Problem 2005
Mit Texten wie dem folgenden könnte man an Zeitungen herantreten. Man könnte auch entsprechende Briefe an Kultusminister richten und sie fragen, was sie zu tun gedenken, um das absehbare und unvermeidliche Problem zu lösen:
Die Schulen bekommen 2005 ein Problem
Wenn am 1. August 2005 die reformierte Rechtschreibung verbindlich wird, bekommen unsere Schulen ein Problem. Einwandfrei gebildete sprachliche Formen wie sogenannt, einbleuen, Zierat, auseinandersetzen, hilfesuchend, fleischfressend, zufriedenstellend, allgemeinbildend, bläulichgrün, jedesmal, leid tun, recht haben usw. sind dann nicht mehr zulässig und werden als Fehler gewertet, während ungeschickte, frei erfundene und zum Teil sogar grammatisch falsche Schreibweisen wie so genannt, Zierrat, schnäuzen, Recht haben, sehr Leid tun vorgeschrieben sind.
Es könnte sein, daß ein Schüler sich beharrlich weigert, diese Neuschreibungen zu verwenden, und in gewissen Fällen kann dies notenrelevant, ja versetzungsrelevant werden. Eltern könnten eine Notengebung gerichtlich klären lassen wollen, die auf der bewußten Vermittlung des grammatisch Falschen beruht. Die Kultusministerien haben bisher nicht erkennen lassen, wie sie dieses Problem lösen wollen. Zwei Wege sind denkbar:
Entweder die Neuregelung wird gründlich daraufhin durchgesehen, welche Neuschreibungen ungeeignet sind, als allein gültige vorgeschrieben zu werden, und das Regelwerk nebst Wörterverzeichnis wird entsprechend revidiert.
Oder die bisherigen Schreibweisen werden generell und ohne zeitliche Begrenzung für weiterhin zulässig erklärt.
Da die Revision des Regelwerks schon in den letzten Jahren nicht gelungen ist und in jedem Falle eine Menge neuer Streitfragen aufwirft, empfiehlt sich die zweite Lösung. Sie hat außerdem den nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß die bereits umgestellten Schulbücher, Kinderbücher usw. nicht von einem Tag auf den anderen falsch werden und neu gedruckt werden müssen. Den Interessen der einschlägig engagierten Verlage wäre also Genüge getan. Zugleich würde es zu einer echten Konkurrenz der bisherigen und der reformierten Schreibweisen kommen, und die oft gehörte Ankündigung, man werde beobachten, was sich durchsetzt, wäre erstmals kein bloßes Beschwichtigungsgerede mehr.
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Th. Ickler
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