Philosophia ancilla theologiae
Die Philosophie hat die Magd der Theologie zu sein – eine Auffassung des Mittelalters, nach Kirchenlehrer Petrus Damiani. – Heute hat der Philosoph Schamane der Politik zu sein, und jede Ideologierichtung hat den Ihren.
In der inzwischen linksextrem-liberalen „Zeit“ mußte kurz vor den Wahlen in Brandenburg und Sachsen noch ein Haruspex (altröm. Eingeweidewahrsager) die innere Lage der Mitteldeutschen (heute korrekt: Ostdeutschen) deuten und den schier unerklärlichen Hang dieses doch nun mit allen „westlich-demokratischen“ Wohltaten überhäuften Volks zur AfD (Alternative für Deutschland) erklären.
Frühere Kaffeesatzleser hatten noch die „Angst“ im Osten für maßgeblich erklärt: die Angst vor dem Abstieg, vorm Abgehängtwerden, die Angst vor Veränderungen – durch die die Grüne KGE noch in so freudige Erregung versetzt worden war. Das ist aber Philosophie von gestern.
Die Theorie des Philosophen Philipp Hübl erklärt alles viel besser:„Wer sich stark ekelt, wählt eher konservativ“
Wie kam es zum Aufstieg der AfD im Osten? Wer Wertvorstellungen und Politik verstehen will, muss Gefühle und Temperament der Menschen kennen, sagt Philosoph Philipp Hübl.
Interview: Jakob Simmank
zeit.de 26.8.2019
2099 Wörter: 11 nichtsnutzige Reform-dass, 9 sonstige Reform-ss; vor Kurzem, reformwidrig: sogenannt Der „Ekel“ spielt nun die zentrale Rolle in der neuen philosophisch begründeten Ossipsychologie. ZEIT ONLINE: Herr Hübl, Die AfD positioniert sich gegen den Islam und Flüchtlinge und schürt Ängste vor Kriminalität, Gewalt und sozialem Abstieg. Nun könnte sie bei der Sachsen-Wahl zur stärksten Kraft werden. Ist ihre Strategie also aufgegangen?
Philipp Hübl: Wenn man es ganz schematisch sieht, ist Angst tatsächlich die Kernemotion der Konservativen und der Wähler von Rechtspopulisten. Wer Angst vor seiner Umgebung hat, der fordert beispielsweise mehr Polizei und härtere Strafen. Und in bildgebenden, neurowissenschaftlichen Studien aus den USA zeigt sich auch, dass Konservative einen größeren Mandelkern haben, eine Hirnregion, die für Emotionsverarbeitung, vor allem Angstempfinden, wichtig ist. Das kennen wir schon lange: Die Amygdala soll bei Konservativen größer sein. Man hat versäumt, in Sachsen rechtzeitig Reihenuntersuchungen durchzuführen, um Bürger mit vergrößerten Hirnzentren „zum eigenen Schutz“ von einer Wahl auszuschließen. Dafür konnte man jedoch 43 von 61 AfD-Kandidaten ausschließen – und nach halbherzigem gerichtlichem Gnadenerweis immerhin noch 31.Hübl: Aber Angst allein führt nicht zu der Fremdenfeindlichkeit, die wir beispielsweise bei der AfD in Sachsen sehen. Denn Angst ist universell: Jeder Mensch und viele Tiere haben Angst. Fremdenfeindlichkeit ist zusätzlich durch Abscheu, also moralischen Ekel, geprägt...
Hübl: Ursprünglich ist Ekel ein Mechanismus, der den Menschen vor Keimen schützen soll. Wir ekeln uns vor verdorbenem Essen, Leichnamen, Körperflüssigkeiten, Gerüchen von anderen Menschen. Und wenn wir uns vor etwas ekeln, halten wir uns davon fern. So hat der Ekelmechanismus seit jeher geholfen*, dass sich Menschen seltener mit Keimen anstecken... Und Menschen, die sich stark ekeln, neigen dazu, eher konservative oder religiös-traditionalistische Auffassungen zu haben. Sie sind in ihren Werturteilen strenger, wenn es um Homosexualität geht, um Abtreibung, Sterbehilfe, Prostitution, Drogen, Sex vor der Ehe, Masturbation.
ZEIT ONLINE: Was sind das für Studien, die das zeigen?
Hübl: Studien mit Versuchspersonen aus mehr als 100 Ländern (Social Psychology and Personality Science: Inbar et al., 2011). Sie zeigen auch, dass man anhand der Ekelneigung das Wahlverhalten besser vorhersagen kann als über klassische Indikatoren wie Steuerpolitik, Bildungsstand oder Einkommen. Wer sich stark ekelt, wählt eher konservative oder traditionalistische Parteien. Dies zu berücksichtigen hat die Linguistin Elisabeth Wehling schon vor zwei Jahren dem öffentlichen Rundfunk unausgesprochen nahegelegt – eine Sensibilisierung gegen Ordnung und Sauberkeit. Das ist im Osten, der eher noch vergangenen Tugenden anhängt, sicher viel nötiger.ZEIT ONLINE: Etwas, das Parteien durch Wortwahl oder Framing missbrauchen. So behaupten einzelne AfD-Politiker immer wieder, Migrantinnen und Migranten würden Infektionskrankheiten einschleppen.
Hübl: Ja, Ekel ist seit Hunderten von Jahren eine politische Taktik. Die Feinde der eigenen Gruppe werden als eklig darstellt, als Ratten beispielsweise. Ein Extremfall ist der Antisemitismus. Die Nazis haben ein auf Ekel basierendes Apartheidsregime eingerichtet, bevor sie mit dem systematischen Massenmord begannen. Juden seien ansteckend wie Bazillen und Trichinen, haben sie gesagt ... Damit kann der ZEIT-Reporter wieder den Kreis zur AfD schließen.
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