Quelle: http://www.welt.de/politik/deutschland/article13771686/Zwei-Versionen-der-Wulff-Affaere-nur-eine-stimmt.html
Autor: M. Bewarder, J. Eigendorf, S. Jost, T. Krauel, M. Neller, K. Seibel
16.12.2011
Zwei Versionen der Wulff-Affäre – nur eine stimmt
Unternehmer Egon Geerkens belastet den Bundespräsidenten schwer. Außerdem durfte er als Ministerpräsident verbilligte Kredite nicht annehmen.
Am Freitag, dem Tag danach, herrscht wieder Schweigen, dröhnendes Schweigen. Der Präsident gibt keine Auskunft mehr. Stattdessen redet ein Mann, den er seinen Freund nennt.
Keine 24 Stunden ist es her, da hat Christian Wulff am Donnerstag auf den immer größer werdenden Druck reagiert, hat eine Erklärung abgegeben und nach Tagen des Zögerns bedauert, „dass ein falscher Eindruck entstehen konnte“. Und er hat zugesichert, den Journalisten schon in den nächsten Tagen Zugang zu wichtigen Akten zu gewähren, im Berliner Büro einer Anwaltskanzlei.
Alles nur ein falscher Eindruck?
Akten, die Aufschluss darüber geben sollen, wie das war mit dem damaligen Ministerpräsidenten, der Unternehmergattin Edith Geerkens und dem Kredit, der ihm Probleme macht: jenen 500.000 Euro, mit denen Wulff sein Haus in Burgwedel finanziert hat, keinen Luxusbau, sondern ein Häuschen aus gelbem Klinker.
Ist es so einfach: Alles nur ein falscher Eindruck? Am Freitag sieht es nicht mehr danach aus. Es sieht eher so aus, als hätte die Erklärung aus dem Bundespräsidialamt vom Donnerstag Wulff nur kurzzeitig etwas Luft verschafft. „Ich erkenne an, dass ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedaure das“, war die vollständige Formel des Bedauerns. Es klang nicht nach einer Entschuldigung, nicht danach, als hätte einer eingesehen, dass sein Verhalten inzwischen große Fragen aufwirft.
Wulff bedauert Verschweigen des Privatkredites
Die zum Beispiel, ob Wulff zwischen Privatem und Geschäftlichem ausreichend trennte. Ob er im Februar vergangenen Jahres den Landtag von Niedersachsen getäuscht hat. Ob er wenigstens jetzt alles offengelegt hat. Und damit auch die Frage, ob er als Präsident, als moralische Instanz noch tragbar ist. Ob er also im Amt bleiben kann.
Es gibt noch keine abschließenden Antworten. Aber es gibt eine Gemengelage, die sehr gefährlich ist für Wulff. Und eine Reihe von Ungereimtheiten. Nach Recherchen der „Welt“ hätte Wulff im Oktober 2008 von keiner Bank einen vergleichbar günstigen Kredit über 500.000 Euro bekommen wie von Geerkens.
Wahrscheinlich hätte er überhaupt keinen bekommen. Ohne Sicherheiten, ohne beispielsweise einen Eintrag ins Grundbuch zuzulassen, hätte selbst der Ministerpräsident von Niedersachsen keine Chance gehabt, so viel Geld zu erhalten. Die Antworten einer Reihe namhafter Banken, die von der „Welt“ angefragt wurden, fallen fast wortgleich aus. „Ohne Grundbucheintrag kein Kredit.“
Verstoß gegen Ministergesetz
Wenn das stimmt, dann hätte Wulff sich durch den Kredit einen Vorteil verschafft, der mit einer wichtigen Verwaltungsvorschrift in Niedersachsen kollidiert. Die hängt mit dem sogenannten Ministergesetz zusammen und verbietet „die Gewährung besonderer Vergünstigungen bei Privatgeschäften“. Darunter fallen ausdrücklich zinslose oder zinsgünstige Darlehen.
Die Vorschrift gilt für Beamte, Minister und Ministerpräsidenten. Juristisch noch wichtiger ist die Frage, ob es um ein privates Geschäft ging, wie Wulff es darstellt. Oder um eines, das mit seinem politischen Amt zusammenhing. Wäre das der Fall, dann hätte Christian Wulff gegen das Ministergesetz verstoßen.
Bislang hat Wulff darauf beharrt, dass der Kredit, der noch in seine Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident fällt, eine reine Privatsache zwischen ihm und Edith Geerkens gewesen sei. Nicht anrüchig also, schon gar kein Gesetzesverstoß. Ganz so sicher ist das aber offenbar nicht mehr. Dafür stehen Aussagen von Staatsrechtlern, mit denen die „Welt“ den Fall besprochen hat. „Ein Bezug zum Amt“, sagt Hans Herbert von Arnim, Staatsrechtsprofessor in Speyer, „ist bei dem Darlehen von Frau Geerkens aus meiner Sicht gegeben.“
Ihr Mann habe Wulff nach Presseberichten zu Beginn und während der Laufzeit des Kredits mehrfach auf Ministerpräsidenten-Reisen begleitet.
Schon die Auswahl der Reiseteilnehmer sei eine Amtshandlung, sagt Arnim. Der Berliner Verwaltungsrechtler Ulrich Battis formuliert es etwas vorsichtiger. Dass Geerkens zu Wulffs Reisedelegationen gehört hat, könne „ein Hinweis auf eine amtlich eingegangene Angelegenheit sein, ist aber nicht zwingend der Beweis dafür“. Doch auch er spricht von einem „unangenehmen Befund“, der sich aus Wulffs Umgang mit der Affäre ergebe. Es gibt unter Fachjuristen auch solche, die Wulffs Rolle nicht kritisch sehen.
Das vielleicht größte Problem Wulffs aber ist jetzt ein anderer: Der Unternehmer Egon Geerkens, Wulff-Freund und Ehemann von Edith Geerkens, hat dem „Spiegel“, der am Wochenende zu haben sein wird, einiges gesagt, das Wulffs bisherige Verteidigung ziemlich ramponiert. Seine Aussagen legen nahe, dass der Kredit, die 500.000 Euro, nicht von Edith Geerkens stammen, sondern von ihm selbst.
Geerkens besaß das Geld, nicht seine Frau
Egon Geerkens sagt, er selbst habe die Verhandlungen mit Wulff über das Darlehen geführt. Er sagt, er habe sich auch überlegt, „wie das Geschäft abgewickelt werden könnte“. Er, nicht seine Frau. Außerdem beruhe die freundschaftliche Verbindung in erster Linie auf dem Verhältnis zwischen Wulff und ihm – ihm, nicht ihr. Und, das ist besonders wichtig: Zwar sei die Zahlung seinerzeit über ein Konto seiner Frau erfolgt, doch er, Geerkens, habe für dieses Konto eine Vollmacht. Die Rückzahlung der Kreditsumme im Jahr 2010 sei auf ein Konto erfolgt, das beiden Eheleuten gehöre.
Selbst das ist noch nicht alles. Erstens: Egon Geerkens sagt, er besaß das Geld. Seine Frau habe kein nennenswertes eigenes Vermögen mit in die Beziehung gebracht. Zweitens: Nach der Hochzeit habe seine Frau aufgehört zu arbeiten. Drittens: Er und seine Frau hätten Gütertrennung vereinbart. Viertens, auch das sagt Geerkens: „Wulff und ich sind beide sehr bekannt in Osnabrück. Und ich wollte nicht, dass irgendein Bank-Azubi sieht, dass so viel Geld von mir an Wulff fließt.“
Das war nicht der Fall
In seiner Erklärung vom Donnerstag hatte Wulff noch einmal die Frage beantwortet, mit der im Februar vergangenen Jahres im Niedersächsischen Landtag das Dilemma für ihn begann: Ob es eine geschäftliche Beziehung zwischen ihm und Egon Geerkens gegeben habe? „Das war nicht der Fall.“ Er hatte auch gesagt: „Zu Frau Geerkens besteht eine langjährige und persönliche Freundschaft.“
Es sind zwei Versionen derselben Geschichte. Nur eine kann stimmen.
Man würde gerne wissen, was Christian Wulff zu all dem sagt. Aber er will offenbar nicht. Auf einen detaillierten Fragenkatalog der „Welt“ jedenfalls reagiert er nicht. Die Fragen liegen aber auf der Hand: Wie konnte sich der Bundespräsident zum Zeitpunkt der Kreditvergabe sicher sein, dass dieser Kredit kein Gefälligkeitskredit war, sondern auch zum Vorteil der Unternehmerfrau Geerkens?
Keine Antwort.
Was weiß der Bundespräsident über die Herkunft des Geldes?
Keine Antwort.
Warum hat sich der Bundespräsident, als er im Jahr 2010 den Kredit bei Frau Geerkens durch einen anderen Kredit ablösen wollte, an die BW-Bank gewendet?
Keine Antwort.
Bleibt der Bundespräsident bei seiner bisher geäußerten Bewertung, wonach er die Missverständnisse bedauert, die der Kredit von Frau Geerkens ausgelöst hat – nicht aber die Kreditaufnahme selbst?
Keine Antwort.
Am Freitagabend sprechen dann die Anwälte des Bundespräsidenten. Es bleibe dabei: Der umstrittene Hauskredit sei von Frau Geerkens gekommen. Die Eheleute Wulff hätten alle vereinbarten Zinszahlungen auf das Konto von Edith Geerkens geleistet. Auch die Rückzahlung des Kredits sei gut ein Jahr lang auf das Konto von Edith Geerkens erfolgt.
Wulff habe keinen Anlass gehabt zu bezweifeln, dass das Geld für das Darlehen aus dem Vermögen von Edith Geerkens stamme. Und schließlich schaltet sich der Anwalt der Geerkens ein. Das Privatdarlehen sei von Edith Geerkens gewährt worden. So oder so. Zwei Versionen sind in der Welt.
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Detlef Lindenthal
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