Deutschlandradio 12.02.2007
In alle Welt verstreut
Jutta Limbach (Hg.), Ausgewanderte Wörter, Hueber Verlag, München 2006, 144 Seiten
Der Deutsche Sprachrat hat im Sommer 2006 die Fahndung nach dem Export ursprünglich deutscher Wörter in alle Welt international ausgeschrieben. In nur einem Vierteljahr gingen über sechstausend Nennungen ein, über hundert sind in diesem Buch abgedruckt. Allein die Erläuterungen sind im wörtlichen Sinn erbaulich.
Die Sprache ist es, was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Befindlichkeiten ausdrücken können auch Tiere und Pflanzen. Aber ein Instrument zu entwickeln, das ähnlich wie das Geld als allgemeines Äquivalent funktioniert das blieb dem Menschen vorbehalten, und wir nützen es bis heute weidlich, wenn auch keineswegs nur zu guten Zwecken.
Sprache verändert sich mit uns und wir uns mit ihr. Sie wandert mit uns, saugt sich voll mit Neuem, lässt Eigenes in die neuen Umgebungen einsickern. Es ist ein ständiger osmotischer Prozess, in dem immer wieder neue Begriffe entstehen. Meistens da, wo auch die Dinge entwickelt werden, die sie bezeichnen. Dass Sprache sich bürokratischer Standardisierung entzieht, wissen wir nicht erst seit dem Chaos der Rechtschreibreform.
Die Idee einer Sprachreinheit ist insgesamt ebenso absurd wie die einer Rassereinheit. Es gibt sie nicht, und das ist gut so. Aber gerade deshalb ist das mediale Geschrei, das wellenartig wider die Überfremdung unserer deutschen Sprache erhoben wird, so lächerlich bis gefährlich.
Der Deutsche Sprachrat eine Arbeitsgemeinschaft aus der Gesellschaft für deutsche Sprache, dem Goethe-Institut und dem Institut für Deutsche Sprache hat darauf im Sommer 2006 mit einer gewitzten Gegen-Welle reagiert: Er hat umgekehrt die Fahndung nach dem Export ursprünglich deutscher Wörter in alle Welt international ausgeschrieben.
In nur einem Vierteljahr gingen über sechstausend Nennungen ein, über hundert sind in diesem Buch abgedruckt. Allein die Erläuterungen sind im wörtlichen Sinn erbaulich. Das häufigste Wort zum Beispiel leitet sich ab von Was ist das? und bezeichnet im Französischen einen Türspion (vasistas), im Ungarischen dagegen das kulturbanausische Verdikt für etwas, das einem zu hoch ist. Das legt ganze kulturhistorische Schichten frei und macht neugierig.
Denn mit der Sprache beginnt das Erzählen von sich, von anderen, von der Welt. Und das dreht sich meistens um die großen Triebkräfte Krieg, Not, Verfolgung für die Migrationen und Arbeit, Essen, Kultur fürs Sesshaftsein. Der blitz ist mit dem Blitzkrieg-Terror ins Angelsächsische, Russische, Italienische gezischt, den Strudel schmeckt, wer sich von Israelis eine Emailadresse sagen lässt: Sie nennen das @-Zeichen so.
Von German angst, einer Art leitmotif und zeitgeist, wenn nicht gar weltanschauung, parlieren gebildete Nicht-Deutsche ebenso gern wie von le waldsterben und realpolitik. Und kaput(t)" ist vermutlich ein ähnlicher Exportschlager wie "(h)alt!
Den größten Spaß an dieser herrlichen, ganz und gar nicht vollständigen und zu immer neuen Funden animierenden Sammlung aber machen die Schreibweisen. Sie bebildern unsere guten alten Wörter aufs Komischste und bringen gleichzeitig den Sprachhumus, auf den sie gefallen sind, zum Klingen oder hören Sie beim vahtimestari (Wachtmeister) etwa nicht finnische Politiker, bei szuflada nicht polnische Flüsse mit?
À propos Schublade wenn Franzosen den bockenden Amtsschimmel verunglimpfen wollen, werfen sie ihm schubladiser vor. Reimportiert etwa: Schübladisieren.
Wer selbst in der Welt herumkommt, dem fallen sofort die abenteuerlichsten Menüs ein. Meine Lieblingsspeisekarte stammt aus einem Restaurant in Mitrovica, Kosovo. Ich weiß bis heute nicht, was besser war der Geschmack oder der Name der shnitsell shatobryan. Darauf ein St.Pauli Girl mit Dirndl auf dem Etikett, aus kalifornischer Bierbraukunst!
Rezensiert von Pieke Biermann
Jutta Limbach (Hg.), Ausgewanderte Wörter
Hueber Verlag, München 2006, 144 Seiten, 19,95 Euro
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/592237/
[So witzig das Schicksal ausgewanderter deutscher Wörter sein mag, ihre Zahl ist doch so bedeutungslos, daß keinem dortigen Muttersprachler in den Sinn käme, darin eine Gefährdung der eigenen Sprache zu erkennen – ganz im Gegensatz zu den Verhältnissen in Deutschland. Daß sich aber der kürzlich gegründete Deutsche Sprachrat unter der Führung von Limbach, Hoberg und Eichinger als erstes dieser an sich unwichtigen Sache annimmt, ist zweifellos ein ideologisch begründetes Ablenkungsmanöver, das von der Sprach- und Schreibverfremdung des Deutschen ablenken soll: Die anderen nehmen ja auch von uns. Nicht umsonst hat sich der Vorstand des Sprachrates auch in der „Rechtschreibreform“ hervorgetan, voran Jutta Limbach (sprachwissenschaftl. Qualifikation?) als seinerzeitige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, die dort für die SPD die „Reform“ durchwinkte, während der jetzige Präsident, Hans-Jürgen Papier, dies für die CDU/CSU betrieb. Dr. Wolfgang Kopke hat dies in der Neuen Juristischen Wochenzeitung deutlich dargestellt:
„Nicht nur die dürftige Argumentation, sondern auch die Umstände des Verfahrens zeigen, dass es dem BVerfG nicht um unbefangene Rechtsfindung, sondern darum ging, der KMK beizuspringen.“ (NJW 49/05)]
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