Aus dem Schweizer „Sprachspiegel“ 1961
Mörder unserer Sprache
Es gibt Leute, die mit eigenen Mitteln und mit viel mehr Steuergeldern hohe und höchste Schulen besucht haben und stolz auf ihre Bildung sind. Sie sollten sich darum verpflichtet fühlen, ihr Licht leuchten zu lassen, zu Nutz und Frommen der geistig minderbemittelten Massen. Englischem Vorbild folgend, sollte die Überlegenheit vor allem an der Sprache erkennbar sein. Das Gegenteil ist oft der Fall: bei erster Gelegenheit verleugnen sie die paar Deutschstunden, während welcher sie nicht geschlafen haben, und schließen sich leichtesten Sinnes dem großen Heer der Sprachreisläufer an. Ich rede hier nicht von den fremden Wörtern und unbegrenzten Begriffen, die sie uns auf ihrem hohen Seil vorgaukeln, sondern von ihrem biedern Werktagsdeutsch, von dem, was „U sein sollte, und von dem sie meinen, es erschließe der Jugend neue, unvorstellbare Gefilde der Sprachreinheit und -feinheit.
Solange wir ihnen nicht unter Zwang zuhören oder ihre Erzeugnisse lesen müssen, schaden sie nicht mehr als einige neudeutsche Dichter, Erzähler und Volkswirtschafter. Gemeingefährlich aber sind sie in den Augenblicken, wo sie sich bei Behörden, beim Funk, bei der Nachrichtenpresse oder als Entwerfer von Gesetzen und Verfasser offizieller Ansprachen eingenistet haben und alsdann tagein, tagaus, in Wort und Schrift, unmittelbar oder durch den Mund gefügiger Sprecher und geplagter Setzer, auf uns einhämmern dürfen oder müssen. Dagegen schützte nur ein Leben in der Wildnis. Ihre stolze Oberflächlichkeit, getarnt mit stiernackiger Rechthaberei, sagt ihnen, daß das, was sie über gutes Deutsch nicht wissen, auch ihre Leser und Hörer nicht wissen. Man erinnere sich, wie unbelehrbar sie wegen der „Meteorologischen Zentralanstalt waren, wegen „gehe statt „geh!, „Stop statt „Halt, „gesendet statt „gesandt, „Maternité" statt „Geburtenhaus (die Geburts-, Schul-, Stadt-, Amts-, Kongreß-, Zucht-, Kranken-, Pfrund- und Armenhäuser sind uns auch heute noch gut genug) usw. Und dafür zahlen wir sie noch! Die Arbeit gewissenhafter Lehrer wird zuschanden; denn soll der Schüler glauben, was ihm der Lehrer angibt oder was eine nie irrende Obrigkeit funkt, auf Schilder malt und in Blättern ausschreibt? Pausenlos wiederholen sie, was falsch und häßlich ist und unser Sprachgefühl abstumpft und schließlich tötet.
Nach eigenem Behagen erdrosseln sie gute Alt-Ausdrücke und ersetzen sie durch „zeitgemäße, nicht immer aus verlorenem oder nie gehabtem Sprachsinn heraus; Ziererei, Neuerungssucht und Unsicherheit spielen mit. Ihre Neuheiten sind indessen meistens Nachäffereien, kein eigenes Gedankengut. Daß sie uns gerade die scheußlichsten Fänge aus irgendwelchen Tümpeln vorsetzen müssen, ob wir wollen oder nicht, steht gewiß in keinem Anstellungsvertrag. Leider habe ich noch nie einen Vertrag gesehen, in dem der Arbeitgeber bessere Kenntnisse der Muttersprache ausbedingt, als jeder Haudegen sie bietet.
Ehrfurcht vor alten Meistern? Abgestreift! Um dem heutigen hohen Stand der deutschen Sprache zu genügen, müßte der „Tell, nach ihrer Meinung, neu „überarbeitet werden; Schiller überhaupt, schrieb er doch viel zu wenig „differenziert. Zu Fürst und Stauffacher spräche dann Attinghausen, stromlinig ausgerichtet auf das hinreißende Amts-, Funk-, Illustrierten- und Kinodeutsch: „seid euch einig, euch einig, euch einig! (Im Appenzellerland ist man zwar heute, wie vor Jahrhunderten, „ähs worde, eins oder einig worden, wenn ein Händel erledigt oder ein Handel zustande gekommen war.) Man spricht nicht mehr miteinander, man bespricht sich. Ich hoffe, die Zeit nicht zu erleben, da man sich fröhlich ist, sich etwas Gutes ißt, sich lacht oder weint; ich will mich vorher sterben.
In den Fluten läppischer Blähungen, überflüssiger Vor- und Nachsilben, nichtssagender Abstraktionen, eitler und wüster Knäuelsätze sind Behörden, Marktschreier, Seelenkenner, Volks- und Funkredner bereits erstickt. Richter, Dichter und Prediger stehen auf Kragenhöhe drin. „Das Hauptthema war die deutsche Frage... Wer auf das unfaßbare Allerweltswort „Frage stößt, soll zuerst fragen, wer denn eigentlich wen und was fragt, Fall, Gegenstand, Sache oder Angelegenheit zählen nicht mehr; dafür haben wir das „Anliegen, das jedem salbigen Redner sein eigenes ist, in Verbindung mit „Verpflichtung natürlich („Es ist mir Anliegen und Verpflichtung).
Eine der neuesten Bescherungen von oben herab sind die „Entwicklungsländer. Was sind denn die Vereinigten Staaten, England und die meisten europäischen Länder, die laufend Neues schaffen? Was sind Indien, Laos, Tibet, Iran, Ceylon, Ghana usw. usw., die trotz Hilfe stillstehen? – Neu ist auch der Beherrscher an Statt des „Herrschers; noch lange nicht jeder Herrscher beherrscht. – Ein hoher Beamter, Dr. phil., mahnte uns, „man müsse einander gegenseitig helfen, und fügte bei „... ich glaube, daß es genüge. Ich glaube, es genüge ohne das „daß"; oder Gautschi aus New York: „Kennedy und de Gaulle waren gegenseitig voneinander beeindruckt. Sagt man unter Freunden nicht einfach „sie hatten einen guten Eindruck voneinander? Und Staub aus Paris: „man setze sich zusammen.... aus wieviel Stücken? Kürzlich hoffte ein Magistrat zuversichtlich. Leser, haben Sie schon ohne Zuversicht und Hoffnung gehofft?
Der Diener ist in der Amtssprache zum Bedienten vorgerückt; folglich müßten die Richter den Betrüger zum Betrogenen umbiegen. Rücksicht ist zu Rücksichtnahme ausgewalzt. Meint man, es töne menschlicher, menschlicher etwa als Rücksichtgabe? Bereiten wir uns vor bald mit Rücksichthabe, Vorsichtsein und Ähnlichem beschenkt zu werden! – Selbst der schwallreichsten Revolverzunge eines amerikanischen Hochdruckverkäufers genügt „Fühlung (Contact); vermutlich um jede Verwechslung mit Fühlunggabe zu meiden, besteht unser Lautsprecher auf Fühlungnahme. Er nimmt nun fortan Fühlungnahme. „Nun genügt ihm übrigens nichts mehr, „nunmehr sagt ihm nunmehr mehr.
In einer Sendung von „Tag zu Tag hörten wir, wie ein schnellzüngiger Berichter die französische Liedlein-Sängerin X in Kloten begrüßte und fortfuhr: „nun lassen wir die französische Star selbst einige Worte sagen .. – Haben Sie das Wort „spätzeitig schon vernommen? Wenn nicht, werden Sie es bald hören, denn schon haben wir frühzeitig. Spät genügt noch, früh nicht mehr, obwohl früh an sich ein Zeitbegriff ist und „zeitig überflüssig macht, besonders wenn man bedenkt, daß die Zeit zeitlos ist.
Eine Ansagerin (Ansagerinnen und Ansager haben zu gehorchen, nicht zu „verbessern“) mußte „... um Berichtgabe an die Polizei hersagen und das Wetter sei „vielfach sonnig; auch „den Beruf hat er mehrfach gewechselt .... Ohne jemand zu fragen, ersetzt man „mal durch“ -fach. („Das wievielte Fach ist er schön gebüßt worden? „Das erste Fach; wievielfach über den Ozean geflogen? „zweifach!.) Ein Ansager mußte durchgeben, es habe sich „verlohnt, ferner „dem Jubilar war es vergönnt, wenn diesem das Schicksal in Wirklichkeit etwas gegönnt hatte (gönnen – Gunst, vergönnen = Mißgunst; in den Mundarten gönnt man einem Menschen einen heiteren Lebensabend, vergönnt oder mißgönnt ihm aber erschlichene Vorteile. Die Mundarten sind im Zweifel oft zuverlässiger als der Duden). Es ist nicht ausgeschlossen, daß, diesem Beispiel folgend, auch der Unterschied zwischen kaufen und verkaufen, heiraten und verheiraten verwischt wird und wir dann nicht mehr wissen, ob es auf das Gleiche herauskommt, ob man jemand heirate oder verheirate. – Man macht kein Hehl mehr daraus, daß das Zeitwort verhehlen am Sterben ist.–
Die Denkfaulheit vieler Verfasser amtlicher Mitteilungen wird unter anderem darin sichtbar, daß heute jeder zweite Satz mit „Nachdem ... beginnt, selbst wenn „seit, „da oder „weil stehen müßte; desgleichen in den ewigen „Verlautbarungen und in der Unzahl „Rahmen, außerhalb deren auf Erden rundweg nichts geschieht. „Verhältnisse gehören zum eisernen Bestand eines Berichters; so streikten denn die Postier in Zürich „für bessere Lohnverhältnisse, nicht allein für den Lohn. Verhältnis hat Zustand, Los, Gegend, Umgebung und Umstand beinahe verdrängt, der Einfachheit wegen. Daß die Behörden nicht ruhig sind, wenn wir ihre Gesetze nur achten, ist eindeutig; sie verschaffen Nachachtung, denn doppelt genäht hält besser. Wer hat zu bestimmen, wieviel verschiedene Wörter in einem einzigen Sammelwort aufgehen dürfen? Jene etwa, die nur kraft eigenen Rechts und dank ihrer Stellung ungestraft und laufend Begriffsgrenzen verwischen? –
Es scheint, beim Rundfunk, gleich wie bei Bundes-, Kantons-, Stadt- und Gemeindeämtern, den Polizei- und Heeresverwaltungen, lasse man nur noch Leute zu (mit abgeschlossener Hochschulbildung), die sich zum kindischen und wandelbaren Abklatschallerlei bekennen und allzeit streben, ihre Sprache zu entwerten. Mit Grausen stellt man fest, wie abgenützt und gleichförmig Stil und Wortwahl vieler dieser Stellen sind. Man muß dies zum Teil begreifen, denn ihre Welt beschäftigt sich, gleich dem Obligationenrecht und dem Zivilgesetzbuch, hauptsächlich mit Sachwerten, denen der Mensch Untertan ist.
Die zunehmende Unfähigkeit unserer Funk- und Amtsredner und -Schreiber, sich an feste Begriffe zu halten, merkte jeder, der einen Tag lang am Empfänger säße und alles, was sinn- und stilwidrig ist, niederschriebe, von den Sendungen „zum neuen Tag (die offensichtlich auf der Annahme beruhen, die Hälfte der Hörer seien Köhler) bis zu den Spätnachrichten. Er müßte zwar ein sehr rascher Schreiber sein! Eine halbe Stunde länger nachgedacht, und wir hätten zum Beispiel keine Mutationen, sondern (militärische) Beförderungen; die wichtige Kunde eines Heerführers hieße nicht mehr Tagesbefehl. Wir hätten auch kein Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA), keine drei Wörter, die im Grunde ein und denselben Begriff ausdrücken. Eine Menge juristischer Sprachzöpfe wären längst abgeschnitten. Wir hätten keine Aktie, weder ein Obligationen-Recht noch ein Zivil-Gesetzbuch, keine Miliz, kein Militär, keine Rekruten und Offiziere und kein Departement. – Eine neue Perle wird nun auch in den Amtsstuben herumgeboten: „ausgelastet. Wissen Sie, was es heißt? Nichts anderes als voll, ausverkauft, voll beschäftigt, ausgenützt, besetzt. Sorgen wir dafür, daß es rasch ausgelachtet wird.
Im privaten Leben findet man der Sprachsünden nicht weniger, seien es geschäftliche oder „schön“geistige. Hier richten sie aber geringeren Schaden an, weil wir nicht verpflichtet sind, Bücher und Anpreisungen zu lesen; über die Sender zu hören bekommen wir sie glücklicherweise noch nicht. Aktien- statt Bier-Brauerei ist weder geistreich noch richtig, ebensowenig der „Timber Room einer zürcherischen Gaststätte. Vermutlich wurden beide, wie eine Unzahl andrer Geschäftswörter, im Alkoholdunst geboren.
Zu der Oberflächlichkeit in einer Reihe von Amtsstuben reiht sich ein beachtenswerter Mangel an Mut. Daß die Amtssprache gewundener sein muß als der Lauf des Jordens, ist klar, denn die Losung unserer Vormünder und Wegweiser heißt Vorbehalt. Sie bringen somit nicht mehr den Schneid auf, Meinungen zu haben: sie vertreten nur noch welche, auch ihre eigenen. Auch nicht den Mut, andere gute Wörter zu gebrauchen als die „andern, denn man will auf keinen Fall aus der Reihe tanzen. Darum Parks statt Pärke, die Autos statt die Auto, Schutztrupps statt -truppen (Deutsch hat keine Mehrzahlendungen mit s), Endzielsetzung statt Ziel. Darum nie mehr Imbiß, Schnaps und Wirtshaus; der neue Heimatstil verlangt Snack, Cocktail, Restaurant und Bar (meistens gewöhnliche Standbeizen oder Spunten mit minderem Bier als in Fuhrmännerkneipen.
Unsichere und alle, die schneller schwatzen als denken, sollten jede mündliche oder schriftliche Kunde an die Jugend meiden. Ich habe hier im einzelnen wohl nur Kleinigkeiten bemängelt; die Summe dieser Nadelstiche kann jedoch unheilbar verletzen. Die Würger unserer Sprache sind gegen Tadel taub und blind; überdies haben sie keine Zeit, ihn zu lesen oder zu hören. So etwa von Vierzig an lernen die meisten Menschen zu ihrem alten, halb oder ganz vergessenen Kram überhaupt nur ungern anderes, als was ihnen höheren Lohn oder größeres Ansehen verspricht. Zu diesem Behufe ist schwätzen oft wichtiger als reden, sudeln einträglicher als schreiben, verdüstern feinsinniger als klären. Manch einer der durch Ton und Schrift zum Volke drängt, ist ob der Wucht und Blütenreinheit seines eigenen Stils derart verzückt, daß nichts ihn retten kann. Aber selbst der tiefste Gehalt eines Gedankens ist nie so stark, als daß ihm ein Lumpengewand, genannt Schluderdeutsch, nicht schadete. Man denke daran, wieviel die englische Bibel durch die Übersetzung in die Gegenwartssprache an Wucht und Poesie verloren hat; eine schlechte Reportage sei aus ihr geworden, hieß es in einer englischen Zeitung. So darf es nicht weitergehen. Man soll sich aus Bequemlichkeit und Denkfaulheit nicht auf die „Lebendigkeit und den „unvermeidbaren stetigen Wandel in der Sprache berufen und so der Sprachleere verfallen.
Ein Sprachgericht mit Wächtern brauchen wir. Kein Amtssatz über die Sender, keiner auf Papier soll uns erreichen, es habe ihn denn ein Wächter gestriegelt. Sprachkenner gibt es genug, besonders unter unverbrauchten Lehrern im Ruhestand; sie bieten auch Gewähr für ruhige Überlegung. „Die Kosten!, werden die Räte und Unterausschüsse händeringend und sorgenfaltig mahnen, denn es geht hier vermeintlich nicht um materielle Gewinne. – Es wird weniger kosten als zwei Handels- oder Militärattaches. – Oder ist etwa mit Dunst und Doppelsinn leichter zu herrschen? W. E.
Mörder unserer Sprache
Autor(en): W.E.
Objekttyp: Article
Zeitschrift: Sprachspiegel : Zweimonatsschrift
Band (Jahr): 17 (1961)
Heft 6
http://doi.org/10.5169/seals-420664
PDF erstellt am: 02.01.2020 ETH-Bibliothek
Zusätzliche Absätze eingefügt! Sa.
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