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Wer hat eigentlich Recht/recht?
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Regina
07.05.2003 04.49
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Zweierlei Maßstäbe?

Regelwerke bestimmen in vielen Bereichen das Berufs- und das gesellschaftliche Leben. Ob das gut oder schlecht ist, darum geht es (jedenfalls mir persönlich) hier nicht. Vielleicht erklärt das die Sehnsucht der Gesellschaft, wenigstens im sprachlichen Bereich die Regelungen zu lockern („verwässern“ ist hier wohl angebrachter).

Herr Wagner, Ihre Vermutung, wonach ein Großteil meiner Existenz auf solch einem Regelwerk basiert respektive damit zusammenhängt, trifft den Kern. Ob ein Rechtsanwalt seine Tätigkeit noch ausüben könnte, wenn hie und da Gesetze „gelockert“ würden, wage ich zu bezweifeln – aber ich erahne bereits die hierauf zu erwartende Argumentation: Die Sprache ist ja nicht vergleichbar mit dem Gesetz. Schade, schade, schade!

Eine letzte Frage noch, Herr Ickler: Haben Sie Informationen darüber, wie (außer Großbritannien) andere Länder mit ihrer Muttersprache verfahren? Offensichtlich gelingt in Deutschland vieles nicht, was in anderen Ländern selbstverständlich und ohne Probleme funktioniert.

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R. Hirschfeld

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J.-M. Wagner
06.05.2003 15.05
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Re: Bedenken

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Regina
Ich stimme Ihnen im Grundsatz weitestgehend zu. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass/daß damit immer noch nicht die Frage nach einer sprachlichen Einheitlichkeit beantwortet ist: ein für alle verbindliches Regelwerk, das letztlich jenen, die mit dieser Thematik ihre Existenz bestreiten, eine Art Absicherung verschafft.
Sie meinen, daß Sie in Ihrem Beruf nur existieren können, wenn es genau ein für alle verbindliches Regelwerk gibt – eine allgemein anerkannte Zusammenstellung von Schreibweisen, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung verwendet werden, reicht nicht, weil es dann wegen der Existenz auch anderer Schreibweisen zu zu großen Unsicherheiten kommt? (Ich stelle hier bewußt ein allgemeinverbindliches Regelwerk einem deskriptiven Wörterverzeichnis gegenüber.)

R. Hirschfeld:
Ohne eine solche Form sprachlicher Absicherung entsteht sonst zwangsläufig eine Sprachenanarchie (wer in der Schule Probleme mit Mathematik hat, dem werden diese durch Aufhebung aller Gesetze ja auch nicht genommen – der Vergleich mag hinken, trifft aber den Kern der Konstellation).
Hm, man kann natürlich mit Murphy argumentieren, daß das, was prinzipiell schiefgehen kann, auch irgendwann schiefgehen wird, und wenn man auf die Grammatik als einen anderen Bereich der Sprache schaut, kann man durchaus hier und da etwas „Wildwuchs“ bzw. eine „Grauzone“ feststellen (weil mit nachfolgender Hauptsatzwortstellung; wegen dem; brauchen ohne zu etc.) – aber ist das schon anarchisch in dem Sinn zu nennen, daß der Zusammenhalt der sprachlichen Entwicklung verlorengeht? Ich denke nicht, daß, obwohl prinzipiell möglich, eine solche Entwicklung zwangsläufig eintritt, denn es gibt außerdem gegenläufige Effekte; es sind letztlich die gleichen, die über die Jahrhunderte zu einer Einheitsorthographie und einer Hochsprache geführt haben, im Kern der Wunsch und das Bestreben, von möglichst vielen Menschen verstanden zu werden.

R. Hirschfeld:
Die natürliche Entwicklung einer Sprache ist, wie ich bereits in einem vorherigen Abschnitt erläuterte, sinnvoll und gut. Dennoch bereitet mir der Gedanke an die Aufhebung eines für alle verbindlichen Regelwerks mehr als nur Magendrücken. Aber wen interessiert in diesem Zusammenhang schon mein Verdauungssystem ...
Dieses Gefühl kommt mir bekannt vor, denn der Gedanke an eine Abschaffung der Einheitsregelung war für mich zunächst eine recht hohe Hemmschwelle. Andererseits kommt man gerade wegen der Entwicklung der Sprache zu dem Schluß, daß ein linguistisch sinnvolles orthographisches Regelwerk in dem Sinne unverbindlich sein muß, daß es zwar möglichst genau die allgemein üblichen Schreibweisen systematisiert, diese jedoch nicht als Vorschrift präsentiert – dann wäre keine bzw. nur sehr geringe Entwicklung möglich.

Kurz gesagt: Die Autorität eines linguistisch sinnvollen, deskriptiven Regelwerkes (bzw. Wörterbuches) liegt darin, daß man ihm vertrauen kann – vertrauen darauf, daß seine Anwendung zu allgemein akzeptierten Schreibweisen führt bzw. daß es genau solche verzeichnet. Eine amtliche Autorisierung erübrigt sich dann von selbst, weil (im Idealfall) bereits alle von sich aus diesen Schreibungen folgen werden.

Weitere Gedanken dazu finden Sie im Strang „Der Fetisch Norm“, insbesondere auf Seite 4. (Zur Abschaffung des Dudenprivilegs im Zuge der Rechtschreibreform siehe hier.)
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Jan-Martin Wagner

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Theodor Ickler
06.05.2003 13.56
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GB

Wie funktioniert denn die Orthographie in Großbritannien? Sie ist nicht weniger einheitlich als bei uns. Es gibt dort gute Wörterbücher, aber soweit ich weiß, haben sie kein staatliches Privileg hinter sich. Der Staat hatte in der verspäteten Nation vielleicht eine gewisse Aufgabe bei der raschen Vereinheitlichung. Das ist aber über 100 Jahre her, seither weiß die gebildete Welt, wie geschrieben wird. Ich selbst habe bis zur Rechtschreibreform gar keinen Rechtschreibduden besessen und auch nicht gebraucht. Wer sich das nicht zutraut, kann ja in einem deskriptiven Wörterbuch nachschlagen. Warum sind andere Teile der deutschen Sprache ohne staatliche Regelung ausgekommen, ohne auseinanderzudriften?
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Th. Ickler

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Regina
06.05.2003 07.12
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Bedenken

Ich stimme Ihnen im Grundsatz weitestgehend zu. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass/daß damit immer noch nicht die Frage nach einer sprachlichen Einheitlichkeit beantwortet ist: ein für alle verbindliches Regelwerk, das letztlich jenen, die mit dieser Thematik ihre Existenz bestreiten, eine Art Absicherung verschafft. Ohne eine solche Form sprachlicher Absicherung entsteht sonst zwangsläufig eine Sprachenanarchie (wer in der Schule Probleme mit Mathematik hat, dem werden diese durch Aufhebung aller Gesetze ja auch nicht genommen – der Vergleich mag hinken, trifft aber den Kern der Konstellation). Die natürliche Entwicklung einer Sprache ist, wie ich bereits in einem vorherigen Abschnitt erläuterte, sinnvoll und gut. Dennoch bereitet mir der Gedanke an die Aufhebung eines für alle verbindlichen Regelwerks mehr als nur Magendrücken. Aber wen interessiert in diesem Zusammenhang schon mein Verdauungssystem ...
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R. Hirschfeld

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Theodor Ickler
06.05.2003 03.23
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Dudenprivileg

Ich bin immer dagegen gewesen, die Rechtschreibung vom Staat festlegen zu lassen (der in unserem Fall dann den Duden damit betraut hat). Ohne diesen staatlichen Charakter würde keineswegs das Chaos ausbrechen; man vergleiche die Verhältnisse in anderen Ländern, wo es zwar anerkannte Wörterbücher, aber keine staatliche Privilegierung gibt. Die Leitung der Dudenredaktion hat mir bei einem Besuch selbst versichert, man habe sich in einem goldenen Käfig gefühlt. Golden zwar (das bedarf keiner Erläuterung), aber man habe nicht immer der besten Einsicht folgen dürfen, um das Privileg nicht zu gefährden.
Anders gesagt: Die Haarspaltereien des alten Duden, die so gut wie jeden zum unwissenden Sünder machten, hätten uns gleichgültig sein können, wenn sie nicht mit Staatsautorität aufgetreten wären. Inzwischen habe ich sie ja „ausgekämmt“ und fordere im gleichen Atemzug stets die Entstaatlichung. Wir brauchen eine Dokumentation des gewachsenen Usus und dazu wohldurchdachte Empfehlungen. Das genügt vollkommen.
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Th. Ickler

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Regina
05.05.2003 20.40
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..., aber vom Menschen gezüchtet

Gute Idee! Andererseits dann doch etwas zu viel/zuviel der Ehre für diese Form von Dilettantismus.
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R. Hirschfeld

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Matthias Dräger
05.05.2003 20.11
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... passendes Wappentier?

Die Rechtschreibreform ist ein deart grandioser Unsinn, daß sie eigentlich ein passendes Wappentier verdient hat.
Ich möchte hierfür ein Tier vorschlagen, das in der deutschen Tierwelt vergleichsweise ebenso heimisch ist, wie sich die Rechtschreibreform in die deutsche Schriftkultur einfügt. Das Tier hat den weiteren Vorteil, daß es seine Farbe verändern kann, je nachdem ob man es auf einen Duden setzt (gelb), auf ein Bertelsmann-Wahrig-Wörterbuch (rot) oder gar auf das Amtliche Regelwerk (weiß, da niemand davon weiß).

Die Farbe des Wappenschildes müßte natürlich schwarz-rot-gold sein, wegen der famosen „Amtlichkeit“. Ach ja, das Tier muß ich natürlich auch noch nennen: Ich denke an ein

CHAMÄLEON

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Regina
05.05.2003 18.30
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Na hervorragend

Da kommen ja „hervorragende“ Zeiten auf mich zu. Angesichts
solcher Konstellationen überrascht es dann selbstverständlich nicht (mehr), im Rahmen diverser Kundenakquisitionsgespräche vermehrt darauf hingewiesen zu werden, wie überflüssig meine Dienstleistung in heutigen Zeiten doch ist.


Was bleibt, ist die Hoffnung, dass/daß auch in Zukunft
nicht alle so denken werden.

Noch eine Frage, Herr Ickler: Weshalb bedauern Sie nicht, dass/daß der Duden für Schulen und Ämter nicht mehr verbindlich ist (was mir bislang gänzlich verborgen blieb)?
Worin liegt der Sinn der daraus mit Sicherheit resultierenden Verwirrung im Hinblick auf einen einheitlichen Sprachgebrauch? „Sprachliche Anarchie“ kann jedenfalls nicht Sinn und Zweck dieses Klamauks sein.
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R. Hirschfeld

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Theodor Ickler
05.05.2003 14.35
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Schwierige Frage

Seit der Duden für Schulen und Ämter nicht mehr verbindlich ist (was ich nicht bedauere), hat sich eine paradoxe Lage ergeben. Verbindlich sind (angeblich! – das muß hier einfach mal angenommen werden) das amtliche Regelwerk UND die Entscheidungen der Rechtschreibkommission, die sich als Auslegungen des amtlichen Textes geben. Nun sind diese Entscheidungen aber nicht veröffentlicht, sie sind nur greifbar in ihren Auswirkungen auf die Wörterbücher von Bertelsmann und Duden, die unter ständiger exklusiver Beratung durch die Kommission laufend angepaßt (revidiert) werden. Also sind diese beiden Wörterbücher doch irgendwie verbindlich, nur daß es eben jetzt zwei sind und nicht mehr nur eines wie zu jenen Zeiten, als die Reformer daran Anstoß nahmen, daß die deutsche Rechtschreibung in den Händen eines Privatunternehmens lag. Jetzt liegt sie in den Händen eines Dutzends kaum bekannter Personen, die ebenso hinter verschlossenen Türen tagen wie seinerzeit die Dudenredaktion, jetzt aber unter ganz unklaren rechtlichen Verhältnissen.
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Th. Ickler

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Regina
05.05.2003 13.46
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Wer hat eigentlich Recht/recht?

Kürzlich stieß ich (beruflich als Lektorin tätig) auf eine Diskrepanz innerhalb der Duden-Ausgaben, die ich aus Platzgründen hier allerdings erst einmal nicht näher erläutern werde. Auf meine Anfrage bei der Duden-Hotline, die mit einer 0190-Nummer nicht gratis tätig ist, erhielt ich auf diese Feststellung die lapidare Antwort, dass/daß die Erstellung solcher Ausgaben abhängig vom Bearbeiter (!) sei. Die hier festgestellte Diskrepanz wurde wie folgt beantwortet: „Es handelt sich hierbei lediglich um Empfehlungen.“ Demnach muss/muß ich künftig offensichtlich höllisch aufpassen, ob ich die Fehler in meinen Aufträgen als solche vermerken soll, da es sich bisweilen nicht um einen Fehler, sondern schlicht um eine Empfehlung handeln könnte. Irgendwie kommt bei mir ob dieser Haltung so gar kein Optimismus auf.

Und was passiert, wenn ein Wahrig eine andere Auffassung von korrekter Orthographie hat als der Duden? Wer von beiden ist jetzt der „wahre Rechtschreibguru“?

Abschließend: Es ist und bleibt skurril. Hätte man die Unlogik, die zweifelsfrei im „alten“ Duden vorhanden war, entfernt, ohne gleichzeitig an allen Ecken und Enden neue Unlogik und Verwirrungen mit einzubauen, gäbe es vermutlich kaum Gegner dieser Reform. Letzten Endes wurde aber gleichzeitig so viel davon hinzugefügt, dass/daß man sich in einem ersten Schritt genötigt sah, diese krassen Fehler durch rasche wie auch fast schon heimlich anmutende und von vielen unbemerkten Veröffentlichung eines neuen (und größeren, basierend auf der verstärkten Duldung) Dudens zu beheben, der jetzt wiederum durch einen dritten (dessen Erscheinungstermin sich meiner Kenntnis entzieht), in dem womöglich alles wieder geändert wird, ersetzt werden soll.

Die Veränderung einer Sprache im Laufe der Jahre ist natürlich und sicher auch notwendig. Widernatürlich hingegen erscheint mir das fast schon chaotisch anmutende Rehabilitationsgebaren. Vom Fach jedenfalls waren/sind die hier aktiven Fachleute mit Sicherheit nicht.
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R. Hirschfeld

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