Reiner Kunze
Literatur in Köthen
Ein junggebliebener Löwe
Der Lyriker Reiner Kunze begeisterte sein Publikum im Anna-Magdalena-Bach-Saal bei einer Veranstaltung für Eltern, die Kindern noch vorlesen...
Reiner Kunze kann für sich in Anspruch nehmen, nie als bequem gegolten zu haben. Zu DDR-Zeiten nicht, als er sich zunehmend vom SED-Regime zu distanzieren begann, was letztlich zu Publikationsverbot und Ausreise führte, und heute nicht, wenn Kunze streitbar gegen Rechtschreibreform, Sprachschluderei und Werteverfall zu Felde zieht. Was er mit feiner Ironie und mit alttestamentarischem Anklang auch in Köthen tat, wo er eine Lanze dafür brach, Kindern vorzulesen, sie auf diesem Wege an Literatur heranzuführen, mit Sprache, Poesie, Phantasie vertraut zu machen...
Wie das aussehen kann, das Schreiben und das Vorlesen, wenn man es denn kann, das demonstrierte Reiner Kunze, Ehrenmitglied der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft, der Veranstalterin des Nachmittags, zur Freude des Publikums auf beeindruckende und familiär-persönliche Weise. Er las nicht nur aus dem Buch „Der Löwe Leopold“ und aus den Gedichten „Was macht die Biene auf dem Meer?“ Poetisches für Kinder wie für Erwachsene, sondern er ließ nach- und miterleben, wie der „Löwe Leopold“ entstand. In der Zeit der Niederschlagung des Prager Frühling, in einem Bauernhaus bei Klingenthal, wo der stasiüberwachte Dichter Kunze sich versteckte und dort die Zeit fand, ein Buch für Kinder zu schreiben, das er „Marcela, diesem Plagegeist“ widmete. Dazu gehörten Geschichten von Stempeln, Geschichten von eingestampften 15.000 „Löwe Leopold“-Exemplaren, von einem Löwen in der Brottüte, vom Drachen Jakob. Genau betrachtet, Geschichten von der Tragik des Lebens, die man sich heute anhören konnte, ohne traurig zu werden. Und eine besondere Leseempfehlung.
mz-web.de 30.3.2014
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