch begründbar; sie sind darum ein hervorragendes Mittel, die innere Logik der Satzgliederung sichtbar und beim Schreiben wie beim Lesen bewußtzumachen. Man schreibt „ein guter alter Wein“, aber „ein guter, würziger Wein“, weil die beiden Adjektive in einem Fall einander gleichgeordnet sind und im anderen nicht – eine schöne Herausforderung, in das sprachlogische Gefüge genauer hineinzuhorchen. Das Komma zwischen zwei Hauptsätzen markiert die Zäsur in einem gegliederten Satzgebilde; der Satz „Vor dem Fernseher sitzen die Mutter und die Großmutter und der Vater liest die Zeitung“ (um den Mannheimer Beispielssatz nur geringfügig abzuwandeln) erhält an der Scharnierstelle durch das fehlende Komma eine Zweideutigkeit, die sich erst beim Weiterlesen löst.
Auch hier also wird die Erleichterung beim Erlernen der Regeln durch Behinderung beim Lesen erkauft. Damit kommen wir zum Kern des ganzen Problems: zu der Frage, was eigentlich der Sinn einer Rechtschreibregelung ist. Auch da herrschen Vorurteile, die durchschaut werden müssen, wenn ein vernünftiges Gespräch über Rechtschreibung möglich sein soll. Der Sinn einer Rechtschreibregelung ist nämlich nicht, daß sie möglichst leicht zu lernen ist, und sie ist auch nicht dazu da, daß möglichst alle Leute im Sinne der Regeln völlig korrekt schreiben. Das ist weder erreichbar, noch ist es notwendig. Rechtschreibregelung ist ein Instrument der Sprachkultur, die heute in allererster Linie Lesekultur ist.
Rechtschreibregelung garantiert die Lesbarkeit von Texten und muß sich darin gerade bei Texten hochgradiger Differenziertheit bewähren; sie sichert zugleich die historische Kontinuität und die Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Sie braucht dabei durchaus nicht durchgängig starr normiert zu sein; es wäre viel mehr ein Gewinn für die Sprachkultur, für die Bewußtheit des Umgangs mit den Artikulationsmöglichkeiten der Schreibung und der Interpunktion, wenn in vielen immer wieder strittigen Zweifelsfällen die Entscheidung dem einzelnen Schreibenden anheimgegeben würde. Und sie muß auch nicht statisch sein, sondern kann durchaus hin und wieder der Entwicklung des Sprachgebrauchs behutsam angepaßt werden.
Aber eben: behutsam. Kriterium muß dabei sein, daß die Differenziertheit und Artikuliertheit des Schreibens gewahrt bleibt. Und Sprachkultur ist nicht zu messen an den Texten des Alltagsgebrauchs, sondern an ihren höchsten Gipfeln: am dichterischen Kunstwerk, am anspruchsvollen philosophischen oder essayistischen Text. So wie eben auch das Klavier nicht so gebaut wird, daß jeder Anfänger rasch etwas Hübsches klimpern kann, sondern so, daß Pollini seinen Beethoven mit feinen dynamischen Schattierungen spielen kann. In der Musik gibt es mehr Hörende als Ausübende, die Sprache erleben wir mehr lesend als schreibend. Orthographie dient dem Lesen; die Bedürfnisse der Lesesicherheit und Lesedeutlichkeit haben grundsätzlich Vorrang vor denen des unfallfreien Lernens.
Das ist weder elitärer Hochmut noch Unbarmherzigkeit gegenüber den Frustrationen und Qualen der Lernenden. Es ist keineswegs notwendig, daß jedermann die deutsche Rechtschreibung mit all ihren Raffinessen völlig beherrscht. Absolute Rechtschreibsicherheit ist kein Kriterium des Gebildetseins, sondern eine spezielle Qualifikation. Wer einen der relativ wenigen Berufe ergreift, in denen sie nötig ist, wird sie schon deshalb erwerben, weil die Berufswahl eine besondere Motivation voraussetzt. Für alle übrigen genügt eine prinzipielle Vertrautheit. Wenn man den Vergleich nicht überstrapaziert, könnte man eine Analogie zur Mathematik sehen: Rechnen können muß jeder, für Infinitesimalrechnung, Mengenlehre oder Umgang mit imaginären Zahlen hingegen genügt im Normalfall ein Verstehen des gedanklichen Ansatzes, und nur eine Minderheit muß in spezieller Ausbildung eine verläßliche Praxis erwerben; eben das Verstehen der gedanklichen Grundlagen aber kommt vor lauter praktischem Einüben in der Regel zu kurz.

Die Lust an der Sprache wecken

Es ist also völlig unsinnig, Schulkinder mit Rechtschreibdrill zu drangsalieren. Der Terror, der diesbezüglich noch vielfach in den Schulstuben herrscht, ergibt sich keineswegs zwingend aus der Materie, sondern hat andere Ursachen und ist darum durch Vereinfachung der Regeln nicht zu beseitigen. Er kommt aus falschem Ehrgeiz, Verkennung der kindlichen Psychologie, mitunter vielleicht unbewußtem Sadismus und verkehrtem methodischen Ansatz. An sich wäre das Durchschaubarmachen der Rechtschreibung eine wunderbare Gelegenheit, den Kosmos der Sprache mit all seinen widerspruchsreichen und darum so lebendigen Geheimnissen zu erkunden, und wenn das ohne Leistungsdruck geschieht, das Kind also nicht ständig in der Angst schweben muß, bei einem Fehler ertappt zu werden, vielmehr auch die Intelligenz und die Kreativität gewürdigt wird, die in einer „falschen“ Regelanwendung verborgen sein kann, dann könnte das eine lustvolle, geradezu abenteuerlich spannende Entdeckungsreise werden. Mit spielerischer Freude würde so der Sinn für die Logik der Sprache geschärft – ein Lerneffekt, den die Fürsprecher des Lateinischen sich mangels besserer Argumente vom Erwerb einer toten Sprache erhoffen, könnte so auf sinnvollere Weise mit der eigenen Muttersprache angebahnt werden. Und die Vertrautheit mit der Regel ergäbe sich quasi nebenbei – gewiß keine lückenlose (die ist auch durch Drill nicht zu erreichen), aber doch eine hinreichende. Und weitaus die meisten Kinder sind für solch ein spielerisches Erkunden der Sprache empfänglich, soweit ihnen nicht generell die Lust am Lernen oder anders gesagt die natürliche Neugier künstlich ausgetrieben worden ist.
Vor allem aber: Man lernt erfolgreicher, wenn man keine Angst vor Fehlern hat. Viele Schwierigkeiten türmen sich erst darum so einschüchternd zu unbezwingbaren Gebirgen auf, weil der Blick ständig auf die Möglichkeit des Scheiterns gerichtet ist, und werden harmlos, wenn man sie unbefangen angeht. Um ein letztes Mal den Vergleich mit dem Klavierspiel zu bemühen: Irgendwann entdeckt der Fortgeschrittene, daß die Tonart H-Dur, bei der alle fünf schwarzen Tasten gebraucht werden, besonders gut in der Hand liegt, und das scheinbar harmlose C-Dur, das ohne schwarze Tasten auskommt, vom Bewegungsablauf her die schwerste Tonart ist. Mancher moderne Pädagoge läßt darum den Anfänger mit H-Dur beginnen und sorgt damit nicht nur für die optimale Entwicklung der Spielmotorik, sondern beugt auch dem Aufbau unnötiger Ängste vor. Ganz instinktiv hat das Chopin schon vor 150 Jahren getan.
Nicht die Orthographie also, der Unterricht bedarf der Reform. Für ein Herumschustern an der Rechtschreibung entfiele damit jede zwingende Begründung. Den Reformern in Mannheim sei ihre Spielwiese gerne gegönnt; sie sind damit gut beschäftigt, beschäftigen auch andere und liefern schöne Gelegenheiten, den feuilletonistischen Verstand an ihren klug ausgedachten Torheiten zu wetzen. Sandkastenspiele aber müssen Sandkastenspiele bleiben. Dahin darf es nicht kommen, daß wir nur noch auf die Weisheit oder allenfalls die Reformträgheit der Politiker hoffen können, um vor den verheerenden Flurschäden in der Sprachkultur verschont zu bleiben, die anzurichten ausgerechnet Sprachwissenschaftler entschlossen scheinen.

Bayerische Staatszeitung (13.01.1989), Verfasser: Hans Krieger
– geändert durch Christian Dörner am 01.04.2003, 18.24 –
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Christian Dörner

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