Ungereimtes
In der Partikelliste nicht, aber im Wörterverzeichnis. Ich habe den Fall im Kritischen Kommentar (2. Aufl., S. 55 ff.) ausführlich diskutiert und setze die Stelle mal hierher (ohne aufwendige Formatierung, auch die Unterstreichungen muß man sich hinzudenken):
§ 34
Partikeln, Adjektive oder Substantive können mit Verben trennbare Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie nur im Infinitiv, im Partizip I und im Partizip II sowie im Nebensatz bei Endstellung des Verbs zusammen.
Zu Verbindungen mit dem Verb sein siehe § 35.
Dies betrifft
(1) Zusammensetzungen aus Partikel + Verb mit den folgenden ersten Bestandteilen:
ab- (Beispiele: abändern, abbauen, abbeißen, abbestellen, abbiegen), an-, auf-, aus-, bei-, beisammen-, da-, dabei-, dafür-, dagegen-, daher-, dahin-, daneben-, dar-, daran-/dran-, darein-/drein-, darnieder-/danieder-, darum-, davon-, dawider-, dazu-, dazwischen-, drauf-, drauflos-, drin-, durch-, ein-, einher-, empor-, entgegen-, entlang-, entzwei-, fort-, gegen-, gegenüber-, her-, herab-, heran-, herauf-, heraus-, herbei-, herein-, hernieder-, herüber-, herum-, herunter-, hervor-, herzu-, hin-, hinab-, hinan-, hinauf-, hinaus-, hindurch-, hinein-, hintan-, hintenüber-, hinterher-, hinüber-, hinunter-, hinweg-, hinzu-, inne-, los-, mit-, nach-, nieder-, über-, überein-, um-, umher-, umhin-, unter-, vor-, voran-, vorauf-, voraus-, vorbei-, vorher, vorüber-, vorweg-, weg-, weiter-, wider-, wieder-, zu-, zurecht-, zurück-, zusammen-, zuvor-, zuwider-, zwischen-
Auch: auf- und abspringen, ein- und ausführen, hin- und hergehen usw.
E1: Aber als Wortgruppe: dabei (bei der genannten Tätigkeit) sitzen, daher (aus dem genannten Grund) kommen, wieder (erneut, nochmals) gewinnen, zusammen (gemeinsam) spielen usw.
Kommentar:
Die Unterstreichungen sind von mir hinzugefügt und zeigen an, welche Partikeln gegenüber der Fassung von 1989 hinzugekommen sind. Damals sah die Liste so aus:
ab, abseits-, abwärts-, an-, auf-, aufwärts-, aus-, bei-, beisammen-, da-, dabei-, dafür-, dagegen-, daher-, dahin-, dahinter-, daneben-, dar-, daran-, darauflos-/drauflos-, darüber-, darunter-/drunter-, davon-, davor-, dazu-, durch-, ein-, einher-, empor-, entgegen-, fort-, gegenüber-, her-, herab-, heran-, heraus-, herbei-, herein-, herüber-, herum-, herunter-, hervor-, hin-, hinab-, hinauf-, hinaus-, hinein-, hinunter-, hinzu-, inne-, los-, mit-, nach-, rückwärts-, seitwärts-, über-, um-, umher-, unter-, vor-, voran-, voraus-, vorbei-, vorher-, vorüber-, vorwärts-, weg-, wider-, wieder-, zu-, zurecht-, zurück-, zusammen-, zuvor-, zuwider-
Die unterstrichenen Formen sind 1996 herausgefallen. Gegenüber der Fassung von 1995 ist 1996 ran weggefallen, da(r)nieder hinzugekommen.
§ 34 ist folgendermaßen aufgebaut: Die erste Hälfte (bis E2 einschließlich) gibt an, wann zusammengeschrieben wird. Unter E3 werden die Fälle von Getrenntschreibung spezifiziert, obwohl sie sich aus der restriktiv zu verstehenden Aufzählung der Zusammenschreibungsfälle von selbst ergeben. Die zweite Hälfte ist also eigentlich überflüssig bis auf eine, wie wir sehen werden, hineingeschmuggelte, äußerst folgenreiche Ausnahme. E4 ist eine Beliebigkeitsklausel, die sich ausschließlich auf (2.2) und E3 (3) bezieht und daher hinter letzterem stehen müßte. Der logische Aufbau des Paragraphen ist also durch die Darbietungsweise einigermaßen verdunkelt. (Der Verweis auf E3 statt E4 am Ende von (2.2) ist wahrscheinlich ein Versehen; er findet sich allerdings schon in der Fassung von 1995.)
Die Formulierung können ... bilden im Haupttext des Paragraphen ist nicht eindeutig, da sie zu dem Schluß verführen könnte, es sei den Sprachteilhabern freigestellt, von Fall zu Fall oder von Partikel zu Partikel solche Zusammensetzungen zu bilden und infolgedessen zusammenzuschreiben oder auch nicht. Die Regel wäre dann eine Kann-Bestimmung. Das ist keine ganz abwegige Deutung, wenn man an die Vorbemerkung denkt, die die Verwendung als Wortgruppe oder als Zusammensetzung zumindest in einigen Fällen von der Aussageabsicht des Schreibenden abhängig macht. Auch die Regeln zur Worttrennung stellen, wie wir sehen werden, das Vorgehen in bestimmtem Umfang dem Wollen und Können des einzelnen Schreibers anheim. So ist unsere Regel aber offenbar nicht zu verstehen. Sie soll vielmehr besagen, daß bestimmte Wörter unter bestimmten Bedingungen mit Verben trennbare Zusammensetzungen bilden und andere nicht. Daraus ergibt sich die doppelte Aufgabe, erstens die in Frage kommenden Wörter und zweitens die Bedingungen genauer zu bestimmen.
Die Regel führt die irrige Auffassung von den trennbaren Verben fort, indem sie von Zusammensetzungen spricht, wo es sich in Wirklichkeit um zusammengeschriebene Wortgruppen handelt. Diese Kritik braucht im folgenden nicht jedesmal wiederholt zu werden.
Der erste Versuch, die erste der beiden genannten Aufgaben zu lösen, besteht in der listenförmigen Aufzählung der zusammenzuschreibenden Partikeln. Die Liste ist geschlossen. Das heißt, daß nur die angeführten Partikeln mit Verben zusammengeschrieben werden dürfen. Dabei, dafür, dagegen, daneben und dazwischen sind angeführt, nicht aber dahinter, darin, darüber, darunter und davor. Es muß also künftig geschrieben werden: dazwischentreten, aber darunter treten; danebenschreiben, aber darüber schreiben; dazwischenkommen, aber dahinter kommen. Ferner ist zu schreiben hintenüberfallen, -kippen usw., aber vornüber fallen usw. Es ist nicht zu erkennen, warum die einen Partikeln aufgeführt sind und die anderen nicht.
Das Verhältnis von synkopierten und nichtsynkopierten Formen ist aus unerfindlichen Gründen in dreierlei Weise geregelt:
;Bei daran und darein hat man die Wahl zwischen der vollen und der verkürzten Form: darangehen oder drangehen, dareinsetzen oder dreinsetzen.
;Bei darauf, darauflos und darin sind nur die synkopierten Formen zur Zusammenschreibung vorgesehen, die Vollformen müssen getrennt geschrieben werden: drauflegen, drinsitzen, drauflosreden, aber darauf legen, darin sitzen, darauflos reden.
;Das amtliche Wörterverzeichnis legt fest, daß drunter und drüber mit Verben zusammengeschrieben werden können: drunterstellen ..., drüberfahren ... (während darunter stellen und darüber fahren laut Wörterverzeichnis getrennt geschrieben werden müssen) und beruft sich in beiden Fällen auf § 34 (1). Dort sind die Partikeln drunter und drüber aber nicht aufgeführt. Folglich ist die Zusammenschreibung nicht zulässig. Allerdings ist ohnehin nicht einzusehen, warum die synkopierten Formen anders behandelt werden sollen als die nichtsynkopierten.
E1 bestimmt, daß aus demselben Material gebildete Fügungen als Wortgruppe getrennt geschrieben werden. Da die Unterscheidung von Wortgruppe und Zusammensetzung verfehlt ist, muß man sich anhand der Beispiele zusammenreimen, was gemeint sein könnte. Das erste Beispiel legt folgende Deutung nahe: wenn er übt und dabei sitzt, aber: wenn er übt und seine Mutter dabeisitzt. Es handelt sich also um den Unterschied zwischen Adverbial und Verbzusatz. Das Adverbial steht nur zufällig in unmittelbarem Kontakt zum Verb, vgl. wenn er übt und dabei auf einem Klavierstuhl sitzt. Dagegen ist für den Verbzusatz die im allgemeinen nicht unterbrechbare Kontaktstellung kennzeichnend. Auch die Betonungsmuster sind verschieden. Zum semantischen Unterschied läßt sich vorläufig festhalten, daß im ersten Fall ein Sitzen ausgesagt wird, im zweiten aber ein Dabeisitzen. Die Klavierlehrerin mag der Mutter des kleinen Hans empfohlen haben, bei dessen Klavierübungen dabeizusitzen, nicht aber dürfte sie gesagt haben: Sie sollten sitzen, wenn Ihr Sohn übt!
In derselben Weise sind die anderen Beispiele zu deuten. Es bleibt allerdings unklar, warum die sprachlichen Tatsachen nicht beim Namen genannt, sondern in bloßen Beispielen versteckt sind. Dieter Nerius zumindest scheint den Unterschied zwischen Adverbial und Verbzusatz (trennbarem Verbteil, wie er es nennt) durchaus erkannt zu haben, doch macht dann wieder seine Aussage stutzig, in formelhaften Doppelungen würden die trennbaren Verbteile vom Verb getrennt geschrieben: durch und durch gehen, nach und nach verblassen ...(1989, S. 137). Bei nach und nach handelt es sich ja gerade nicht um einen Verbzusatz.
Das amtliche Wörterverzeichnis versucht seinerseits, die Regel 34 (1) samt E1 auf die Verbzusatzkonstruktionen anzuwenden, gelangt aber meist nicht über schwer interpretierbare Ungleichungen hinaus. So heißt es beispielsweise:
d[a]reinÈsetzen ... § 34(1) @ darein setzen
dawiderÈreden § 34(1) @ dawider reden
dazuÈgehören § 34(1) @ dazu gehören
Bei dawiderreden und dazugehören sind die Ungleichungen anschließend mit vertauschten Seiten ein zweites Mal angeführt, bei dareinsetzen nicht. In anderen Fällen, z. B. dazulernen, ist auf den Eintrag einer getrennt zu schreibenden Version ganz verzichtet worden, obwohl es genau analog zu dabei (bei der genannten Tätigkeit) sitzen zweifellos auch dazu (zusätzlich) lernen geben muß.
Für dareinsetzen kann man sich eine Verwendung wie die folgende denken: sie hat ihren Ehrgeiz, ihren Stolz dareingesetzt, als Erste fertig zu sein (Duden). Bertelsmann gibt ein ähnliches Beispiel, Aldi und Eduscho haben das Verbgefüge überhaupt nicht, obwohl es doch im amtlichen Wörterverzeichnis steht. Für die getrennt geschriebene Form hat Duden kein Beispiel gefunden, Bertelsmann gibt an: wir können uns alle darein setzen. Die Interpretation ist schwierig, zumal keine Betonung angegeben ist. Wahrscheinlich soll man an ein vorher erwähntes Boot oder dergleichen denken, auf das anaphorisch Bezug genommen wird; darein wäre dann etwa wie hinein zu verstehen.
Bei dagegenhalten wird im Wörterverzeichnis eine semantische Unterscheidung angedeutet: Zusammengeschrieben wird, wenn es bedeutet 'vorhalten, erwidern'. Die Getrenntschreibung soll bedeuten 'gegen die bezeichnete Sache halten'. Dies läuft auf den Unterschied zwischen übertragenem und wörtlichem Gebrauch hinaus, da das Erwidern sich ebenfalls gegen eine bezeichnete Sache richtet, allerdings nicht gegen einen konkreten Gegenstand. Im übrigen widerspricht das semantische Kriterium dem ganzen Ansatz, dem ja gerade nachgerühmt wird, unterschiedliche Schreibweisen nicht mehr auf die Unterscheidung wörtlicher und übertragener Bedeutung zu gründen. (Vgl. unten zu richtiggehend.)
Bei dafürhalten und dafür halten sollen sich die Bedeutungen 'meinen' und 'für jemanden/etwas halten' unterscheiden lassen, doch ist dies schon wegen der unterschiedlichen Betonung keine mit dagegenhalten vergleichbare Konstruktion.
Das Beispiel wieder (erneut, nochmals) gewinnen hat viel Verwirrung angerichtet. Die Lexikographen haben sich wahrscheinlich an die ältere Dudenliteratur erinnert gefühlt, die den Unterschied zwischen getrennt und zusammengeschriebenen Gebilden aus wieder + Verb auf den Bedeutungsunterschied zwischen 'zurück' und 'erneut, nochmals' zu gründen versuchte. Danach sollte zusammengeschrieben werden, wenn wieder entweder die Bedeutung 'zurück' hat (Geborgtes wiedergeben, Verlorenes wiederfinden) oder wenn es zwar die Bedeutung 'erneut, nochmals' hat, durch die Verbindung aber ein neuer Begriff entstanden ist, was auch als "übertragener Gebrauch gedeutet wurde (einen Verzweifelten wiederaufrichten). Getrenntschreibung tritt ein, wenn wieder einfach 'erneut, nochmals' bedeutet (ein zerstörtes Denkmal wieder aufrichten). Die Beispiele zeigen schon, daß diese Unterscheidung sich nicht durchführen läßt. Wiederfinden ist nicht ohne Gewaltsamkeit auf den gemeinsamen Nenner 'zurück' zu bringen, und man kann Denkmäler ebenso wie Verzweifelte sowohl wieder aufrichten als auch wiederaufrichten. Im einen Fall handelt es sich um eine Aufrichtung, im anderen um eine Wiederaufrichtung; die Metaphorik hat mit der Struktur des Gefüges gar nichts zu tun. Außerdem ist in der älteren Literatur regelmäßig das untrennbare Verbkompositum wiederholen in die Darstellung gemischt, ein Fehler, der hier nicht weiter untersucht werden soll. Die bisher gültige Beschreibung der Verhältnisse war zweifellos unzulänglich, allerdings spielte sie in der Praxis keine überragende Rolle, da der Sprachteilhaber aufgrund von Betonungsunterschieden und intuitiver Erfassung ihrer eigentlichen Ratio sehr wohl imstande war, von der Zusammenschreibung einen vernünftigen Gebrauch zu machen.
Die Anwendung der traditionellen Deutung (erneut, nochmals) auf die Neuregelung hat im Duden zu einer Fülle von neuen Getrenntschreibungen geführt, darunter auch wieder sehen anstelle des bisherigen wiedersehen. Dies hat viel Unmut gegen die Reform selbst erregt. Zur Verteidigung des Regelwerks ist vorgebracht worden, es handele sich um eine Fehldeutung, und das trifft offenbar auch zu. Der Verbzusatz in wiedersehen muß wie bisher mit dem Verb zusammengeschrieben werden. Daß sich aber praktisch alle Wörterbücher der Fehldeutung angeschlossen haben (Bertelsmann erst nach einigem Zögern), ist auf die Unklarheit der Regelformulierung und auf ihre allzu deutliche Anlehnung an den Wortlaut der bisherigen Regelung (erneut, nochmals) zurückzuführen. Denn während dieser Wortlaut übernommen worden ist, blieb die freilich unklare Zusatzbestimmung, daß ein neuer Begriff entsteht, in der Neuregelung unerwähnt, so daß in E1 ausschließlich die als Paraphrase in Klammern angeführte Bedeutung 'erneut, nochmals' als Kriterum übrigblieb, noch dazu mit einem Verb wie gewinnen, das mühelos in beide Konstruktionen eingeht, während die Anwendung auf sehen nicht ohne weiteres gelingt. Wäre der Verbzusatz begrifflich vom Adverbial abgegrenzt und wäre außerdem noch auf das Betonungsmuster und die Nichtunterbrechbarkeit der Verbzusatz-Konstruktion hingewiesen worden, so hätte es nicht bei diesem und vielen anderen Verbgefügen eine solche Menge von fehlerhaften Wörterbucheinträgen gegeben.
Die Folge dieser Versäumnisse ist, daß zahlreiche auseinandergerissene Schreibungen wie wiedergutmachen, wiederherstellen, wiedervereinigen usw. so bald wie möglich wiederhergestellt, die Wörterbücher also neu gedruckt werden müssen. Das gilt auch für Sprachbücher, die sich der Fehldeutung angeschlossen haben. Die Reformer haben dies inzwischen zugegeben, doch sollen auf Beschluß der KMK vom 26./27. Februar 1998 die von der zwischenstaatlichen Kommission für unumgänglich gehaltenen Korrekturen einstweilen nicht durchgeführt, sondern an den Schulen die anerkannt falschen Regeln unterrichtet werden.
Es sei an dieser Stelle angemerkt, daß Einträge vom Typ wiedersehen ® wieder sehen, wie wir sie massenweise in den neuen Wörterbüchern finden, von vornherein unzulässig sind, da es weder den Lexikographen noch den Rechtschreibreformern erlaubt ist, Lexeme aus dem deutschen Wortschatz zu entfernen und durch anders betonte, also tatsächlich andere, zu ersetzen.
Die Wörterbücher versuchen in unterschiedlicher Weise, sich auf die merkwürdige Liste einen Reim zu machen. Duden stellt eine Reihe offenbar vergessener Partikeln zu einer Gruppe von Ausnahmen zusammen:
Bei den Adverbien dahinter, darin, darüber, darunter, davor gilt generell Getrenntschreibung, bei den umgangssprachlichen Kurzformen drin, drüber, drauf, drunter jedoch auch Zusammenschreibung. (R 38)
Die Liste der Ausnahmen ist natürlich auch nicht vollständig, da sie Wörter wie vornüber nicht enthält. Außerdem versucht der Duden, die in der Tat unerträglichen Widersprüche zwischen § 34 und dem Wörterverzeichnis dadurch zu versöhnen, daß er die Zusammenschreibung der Kurzformen als Kann-Bestimmung (auch) interpretiert ob mit Recht, sei dahingestellt. Ein zweiter Versuch, die verwirrenden Einträge auf einen Nenner zu bringen, wird im Wörterbuchteil des Duden unternommen. Er interpretiert die Regel so, daß drinsitzen (und nur diese synkopierte Form) eine redensartliche Variante von in der Patsche sitzen, darin sitzen jedoch wörtlich zu verstehen sei. In einer ganz anderen, zwar trivialen, aber gerade deshalb eher mit § 34 E1 übereinstimmenden Dimension unterscheidet Duden: Er kann nicht davon lassen, aber er soll die Finger davonlassen. (Die Verteilung der Akzente ist fragwürdig, da es nicht nur um die Binnenstruktur des Pronominaladverbs geht, sondern auch um die Betonung des Verbs.) Ebenso Eduscho: Er soll eines davon ziehen (z. B. von den Losen) und Er soll davonziehen. Das Fehlen von davor in der Partikelliste wird in diesem Wörterbuch so interpretiert: Eine solche Bedeutungsdifferenzierung ist bei dem Adverb davor nicht (mehr) gegeben; es wird daher stets vom Verb getrennt geschrieben: davor hängen; davor laufen; davor schieben; davor stellen. Man kann aber durchaus unterscheiden Er soll davor (= vorher) hängen und Das Schloß soll davorhängen (= vor der Tür). Beides wäre auch mit dem Kausativverb hängen möglich.
Wie sehr die ältere Dudenliteratur gerade mit ihrem fragwürdigsten Teil, dem Lehrstück von der "übertragenen Bedeutung, auf die Neuregelung eingewirkt hat, läßt sich allenthalben greifen. Betrachten wir die eben erwähnte Partikel davor und zum Vergleich die Partikel daneben, und zwar gerade weil letztere in der Liste enthalten ist, erstere dagegen nicht.
Davor: Als Richtungszusatz wurde davor mit dem Verb zusammengeschrieben: davorschieben usw. Der Rechtschreibduden sah Getrenntschreibung bei Kontrastierung im pronominalen (deiktischen) Teil vor: nicht davor, sondern hiervor liegen. Im Duden-Universalwörterbuch (DUW) wurde auch dann Getrenntschreibung verlangt, wenn der Kontrast im präpositionalen Teil der Partikel lag: Ich würde den Stuhl davor stellen, nicht daneben. Eine nicht besonders überzeugende Lösung, da sich durch die Kontrastierung nichts am Verhältnis von Verbzusatz und Verb ändert.
Daneben: Dieses Wort steht in der Liste der Partikeln, die mit einem Verb zusammengeschrieben werden können. Außerdem muß nach E1 mit der Möglichkeit der Getrenntschreibung gerechnet werden, nach Analogie des dort angeführten Musters dabei (bei der genannten Tätigkeit) sitzen. Also: daß er studiert und daneben kellnert, aber: daß sie im Bett liegt und er danebensitzt.
Amtl. Wörterverzeichnis:
daneben [sein § 35; fallen, gehen, greifen, liegen, schießen ... §34 E1; stehen (neben dem bezeichneten Ort stehen) ... § 34 E1 ¹ danebenstehen]
danebenÈbenehmen, ...gehen, ...greifen, ...schießen, ...stehen (sich nicht hineinversetzen können) ... § 34(1) ¹ daneben stehen
Duden 20. Aufl.:
Getrenntschreibung ( da, 1 u. R 206): daneben (neben dem/den bezeichneten Ort od. Gegenstand) gehen, liegen, stellen; ich will den Stuhl daneben stellen; Zusammenschreibung ( da, 2 u. R 295): z. B. danebengreifen, danebenschießen; (...) danebengehen (ugs. für mißlingen) (...) danebenhauen ([am Nagel] vorbeihauen; ugs. für aus der Rolle fallen, sich irren (...)"
Hiernach könnte man meinen, daß nur der übertragene Gebrauch Zusammenschreibung zur Folge hat; die Erläuterung mit dem Nagel wäre dann nur als etymologische Herleitung der Wendung zu deuten.
Duden 21. Aufl.:
daneben (neben dem/den bezeichneten Ort od. Gegenstand) gehen, liegen, stellen usw.; ich will den Stuhl daneben stellen; vgl. aber danebenbenehmen, danebengehen usw. (...)"
(Hinzufügungen gegenüber der 20. Aufl. sind von mir unterstrichen. Bei den Beispielen hat die Redaktion danebenfallen getilgt.)
Bertelsmann 1996 (Kasten):
danebenstehen/daneben stehen: Zusammensetzungen aus Partikeln wie daneben und Verben werden in den unflektierten (nicht gebeugten) Formen zusammengeschrieben: in der Diskussion danebenstehen (= sich nicht hineinversetzen können). Ebenso: danebenbenehmen, danebengehen, danebengreifen, danebenschießen, ® § 34 (1) Als Wortgruppe wird das Gefüge jedoch getrennt geschrieben: Er hat daneben gestanden. Ebenso: daneben sein, daneben gehen, daneben liegen, daneben schießen. ® § 34 E1.
Im Wörterverzeichnis hat Bertelsmann:
daneben gehen: neben jmdm. oder etwas gehen; aber: danebengehen (...) danebenhauen (...) das Falsche tun, mit einem Vorschlag danebenhauen; aber: er hat am Nagel daneben gehauen.
Eduscho:
daneben Uw.: neben etwas *danebenbenehmen; daneben fallen; -springen intr. *danebengehen intr.: vorbeigehen, missglücken; daneben gehen: an der Seite neben *danebengreifen, -liegen, -hauen intr. verpfuschen, sich irren; daneben hauen: nicht treffen *daneben liegen: an der Seite liegen (Die Schreibung und Deutung von daneben hauen ist sicher falsch, müßte übrigens auch als neu markiert werden.)
Bei Aldi (= Bünting) wird danebenfallen ganz durch daneben fallen ersetzt, danebengehen bleibt nur in der Bedeutung nicht treffen zusammen, ebenso danebengreifen, danebenhauen, danebenschießen. Danebenstehen ist gar nicht aufgenommen (obwohl im amtlichen Wörterverzeichnis angeführt). Allerdings ist die konkrete Bedeutung bei daneben gehen als nicht treffen umschrieben, nicht etwa wörtlich neben etwas oder jemandem/jemanden gehen.
Es gehen also überall durcheinander die adverbiale und die Verbzusatz-Funktion einerseits und die konkret-räumliche oder wörtliche und die übertragene Verwendung andererseits.
Danebenstehen im Sinne von sich nicht hineinversetzen können ist nicht einmal im achtbändigen Duden enthalten. Das Bertelsmann-Beispiel in der Diskussion danebenstehen klingt ungebräuchlich wie eine ad hoc gefundene Metapher.
Daneben liegen (neben etwas Genanntem) wird von einem offenbar nichtdeiktischen und nichtphorischen danebenliegen unterschieden: Du kannst nicht ganz danebenliegen. Das amtliche Wörterverzeichnis gibt hier eine andere Deutung als im Regelwerk vorgezeichnet, eher im Sinne der alten Dudenliteratur. Völlig verworren Bertelsmann: Er hat am Nagel daneben gehauen. Dagegen bleibt im Duden alles beim alten.
Für die Zusammenschreibung kandidieren offenbar die Richtungszusätze bei Bewegungsverben sowie alle geeigneten Zusätze bei Positionsverben. Die Richtungszusätze stehen wie die Richtungsangaben überhaupt dem Verb ohnehin am nächsten. Sie machen fast jedes Verb zu einem Bewegungsverb (bzw. Transportverb, wenn noch eine Akkusativposition vorhanden ist): danebenknallen usw. Lokale Verbzusätze treten zu Positionsverben, d. h. zu stehen, liegen, sitzen, hängen, kleben, haften, wohnen und stecken. Es sind dieselben, die als Infinitive mit bleiben verbunden werden; dies gilt außerdem noch für bestehen und leben. Man kann daher sagen: weil er danebensteht, aber nicht *weil er danebenwartet; vgl. er bleibt stehen, aber nicht *er bleibt warten.
Es zeigt sich also, daß die Neuregelung mit ihren kaum eindeutig interpretierbaren Regeln zu einem unerhörten Chaos in den Wörterbüchern geführt hat.
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Th. Ickler
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