Die Einheitlichkeit der Rechtschreibung
Nach ihrem Befreiungsschlag vom 30.3.06, mit dem die Ministerpräsidenten den Versuch ihrer Kultusminister, den übelsten Reformballast abzuwerfen, absegneten, um den Rest der „Reform“ zu retten, befinden sich die darein verwickelten Politiker nur scheinbar in einer besseren Position.
In Wirklichkeit mußten sie nach zehn Jahren verbissener Indoktrination durch Geiselnahme der Schüler und nach zehn Jahren verstockter Leugnung ihr völliges Scheitern eingestehen, wenn sie es auch im geringstmöglichen Maße taten.
Ich habe das Schulbuch „Verstehen und Gestalten“ C7 vor Augen. Da steht auf Seite 207:
„Da tat es den Tieren sehr Leid das/dass ihr König so krank war…“
Bekanntlich kann ein Substantiv „Leid“ nicht durch „sehr“ erweitert werden, ebensowenig wie andere Substantive ähnlicher adjektivischer Abkunft, also auch nicht: „Es tat ihm sehr Gut“.
Zehn Jahre lang hat eine Bande von kulturvergessenen Kultusministern, ideologischen Umfunktionierern und froschperspektivistischen Klippschuldidaktikern den Schülern solchen Schwachsinn eintrichtern lassen. Die Schullektüren, aber auch die verstümmelten Klassiker, ebenso wie die Erzeugnisse abhängiger und angeblich unabhängiger Medien wurden zehn Jahre lang vollgeferkelt mit solchen grammatischen Greueln – darunter auch, daß Seefahrt „Not tut“ und, wie zum Hohn, daß die Kinder „die Leid Tragenden“ seien.
Mit dem Beschluß der Ministerpräsidenten vom 30.3.2006 sind solche Teile des „Regelwerks“ zur Hölle gefahren. Die Folgen werden aber als Investruinen noch lange die deutsche literarische Landschaft verschandeln – als Zeugnisse des Idiotenwerks „Rechtschreibreform“. Die meisten der Verantwortlichen verzehren inzwischen in Ruhe ihre nicht geringe, aber unverdiente Pension.
Allein die schleswig-holsteinische Ministerin Erdsiek-Rave, die dafür gesorgt hat, daß nach dem antidemokratischen Annullierungsbeschluß des Volksentscheids durch das Kieler Parlament die Kinder des Landes wieder dem staatlich organisierten Schwachsinn unterworfen wurden, erfreut sich noch ihres Amtes, obwohl das Volk der Regierung jede Vollmacht entzogen hatte, die neue Rechtschreibung einzuführen. Ein solches nach acht Jahren aller Welt sichtbar gewordenes Versagen würde in jedem anderen politischen Ressort ein gefundenes Fressen für die Opposition sein und mit einer lautstarken Forderung nach Rücktritt des Amtsinhabers verbunden werden.
Daß dies in Kiel nicht zu hören ist, liegt daran, daß alle Parteien in das schmutzige Geschäft um die Annullierung des Volksentscheids verwickelt sind. Wenn sich die Parteien gegen das Volk einig sind, versagt die Demokratie. Die „plebiszititären Elemente“ in der Verfassung hätten das ausgleichen sollen. Von den Parteien waren aber Fallen eingebaut worden, um die Macht doch nicht von denen ausgehen zu lassen, von denen sie nach dem Grundgesetz ausgehen sollte.
Die Politiker wären aber nicht solche, wenn sie nicht versuchten, das grandiose Scheitern des Reformprojektes zu vertuschen. Dazu dient, daß sie die völlig unnütze neue ss-Schreibung, die bis zu 22 Prozent mehr Fehler verursacht, weiterhin als allein richtig an den Schulen lehren lassen wollen. Und das, obwohl damit eine 600jährige Tradition des ß-Gebrauchs abgewürgt wird, dadurch alle überlieferte bedeutende und weniger bedeutende Literatur befremdlich auf die folgenden Generationen wirkt und ein kostspieliger Anpassungszwang entsteht, der zu weiteren dreisten Eingriffen verführt.
Von einer Einheit der deutschen Rechtschreibung kann aber längst nicht gesprochen werden, wenn nur Schulen und Medien annähernd gleich schreiben. Es muß die literarische Gegenwart und Vergangenheit als Teil dieser Einheit einbezogen sein. Diese Einheit hat bis 1996 zur allgemeinen und großen Zufriedenheit bestanden, bevor sie von den politischen Kulturbanausen zerstört wurde und die angeblich volksbeglückende Volksverdummung amtlich vorgeschrieben wurde – am deutlichsten sichtbar darin, daß auch die blödsinnigen Kindergarten-Volksetümologien des Prof. Augst weiterhin als allein richtig gelten sollen.
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Sigmar Salzburg
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