MOZ Märkische Oderzeitung
Montag, 02. August 2004 (18:00)
Was hat der Staat mit der Sprachregelung zu tun?
Berlin (MOZ) Der Feuilleton-Krieg um die Rechtschreibreform wird aus unterschiedlichen Lagern befeuert. Da sind die Verfechter der alten Wortkunst, Schriftsteller wie Hans Magnus Enzensberger, der sich nicht nur den Abdruck seiner Texte nach den neuen Regeln verbittet, sondern jetzt sogar zum Ungehorsam gegen sie aufruft. Da sind Interessenvertreter jeglicher Couleur: die Schulbuchverlage, die Dudenredaktion, die eigene Experten ins Feld führen. Und seit neuestem schießt auch die Politik und zwar auf höchster Ebene aus vollen Rohren.
Mehrere CDU-Ministerpräsidenten forderten die Rücknahme der Reform, andere verlangen deutliche Nachbesserungen, bevor sie im August 2005 in Kraft treten soll, wie es die Kultusministerkonferenz (KMK) Anfang Juni beschlossen hat. Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat jetzt bekundet, er hoffe, die Ministerpräsidenten mögen die Rechtschreibreform vom Zugriff der KMK befreien und zur Chefsache machen. Das wirft die Frage auf, wie viel staatlichen Zugriff verträgt eigentlich die Sprache? Zumal sich die Rolle der gefürchteten Sprachschützer im Laufe der Jahrhunderte auch gewandelt hat, wie Ludwig Eichinger vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim bestätigt.
Wenn eine Sprache beginnt, sich als Standardsprache zu entwickeln, wie etwa das Deutsche im 17./18. Jahrhundert, dann muss man auf Entartungserscheinungen achten oder auch darauf, dass Überfremdungen nicht zu heftig ausfallen. Wenn sich aber eine Standardsprache wie das Deutsche stabilisiert hat, dann gerät die Sprachschützerei häufig etwas übereifrig.
Wenn Luthers Bibelübersetzung ein großer Schritt in Richtung gemeinsame Sprache war, so schrieb und sprach jeder, selbst auf dem Höhepunkt der deutschen Klassik Ende des 18. Jahrhunderts, wie sein Vorgesetzter das wollte. Erst die bismarcksche Reichseinigung, die auch nach einer einheitlichen Schreibweise verlangte, führte zu Sprachregelungen von oben unter der Ägide des heute noch so berühmten Konrad Duden. Das hat damit zu tun, dass es mit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur die Bildungsbürger waren, die lesen und schreiben können, sondern dass breite Schichten der Bevölkerung zunächst zur Lesefähigkeit und dann auch zur Schreibfähigkeit gebracht werden sollten. Dafür hat man gewisse Regelungen gebraucht, die die Variationsmöglichkeiten eindämmen.
Nachdrücklich weist Eichinger auf die Breite der Variation hin, weil auch die alte Rechtschreibung niemand zu 100 Prozent befolgt hat. Was ist aber der Unterschied zwischen Sprachpflegern, die die Eindämmung von unerwünschten Auswüchsen ahnden, und den Sprachschützern, die dabei gern mal ein bisschen zu weit gehen?
Das letzte Reformwerk war das von Reformlinguisten in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, mit deutlichen Parallelen übrigens zu den Vorschlägen dieser Tage. Da ging es unter dem Begriff Eindeutschung auch darum, th oder ph wegzulassen und Groß- und Kleinschreibung zu vereinfachen. Diese Reform ist gescheitert, weil sie kriegsunwichtig war. Wo aber liegen die Grenzen des Eingriffs von staatlicher Seite? Sicherlich dort, wo die Gemeinschaft der Schreibenden etwas nicht toleriert, wobei die Schwierigkeit ist, diese Gemeinschaft zu erkennen. Man muss heute den Sprach- und den Schreibgebrauch beobachten, um zu sehen, in welche Richtung er geht. In dieser Hinsicht kann man dann auch sprachpflegend wirken, meint Eichinger. Gänzlich gegen den Sprachgebrauch und dessen Entwicklungen zu regeln, ist letztlich chancenlos.
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen ist der Ansicht, dass die Reform total überflüssig sei. Man hat während der Reform Diskussionen bemerkt, dass man einen Rest ungeregelter Dinge beibehalten sollte, und man hat begriffen, dass die alte Rechtschreibung so schlecht nicht war. Dennoch, so Eichinger, gibt es im Deutschen kritische Punkte, die man so oder so regeln kann. So sei bis zur Rechtschreibreform nicht geregelt gewesen, wann man getrennt, zusammen und groß oder klein schreibt. Es blieb den einzelnen Wörtern überlassen. Was immer jetzt auch mit der Reform passiert, sie sollte jetzt wie geplant durchgesetzt werden. Es ist ja nicht das Ende einer Entwicklung, sondern eine Art Wegweisung.
Eichinger sieht das also nicht ganz so hart. Und doch wird ein Hauptziel der Reform, die Regeln einfacher zu machen, nicht eingelöst. Es ist die Frage, was man für einfacher hält. Zum Beispiel die s-Schreibung, die jetzt konsequent mit kurzem und langem Vokal koordiniert ist. Darüber wird wenig diskutiert, weil das den Leuten offenbar keine Schwierigkeiten bereitet. Ein größeres Problem sei die Getrennt-/Zusammenschreibung und die Groß-/Kleinschreibung. Das habe mit dem vorherigen Schreibgebrauch zu tun.
Brauchen wir also eine Rücknahme oder brauchen wir eine Reform der Reform? Oder soll alles so bleiben, wie es jetzt ist? Ich denke, dass eine Reform der Reform im Prinzip auch vorgesehen war. Es war geplant, dass sie nach einer Erprobungsphase eingeführt wird und dass man danach beobachtet und dann auch reformiert, was sich auf Dauer nicht bewährt hat, urteilt Ludwig Eichinger.
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