„Hermann Unterstöger findet die Rechtschreibreform toll “
>>Hermann Unterstöger findet die Rechtschreibreform toll
Vor Jahren hatte ich Abfälliges über Schäferhunde verfasst und mir dafür diesen nächtlichen Anruf eingehandelt: ,San Sie de Wuidsau, de wo dees gschriebm had?’ Ich bejahte und sagte mir, dass dies die schärfste Turbulenz meines Berufslebens gewesen sei.
Dann kam die Rechtschreibreform, und der Wirbel, den sie auslöste, ließ mich oft mit Wehmut an die Schäferhunde und den Anrufer zurückdenken. Dieses Mal war es ja kein kurzer, aus dem Affekt geborener Schlagabtausch, nach dem man sich verträgt und zusammen ein Bier trinkt. Dieses Mal war es ein Kulturkampf, dessen Blessuren heute noch schmerzen, und das umso mehr, als ich auf der falschen Seite gefochten und mir nicht eingestanden hatte, dass in dem [diesem] Krieg die rechtzeitige Fahnenflucht das Ehrenvollste gewesen wäre.
Die Lust, an dieser Reform nicht nur berichtend, sondern auch propagierend mitzuwirken, speiste sich aus mehreren Quellen, worunter die Eitelkeit nicht die mächtigste, wohl aber die trübste war. Es wollte mir damals so scheinen, als handle [handelte] es sich bei dem [bis daherigen] Regelwerk der Orthografie um etwas schwer Verzopftes, Verfilztes, möglicherweise sogar Versifftes, wie ein damals modischer Ausdruck lautete, und aus dieser Vermutung heraus hielt ich es für einen guten Dienst an der Sprache, ihr aus Zopf und Filz und Siff heraus ans Licht zu helfen, auf dass sie beweglicher und glänzender denn je werde.
Je länger die Gefechte dauerten, desto deutlicher zeigte sich selbst durch den Pulverdampf hindurch, dass bei mutmaßlich auf beiden Seiten gleich großer Liebe zur Sprache die Sache der Reformer auf Dauer nicht zu halten sein würde, dass die konservative Seite über den besseren Spürsinn und mit ihm über die besseren Argumente verfügte. Daran konnte auch der Umstand nichts ändern, dass unter ihren Hilfstruppen Leute dienten, deren Deutsch von einer Art war, dass man sich fragte, was sie in diesem Krieg verloren hatten.
Die Reform ging aus wie das Hornberger Schießen, nur dass die Flurschäden gewaltig waren. Als noch gefochten wurde, schrieb ein Germanist einmal ins Internet: 'Lange nichts gelesen von Unterstöger, und das war auch gut so.' [Aha, Hermann Unterstöger liest unser Forum! (siehe unten)] Was habe ich mich seinerzeit geärgert! Dabei hatte der Mann ja so recht.<<
SZ vom 17.11.2012
http://www.sueddeutsche.de/f5C38h/970918/Hermann-Unterstoeger-findet-die-Rechtschreibreform-toll.html
(Hervorhebungen und Anmerkungen durch mich, D.L.)
____________
Von Piloten und Autofahrern verlangt man (aus gutem Grunde, wie ich finde) Führerschein/Fahrerlaubnis/Fluglizenz/Sehtest/Gesundheitszeugnis usw.
Für Zeitungsschreiber und Politiker könnte ich mir gut vorstellen, daß Mindestanforderungen in Logik und Denkvermögen gefordert werden sollten. Außerdem könnte man für Politiker und Zeitungsschreiber ein Zentralregister unterhalten – muß ja nicht in Flensburg sein, aber könnte –, in welchem alle von ihnen verursachten Kollateral- und Zentralsubstanzschäden aufgelistet werden und nach und nach vermerkt wird, ob jene Täter für die angerichteten Schäden schon gehaftet haben. Oder jedenfalls Privatinsolvenz angemeldet und, wenn auch reichlich verspätet, tätige oder mildtätige Reue gezeigt oder zumindest geheuchelt haben.
Würde man all jene verantwortungsschwachen Nomenklatura-Karrieristen (Herr Unterstöger möge selbst entscheiden, ob er mit in diese Menge gezählt sein will) und Dummbatzen zur Haftung und Kasse bitten, könnte man die Rechtschreibung wieder erstklassig auf die Beine stellen – jedenfalls einfacher als die Unverstrahltheit unseres Planeten, denn selbst wenn wir alle E.on-, RWE-, Vattenfall- und Siemensaktionäre und Mitmach-Poliziste, -Politiker und -Kraftwerksleute auf Hartz IV hinunterpfänden, genügen die dann verfügbaren Milliarden noch lange nicht, um den bisher schon angerichteten Schaden wieder auf ein erträgliches Maß (was immer dieses sein mag) herabzumildern: den ekligen teuflischen Inhalt der Castoren für Millionen Jahre eingedämmt zu halten.
__________________
Detlef Lindenthal
|