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Von der Würde der Sprache
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Wolfgang Scheuermann
01.10.2003 11.24
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Auf nach Königsberg!

Unter dieser Überschrift hat sich der französische Lyriker Michel Deguy heute (in der Frankfurter Allgemeinen) den vor einigen Wochen simultan erhobenen Forderungen Jürgen Habermas', Jacques Derridas, Umberto Ecos und weiterer europäischer Intellektueller nach einer Selbstbesinnung Europas angeschlossen und diese in einem Namen gebündelt: „Der Schutzpatron, der schützende Genius Europas ist Kant.“ Er sieht es als Beleidigung und Schande, daß Kants Heimatstadt immer noch den Namen des „mörderische(n) Kalinin“ trägt; „Königsberg“ sei zur »europäischen Kulturhauptstadt« zu proklamieren.“

Anmerkung: Als Habermas, Muschg und Derrida Anfang Juni ihre Stimmen erhoben, galt noch der Ukas aus dem russischen Präsidialamt, die (Noch?)-Kaliningrader haben ihre Vorbereitungen zur 750-Jahr-Feier Königsbergs im Jahr 2005 einzustellen, da es unsinnig sei, den Geburtstag einer Stadt zu feiern, die es gar nicht gebe – vielmehr sollten sie für 2006 die 60-Jahr-Feier Kaliningrads planen. Dies hat Präsident Putin mittlerweile offiziell aufgehoben: die Kaliningrader dürften diesbezüglich tun, was sie für richtig hielten.

Für diese Seiten erheblich wichtiger sind die Überlegungen zu einer Sprache Europas, die Deguy angestellt hat:
Sie sei von einer zwingenden Notwendigkeit. Er begründet, warum es keineswegs das Englische sein dürfe; das Französische sei die Sprache Europas gewesen: „Und damit hat es sich. Was einmal war, kommt nicht zurück.“ Letztlich blieben das Spanische und das Deutsche. „Entweder die Wahl muß zwischen diesen beiden getroffen werden, oder beide Sprachen werden die Sprachen Europas. Die Schlußfolgerung: Jedes Kind wird ... vier Sprachen lernen: die eigene ... , das Englische, ...; das Spanische und das Deutsche ...“

Eine Sprache von dieser Potenz kann sich, so Ickler, eine Rechtschreibreform ganz einfach nicht leisten.
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Dr. Wolfgang Scheuermann

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Walter Lachenmann
23.12.2002 13.50
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Von der Würde der Sprache

Von Rafik Schami

Die deutsche Sprache ist eine wunderschöne Weltsprache. Ich beherrsche sie nicht. Ich liebe sie. In welchen Bereichen zeigte sich die deutsche Sprache denn als unfähig, als verknöchert, so daß die »Reformer« sie nicht dem Leben, sondern einer hastigen Unfallchirurgie überließen? Und wie kommt es, daß die sonst so schwerfälligen Kultusminister plötzlich so einig und eilig wurden? Woher haben sie auf einmal diese Gelassenheit gegenüber Milliardenausgaben, wo dieselben Herren ganzen Stadtteilen Büchereien und Theater nehmen, weil ein paar hunderttausend Mark fehlen? Und wofür? Für eine äußerst schlechte Rechtschreibreform! Wie aber erkennt man eine schlechte Rechtschreibreform?
¶ Wenn sie die Identitätsmerkmale einer Sprache abschafft. Einer der schönsten Buchstaben ist das ß. Es ist die Nase unter den Buchstaben und eigenwillig dazu. Seine Anwendung war eindeutig. Nun soll er von Fall zu Fall verschwinden, damit wir die Häßlichkeit von drei s hintereinander bekommen: »Nussschale«
¶ Wenn sie statt vom Leben zu lernen (etwa Zirkus endlich abzuschaffen und dafür das überall gebrauchte Wort CIRCUS einzusetzen), einer Willkür folgt und Sprachmonster wie Ketschup erzeugt (das auch mit Ketchup seine Aufgabe erfüllt und seine Herkunft zeigt).
¶ Wenn sie durch willkürliches Trennen von Wörtern, die durchs Leben zusammenschmolzen, verheerende Wortverluste verursacht. Die Urlauber werden nur noch getrennt braun gebrannt, das Wort liebhaben soll aussterben, und sitzenbleiben sollten die »Reformer« dafür, daß sie nur noch sitzen bleiben zulassen.
¶ Wenn sie die schönste Eigenschaft der deutschen Sprache: die Eindeutigkeit abschafft. Verschiedene Wörterbücher bestimmen jetzt die Ge- und Verbote unterschiedlich. Das ist aber noch nicht alles: Die Eile der »Reformer« stellte sie vor unlösbare, generationsbedingte Probleme. Hier halfen ihnen schlaue Verkaufsmanager mit einer Lüge aus: »Jeder schreibt wie er will« – und das wiederholen die Kultusminister wie der Papagei meiner Tante. Welch ein Hohn! Erstens ist es verlogen: Schüler und Beamte müssen bald den neuen Regeln folgen. Und zweitens teilt sich die Gesellschaft damit in zwei Gruppen: ein Teil gehorcht den Regeln und ein anderer nicht! Wunderbar. Und was macht der Lehrer, dem ein Schüler sagt: »Entschuldigen Sie: Ich schreibe liebhaben zusammen wie mein Papa, Kunert, Herzog, Enzensberger und Schami« ?

Ich möchte diesen Lehrer heute schon unterstützen und alles tun, damit die Beleidigung der Sprache durch diese sog. Rechtschreibreform zurückgezogen wird, nicht nur damit dem Steuerzahler Millionen gespart werden, sondern damit die Würde der Sprache und die Glaubwürdigkeit der Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden gerettet werden können.



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Walter Lachenmann

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