Dass die Politik damit betraut wurde, haben wir Kultusminister uns nicht ausgesucht.
Volksstimme.de, Magdeburg, 29.8.2006
Kultusminister Olbertz über den Rechtschreibfrieden, Fehler der Reform und eine überfl üssige Übergangszeit
Kinder wollen eine klare Ansage
Teilweise zurück zur alten Rechtschreibung: Der Duden empfiehlt Portemonnaie.
Foto: Nico Binde
Am Donnerstag beginnt in Sachsen-Anhalt das neue Schuljahr. Dann wird die korrigierte Rechtschreibreform, verbunden mit einer einjährigen Übergangsfrist, verbindlich.
Schüler, Lehrer und Ämter sollen die Regeln anwenden, die die 16 Kultusminister im März gebilligt haben. Versöhnt mit der Reform zeigte sich Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz im Gespräch mit Volksstimme-Mitarbeiter Nico Binde.
Volksstimme : Herr Minister, nach dem Wirrwarr der letzten Jahre, wie schreiben Sie Delfin ?
Jan-Hendrik Olbertz : Weiterhin Delphin.
Volksstimme : Ihre Schreibweise ist erlaubt, aber der Duden empfiehlt die f-Variante.
Olbertz : Wenn es zwei erlaubte Varianten gibt, ist es kein Drama, wenn es unterschiedlich geschrieben wird. Ich bin in Bezug auf die Rechtschreibung kein Fundamentalist, sondern eher Ästhet. Wie schreiben Sie denn Fotografi e ?
Volksstimme : Mittlerweile mit f.
Olbertz : Sehen Sie, bei Delphin bevorzuge ich die konservative Schreibweise, merke aber auch, dass ich im Lauf der Zeit Fotografie nicht mehr merkwürdig finde. Das F setzt sich durch. Wenn wir modern sein wollen, müssen wir uns ein bisschen öffnen. Viele Dinge werden leise akkreditiert. Das ist in einer lebendigen Sprache genau das, was wir uns wünschen müssen.
Volksstimme : Was bedeutet das für Lehrer, die im neuen Schuljahr verbindliche Regeln anwenden müssen ?
Olbertz : Sie müssen die Schüler auf die jetzt verbindliche Rechtschreibung einstellen. In der Sache sofort, in der Anrechnung der Fehler in einem Jahr. Hauptänderung ist dabei die Getrennt- und Zusammenschreibung, die wir nochmals korrigiert haben. Das ist nicht so kompliziert, wie es am Anfang schien. Entscheidend sind ohnehin nicht die Sonderfälle, sondern die Grundregeln.
Volksstimme : Der Duden gibt in seiner neuesten Ausgabe Empfehlungen. Können sich die Schüler und Lehrer danach richten ?
Olbertz : Entscheidend ist das Regelwerk des Instituts für deutsche Sprache. Auch der Duden ist ein geeignetes Werk, um sich die neuen Regeln anzueignen. Er stützt sich auf den neuen Erlass der Kultusministerkonferenz und spricht dort, wo mehrere Schreibweisen möglich sind, Empfehlungen aus. Wenn das zur Einheitlichkeit beiträgt, kann man ein solches Vorgehen nur begrüßen. Und ganz ehrlich : Ich fi nde das gut. Der Duden ist nicht auf Konfrontationskurs.
Volksstimme : Dennoch fehlt bei einigen Empfehlungen die Differenzierung, etwa bei sitzenbleiben ( in der Schule ) und sitzen bleiben ( auf dem Stuhl ).
Olbertz : Viele Wörter sind in beiden Varianten korrekt, es entscheidet allein der Kontext, welche Schreibweise die richtige ist. Das ist am Wortakzent zu erkennen. Das heißt, es ergibt sich immer aus dem Sinnzusammenhang. Die neue Regelung bezüglich der Getrennt- und Zusammenschreibung wird Kinder sogar veranlassen, über Sinnzusammenhänge intensiver nachzudenken.
Volksstimme : Bedeutet das mehr Freiraum für die Lehrer ?
Olbertz : Auf jeden Fall. Sie müssen vor allem erklären : Warum schreiben wir ein Wort in einem Fall zusammen und in einem anderen auseinander. Wichtig ist, dass die Kinder verstehen : Eine Schreibweise ist richtig, wenn der Sinn stimmt und nicht unbedingt, weil eine formale Norm erfüllt wird. Rechtschreibung muss immer auch plausibel sein.
Volksstimme : Gibt es deshalb eine neuerliche Übergangszeit von einem Jahr ?
Olbertz : Wir haben eine einjährige Karenzzeit vereinbart, in der die neue Rechtschreibung gilt, aber Fehler auf die Bewertung noch nicht angerechnet werden. Die neue Rechtschreibung ist seit dem 1. August rechtsgültig, aber in Schulen werden beide Schreibweisen noch ein Jahr toleriert. Das gibt den Schülerinnen und Schülern ausreichend Zeit, sich an die neuen Schreibweisen zu gewöhnen. Ob diese Zeit wirklich nötig ist, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, die Kinder wollen klare Ansagen statt eines längeren Nebeneinanders unterschiedlicher Schreibweisen. Aber das ist kein existenzieller Streitpunkt ; deshalb trage ich diese Übergangszeit mit.
Volksstimme : Wie wirkt das Kultusministerium auf die Schulen ein, gibt es entsprechend vorbereitende Erlässe ?
Olbertz : Es gibt lediglich einen Erlass, der nach dem verabredeten Mustererlass der Kultusministerkonferenz verfasst wurde und direkt nach der Entscheidung der Ministerpräsidenten an alle Schulen in Sachsen-Anhalt gegangen ist. Wir können die weitere Umsetzung jetzt beruhigt den Lehrerinnen und Lehrern insbesondere im Fach Deutsch überlassen.
Volksstimme : Meinen Sie, die Rechtschreibreform ist noch ein Thema an den Schulen ?
Olbertz : Nein. Ich glaube, dieses Thema ist jetzt beendet. Die meisten Lehrer sind über das Ende der mühsamen Diskussionen froh und erleichtert, dass viele Dinge plausibler geworden sind. Ein Beispiel sind die Dreifachkonsonanten, etwa bei " Schifffahrt ". Da es sich um ein Kompositum, also zwei unabhängige Wörter, handelt, die aneinandergereiht sind, ist diese Schreibweise viel logischer. Alles in allem bin ich versöhnt mit der neuen Rechtschreibung, obwohl ich ursprünglich ein Gegner der Reform war.
Volksstimme : Sie waren also Gegner der Reform, obwohl Sie sie gebilligt haben ?
Olbertz : Ich bin ja sozusagen unfreiwilliger Quereinsteiger in die ganze Diskussion gewesen. Aber der größte Fehler wäre gewesen, das Rad auf halbem Wege einfach ganz zurück zu drehen, wie einige Fundamentalkritiker dies wollten. Immerhin gibt es jetzt einen sinnvollen Fortschritt in unserer Rechtschreibung – denken Sie an mein Beispiel mit den Dreifachkonsonanten. Insofern ist die neue Rechtschreibung mit den vorgenommenen Korrekturen auch besser lehrbar geworden.
Volksstimme : Trotzdem stiften Duden-Empfehlungen wie einerseits " Kommuniqué ", andererseits " Pappmaschee " neuerliche Verwirrung, oder ?
Olbertz : Ich persönlich bin für philologische Klarheit. Die Herkunft eines Wortes muss weiterhin erkennbar sein. " Pappmaschee " ist im Grunde Lautschrift. Und die ist problematisch, insbesondere wenn ein Dialekt gesprochen wird.
Volksstimme : Inwieweit kann anhand solcher Beispiele eine Einheitlichkeit zurückkehren ?
Olbertz : Ich bin schon immer ein Kritiker einer Normierung von oben gewesen. Unsere Muttersprache ist ein lebendiges Gebilde, das sich in Bewegung befindet. Früher wurden Veränderungen leise und unspektakulär durch den Duden angepasst. Dass die Politik damit betraut wurde, haben wir Kultusminister uns nicht ausgesucht. Wir haben den Auftrag dazu bekommen. Wir alle sind in diesem Prozess klüger geworden.
Volksstimme : Also sind Veränderungen auch künftig möglich ?
Olbertz : In diesem großen Stil auf keinen Fall. Ich bin mir ganz sicher, dass das die letzte Runde war.
Volksstimme : Was macht Sie so sicher ?
Olbertz : Weil alle Beteiligten aus dem Desaster gelernt haben und wir nicht noch einmal versuchen sollten, auf so hochkomplexem Weg die Muttersprache zu regulieren. Eigentlich war das ganze Unterfangen nicht sinnvoll. Sicher wäre eine leise Anpassung sinnvoller gewesen. Die große Staatsaktion war der eigentliche Fehler. Jetzt, so glaube ich, kehrt Ruhe ein.
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