u, v, w – f, ph
Wer braucht mich noch?
Heute ist dieser Buchstabe auf dem Rückzug. Nun fragt die Gesellschaft für deutsche Sprache: Kann das V durch F und W ersetzt werden?
Martin Luther schrieb das Wort und noch mit V statt mit U – zumindest ließ er seine Texte so drucken: „AM anfang schuff Gott Himel vnd Erden. Vnd die Erde war wüst vnd leer / vnd es war finster auff der Tieffe.“ Man sieht daran, dass das V im Deutschen eine unsichere Stellung hat.
Jetzt ist sogar* die Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. der Frage nachgegangen, ob das V in der deutschen Sprache überhaupt seine Berechtigung habe. Anlass war die Frage eines beratungsbedürftigen Sprechers, ob man das V nicht streng genommen in allen deutschen Wörtern problemlos durch ein F oder ein W ersetzen könne.
Die Antwort der Sprachgesellschaft lautete eindeutig: Ja. „Der Buchstabe V lässt sich lautlich nicht von entweder F oder W unterscheiden.“ Schon 1956 heißt es im von dem großen Sprachhistoriker Theodor Frings verantworteten Band „V-verzwunzen“ des Grimmschen Wörterbuchs: „V ist heute im Hochdeutschen dem F lautlich vollkommen gleich, was auch graphisch darin seinen Ausdruck findet, dass Wörter desselben Stammes bald mit F, bald mit V geschrieben sind (voll, Fülle).“
Auch im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA), so erläutert die Gesellschaft für deutsche Sprache , werde lediglich von den zwei Lauten [f] und [v] ausgegangen, wobei Letzterer wie in Wald oder wieder gesprochen wird. Zwar gebe es im IPA den Laut [w], dieser stehe allerdings für die englische Aussprache des W, wie in what oder weather. Im Englischen gibt es also tatsächlich einen Unterschied zwischen V und W. Bekanntlich ist das eine der größten Klippen für deutsche Englisch-Lerner.
Aber wenn das V im Grunde überflüssig ist, wieso existiert es dann überhaupt als 23. Buchstabe des heutigen Alphabets? Das hängt damit zusammen, dass die deutsche Orthografie, viel mehr als die Rechtschreibung anderer Sprachen, von historischen Faktoren bestimmt wird [oder von Reformideologien wie bei „Orthographie“]. So auch im Falle des V. Die Verhältnisse sind von Anfang an kompliziert. Die Bibelübersetzung des gotischen Bischofs Wulfila ist das älteste überlieferte schriftliche Dokument in einer germanischen Sprache. Wulfila entwickelte dafür ein eigenes Alphabet, das griechische Buchstaben mit Runen mischte. Für das U stand die Uruz-Rune, und für das V verwendete er den griechischen Buchstaben Y, aus dem sich laut dem Grimmschen Wörterbuch die Gestalt des V entwickelt hat.
Noch verwickelter wurde es durch den lange anhaltenden und tief_gehenden Einfluss des Lateinischen auf das Deutsche. Das klassische Latein unterscheidet die Laute U und V nicht. In der Kapitalschrift, die am Anfang vor allem für auf Stein gehauene Monumente verwendet wurde, werden einleuchtenderweise beide Laute mit V bezeichnet, vermutlich weil sich die zwei Striche leichter in Stein meißeln ließen als ein Rund. In der Unzialschrift, die mit Rohrfeder auf Pergament geschrieben wurde, stand für beide Phoneme dagegen ein U.
In späteren Phasen nutzte man die Kapitalschrift gerne für Anfangsbuchstaben und Überschriften, die Unzialschrift im Kontext. Daraus leitete sich die Neigung ab, V am Satzanfang und schließlich sogar am Anfang der Wörter zu schreiben und im Inneren der Wörter U zu benutzen. Im Grimm heißt es dazu: „Die letztere Schreibweise der lateinischen Handschriften geht auch in die deutschen Handschriften des Mittelalters über und in die deutschen Urkunden des 13. bis 15. Jahrhunderts.“ Von feststehenden Regeln könne jedoch nicht die Rede sein. Um diese bemühen sich die Grammatiker und Sprachwissenschaftler der frühen Neuzeit, von Niklas von Wyle über Kaspar von Stieler und Justus Georg Schottelius. Die beiden Letztgenannten setzen im 17. Jahrhundert, gut 100 Jahre nach Luther, die Unterscheidung zwischen U für den Vokal und V für den Konsonanten durch.
Heute kommt das V in der deutschen Sprache viel seltener vor als früher. Im Alt- und Mittelhochdeutschen wurden noch viele Wörter mit einem V anstelle des B geschrieben, beispielsweise aver, haven und heven. Eine völlige Abschaffung des V hält die Gesellschaft für deutsche Sprache aber weder für wahrscheinlich noch für wünschenswert, denn dann könnte man ja beispielsweise nicht mehr zwischen viel und fiel unterscheiden: „Bedingt durch die graphemische Historie und die moderne Normierung unserer Schriftsprache ist der Buchstabe V nicht ohne Weiteres abzuschaffen und durch F oder W zu ersetzen.“
In den slawischen Sprachen wird übrigens noch heute oftmals ein V (oder ein W – je nach Transkription des kyrillischen Buchstaben B) statt eines U geschrieben. Das hierzulande berühmteste Beispiel ist die Russin Clawdia Chauchat, die Geliebte Hans Castorps in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“.
welt.de 22.9.2016
In der phönizischen Konsonantenschrift bedeutete das Y, Buchstabenname „waw“ (Haken), den bilabialen Halbkonsonanten W. Es konnte hilfsweise für ein U eingesetzt werden, wie auch heute im Arabischen. Die Griechen übernahmen dies als „u“ (später „ü“), definierten auch andere Konsonanten zu Vokalen um und schufen so das erste vollständige Alphabet. Daneben entstand aber auch die Variante F „Digamma“, die nun das „f“ bezeichnete, das sich in den altsemitischen Sprachen erst später aus dem „p“ entwickelte. Die Römer benutzten V (jetzt ohne Stiel) ebenfalls für „u“ und „v“. Das wurde im Deutschen übernommen. Das gotische Alphabet blieb ein separater Sonderweg.
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