Einem Chinesen (?) geht die deutsche „Reform“ noch nicht weit genug
In Jakob Augsteins Blättchen „Freitag“ (Internet-Auftritt) polemisiert mit elf Jahren Verspätung ein h.yuren gegen Horst Haider Munskes Buch „Lob der Rechtschreibung“ – und weil ihm die deutsche Rechtschreibung immer noch zu wenig reformiert ist, in „fortschrittlicher“ Kleinschreibung:
h.yuren
05.02.2016 | 20:13 9
ein bayer und die rechtschreibung.
tradition über alles. der emeritierte professor der sprachwissenschaft und mundartkunde aus bayern hat vor elf jahren ein büchlein mit lauter lob für die bestehende schreibe vorgelegt.
Ein Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied h.yuren
wie man weiß, ist die welt in bayern noch in ordnung. veränderung gilt dort als frevel. das bestehende ist das zu bewahrende. in dem südfreistaat werden manche lehrstühle nur mit zustimmung der rkk besetzt laut konkordat (zwischen hitler und kurie). und weil bayern nun mal so schön in ordnung ist, brauchts nimmer keine rechtschreibreform nicht.
prof. munske kann es gar nicht oft genug wiederholen, dass die schrift so herrlich konservativ ist. reaktionär findet er daran gar nichts. auch nicht in britannien, wo die schreibe seit einem halben jahrtausend stillsteht.[...]
horst haider munske, lob der rechtschreibung, münchen 2005
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
freitag.de 5.2.2016
[Unter den Lesern meldet sich auch ein prominenter Kritiker:]
Theodor Ickler 08.02.2016 | 07:31
Da ich den vermeintlichen Bayern Horst H. Munske seit 50 Jahren kenne und selbst mehrere Bücher über die Rechtschreibreform veröffentlicht habe, mußte ich doch sehr lachen. Einem der besten Kenner der deutschen Orthographie den Sachverstand abzusprechen ist schon recht lustig, aber Kleinbuchstaben und phonetische Schreibweise, wie im Mittelalter üblich, für modern zu halten ist wirklich sehr originell! Mehr will ich dazu nicht sagen, man kann sich ja leicht kundig machen.
h.yuren 08.02.2016 | 09:43
@Theodor Ickler
Einem der besten Kenner der deutschen Orthographie den Sachverstand abzusprechen ist schon recht lustig,
nu, ich habs mir verkniffen, von nachtreten zu sprechen nach dem erfolgreichen scheitern der reform.
und was den sachverstand betrifft, hat der autor ja indertat so einige sachkenntnis bewiesen. aber dass er die schreibe gern von der gesprochenen sprache emanzipieren möchte, verrät doch ein merkwürdiges verständnis von sprache und schrift. vielleicht amüsiert es Sie ja auch, dass die niederländer und die finnen das phonetische prinzip des konrad duden etwas ernster nehmen als teutsche schriftgelehrte.
h.yuren 08.02.2016 | 09:52
@h.yuren
nachtrag: da Sie von Mittelalter schreiben, möchte ich daran erinnern, dass der untergangsphilosoph oswald spengler hier einmal ausnahmsweise treffsicher feststellte, die bezeichnung sei ein verlegenheitsbeweis. mein verbesserungsvorschlag: die ära von rom 2
Theodor Ickler 08.02.2016 | 11:53
Es kommt hier nicht darauf an, wie Sie die Zeit nennen wollen, in der man mittelhochdeutsch sprach und schrieb. Haben Sie einmal versucht, einen wirklich streng phonetisch geschriebenen Text zu lesen?
Die deutsche Orthographie (die ein ausländischer Germanist mal den Mercedes unter den Orthographien nannte) führt zu besonders leserfreundlichen Texten. Die Gründe hat Munske oft dargestellt (ich übrigens auch). Die Reform ist daran gescheitert, daß die Reformer ganz darauf fixiert waren, daß Schüler keine Fehler machen. Das ist die Sichtweise von Dorfschullehrern nicht von Konrad Duden selbst, wenn Sie sich mal die Mühe machen, sein Büchlein über die Zukunftsorthographie zu lesen. Duden nahm damals Stellung zum Streit zwischen der historischen Schule (Jacob Grimm u.a.) und den phonographischen, eher an der Schule orientierten Germanisten und Pädagogen. Der gemäßigte Kompromiß wurde nicht zuletzt von unserem Erlangen aus befördert, also zwar aus Franken, aber nach Ihrer Bildungsgeographie eben doch rückständiges Bayern.
Die Emanzipation der Schrift vom Gesprochenen von sämtlichen Fachleuten als Fortschritt gefeiert dient u. a. dazu, die Mundarten zu neutralisieren. Man kann also in Bremen dieselben Zeitungen lesen wie in München haben Sie daran mal gedacht? Und auch daran, daß man wegen des Stammprinzips nicht erst über den Wortlaut, sondern ohne diesen Umweg zum Sinn durchstößt? Das ist in der Tat auch ein Vorzug der chinesischen Schrift, die aber einen anderen, wohlbekannten Nachteil hat, den Munske und überhaupt jeder Sachkundige anerkennt.
Übrigens bin ich auch ein Gegner der Konkordatslehrstühle , obwohl die Germanistik natürlich nicht davon betroffen war, aber vielleicht beruhigt es Sie, daß die Kirche jetzt praktisch darauf verzichtet.
Da ich ebenfalls (wie Munske) kein Bayer bin, kann ich wohl ohne Lokalpatriotismus feststellen, daß von Laptop und Lederhose hierzulande hauptsächlich der Laptop geblieben ist. Bayern kann heute, vorsichtig gesagt, überall mithalten.
[Damit ist die Diskussion aber nicht zuende, denn Kleinschreibgläubige geben nicht so schnell auf.]
NB: Ich sehe eben, daß Th. Ickler „yuren“ bei FDS schon am 6.2.16 erwähnt hat.
„... der Mann ist so selbstbewußt wie ahnungslos.“
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