Re: Bedenken
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Regina
Ich stimme Ihnen im Grundsatz weitestgehend zu. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass/daß damit immer noch nicht die Frage nach einer sprachlichen Einheitlichkeit beantwortet ist: ein für alle verbindliches Regelwerk, das letztlich jenen, die mit dieser Thematik ihre Existenz bestreiten, eine Art Absicherung verschafft.
Sie meinen, daß Sie in Ihrem Beruf nur existieren können, wenn es genau ein für alle verbindliches Regelwerk gibt eine allgemein anerkannte Zusammenstellung von Schreibweisen, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung verwendet werden, reicht nicht, weil es dann wegen der Existenz auch anderer Schreibweisen zu zu großen Unsicherheiten kommt? (Ich stelle hier bewußt ein allgemeinverbindliches Regelwerk einem deskriptiven Wörterverzeichnis gegenüber.)
R. Hirschfeld:
Ohne eine solche Form sprachlicher Absicherung entsteht sonst zwangsläufig eine Sprachenanarchie (wer in der Schule Probleme mit Mathematik hat, dem werden diese durch Aufhebung aller Gesetze ja auch nicht genommen der Vergleich mag hinken, trifft aber den Kern der Konstellation). Hm, man kann natürlich mit Murphy argumentieren, daß das, was prinzipiell schiefgehen kann, auch irgendwann schiefgehen wird, und wenn man auf die Grammatik als einen anderen Bereich der Sprache schaut, kann man durchaus hier und da etwas Wildwuchs bzw. eine Grauzone feststellen (weil mit nachfolgender Hauptsatzwortstellung; wegen dem; brauchen ohne zu etc.) aber ist das schon anarchisch in dem Sinn zu nennen, daß der Zusammenhalt der sprachlichen Entwicklung verlorengeht? Ich denke nicht, daß, obwohl prinzipiell möglich, eine solche Entwicklung zwangsläufig eintritt, denn es gibt außerdem gegenläufige Effekte; es sind letztlich die gleichen, die über die Jahrhunderte zu einer Einheitsorthographie und einer Hochsprache geführt haben, im Kern der Wunsch und das Bestreben, von möglichst vielen Menschen verstanden zu werden.
R. Hirschfeld:
Die natürliche Entwicklung einer Sprache ist, wie ich bereits in einem vorherigen Abschnitt erläuterte, sinnvoll und gut. Dennoch bereitet mir der Gedanke an die Aufhebung eines für alle verbindlichen Regelwerks mehr als nur Magendrücken. Aber wen interessiert in diesem Zusammenhang schon mein Verdauungssystem ... Dieses Gefühl kommt mir bekannt vor, denn der Gedanke an eine Abschaffung der Einheitsregelung war für mich zunächst eine recht hohe Hemmschwelle. Andererseits kommt man gerade wegen der Entwicklung der Sprache zu dem Schluß, daß ein linguistisch sinnvolles orthographisches Regelwerk in dem Sinne unverbindlich sein muß, daß es zwar möglichst genau die allgemein üblichen Schreibweisen systematisiert, diese jedoch nicht als Vorschrift präsentiert dann wäre keine bzw. nur sehr geringe Entwicklung möglich.
Kurz gesagt: Die Autorität eines linguistisch sinnvollen, deskriptiven Regelwerkes (bzw. Wörterbuches) liegt darin, daß man ihm vertrauen kann vertrauen darauf, daß seine Anwendung zu allgemein akzeptierten Schreibweisen führt bzw. daß es genau solche verzeichnet. Eine amtliche Autorisierung erübrigt sich dann von selbst, weil (im Idealfall) bereits alle von sich aus diesen Schreibungen folgen werden.
Weitere Gedanken dazu finden Sie im Strang Der Fetisch Norm, insbesondere auf Seite 4. (Zur Abschaffung des Dudenprivilegs im Zuge der Rechtschreibreform siehe hier.)
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Jan-Martin Wagner
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