Herrschafts- oder Gleichschaltungsinstrument?
Der Schreibreformer Peter Gallmann war während der Vor-, Zwischen- und Nachbereitung der „Reform“ ein wichtiger Unsinnsstifter. In der Frühzeit dieses Forums sind ihm hunderte Einträge gewidmet (Suche). Jetzt wird er vom Dudenverlag aufgeboten, um die Katastrophe kleinzureden, die wir ohne die „Reform“ nicht gehabt hätten. Sie bekommt jetzt noch durch die Überfüllung der Schulklassen mit Migrantenkindern eine völlig neuartige Dimension – die natürlich auch wieder fast verschwiegen wird: Tagesspiegel 03.04.2018 12:50 Uhr
Rechtschreibung „Ein Beitrag zur Chancengleichheit“
Wie steht es um die Rechtschreibung und ihre Vermittlung? Ein Gespräch darüber, warum es nicht egal ist, wie wir schreiben.
Im vergangenen Herbst veranstaltete die Dudenredaktion in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema: „Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben“. Der Dudenverlag hat diese Diskussion in einem Buch dokumentiert, das nun erschienen ist. Wir veröffentlichen einen gekürzten Auszug daraus. Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion, Ulrike Holzwarth-Raether, Grundschullehrerin, Hochschulplanerin und Schulentwicklerin, Peter Gallmann, Professor in Jena für Deutsche Sprache der Gegenwart, Burghart Klaußner, Schauspieler.
KUNKEL-RAZUM: Immer wieder gibt es Klagen, dass junge Menschen nicht mehr rechtschreiben könnten. Stimmt das? Gibt es Studien, um das zu belegen?
GALLMANN: Es gibt Studien, aber man muss bedenken, dass über die Jahre hinweg nicht die gleiche Art Menschen gemessen worden ist. Diejenigen, die 1917 ihr Abitur gemacht haben, stammten aus einem anderen Personenkreis als die Abiturienten heute.
Ich glaube, dass die Rechtschreibbeherrschung insgesamt leicht abgenommen hat, ganz einfach auch deshalb, weil die heutigen Schüler und Schülerinnen innerhalb des Deutschunterrichts ein viel breiteres Spektrum an Fähigkeiten zeigen müssen. Früher hat man einen Besinnungsaufsatz geschrieben, das war die Leistung. Heute müssen sie ganz verschiedene Textsorten beherrschen. Da bleibt einfach weniger Zeit, um sich auf die Rechtschreibung zu konzentrieren. Rechtschreibung ist eine Anstrengung, und jede Generation muss Rechtschreibung neu und mühsam lernen.
HOLZWARTH-RAETHER: Ich beobachte in den Einschulungsgesprächen, dass die Kinder heute viel mutiger und autonomiebestrebter sind. Für diese kleinen selbstbewussten Menschen ist es schwieriger, sich an Regeln, auch Rechtschreibregeln, zu halten.
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KLAUSSNER: Freunde, die Lehrer sind, erzählen mir, der Anteil von Kindern aus Migrationsverhältnissen in den Grundschulen der Arbeiterbezirke sei höher, als man sich vorstellen kann. Die Sprachbarriere steige deshalb enorm an, auch die Rechtschreibbarriere. Und das zweite Thema, auf das man sehr deutlich schauen muss, ist die Frage der Digitalisierung. Ich weiß nicht, ob Schreiben mit der Hand oder Tippen auf der Tastatur im Schulalltag heute überwiegt. Die Schreibschrift meines älteren Sohnes ist nicht besonders leserlich und die des jüngeren noch schlechter, weil sie die Schreibschrift praktisch nicht mehr anwenden.
KUNKEL-RAZUM: Welches sind die fehlerrelevantesten Gebiete bei der Rechtschreibung?
GALLMANN: Am anfälligsten ist die Zeichensetzung. An zweiter Stelle kommt die Groß- und Kleinschreibung und erst an dritter Stelle die Getrennt- und Zusammenschreibung.
Ich glaube, bei der Zeichensetzung werden zum Teil beim Unterrichten Fehler gemacht: zu früh, zu disparat, also zu kleinteilig. Die Chancen, die man bei der Vermittlung der Zeichensetzung in der Sekundarstufe II hätte, werden überhaupt nicht wahrgenommen, dort werden nur noch literarische Werke diskutiert. Die formale Seite der Sprache wird vernachlässigt – und gerade in dem Alter sind Schülerinnen und Schüler äußerst aufnahmefähig. Gerade in der Zeichensetzung ist durch die „Reform“ viel Unheil gestiftet worden.HOLZWARTH-RAETHER: Ein großes Problem für die Grundschulen ist, dass viele Kinder mit Sprachdefiziten, Defiziten beim Sprechen und in der Artikulation in die Schule kommen. Dafür gibt es ein Bündel an Gründen. Im Vorschulalter wird zum Beispiel heutzutage viel weniger mit den Kindern gesungen, artikuliert gesprochen und gereimt.
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KUNKEL-RAZUM: Heiß diskutiert im Zusammenhang mit nachlassenden Rechtschreibleistungen wird der Ansatz in der Grundschule, die Kinder erst mal schreiben zu lassen, ohne sie zu korrigieren. Es geht um die Methode „Lesen durch Schreiben“.
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GALLMANN: Gegen den Einstieg, dass man über das Schreiben auch das Lesen lernt, ist überhaupt nichts zu sagen, er funktioniert durchaus.
KUNKEL-RAZUM: Ich gebe persönlich zu, dass ich mich selber zum Teil schwer getan habe, als unser Sohn so unterrichtet wurde. Weil wir als Eltern eben nicht korrigieren sollten, um den Kindern den Spaß am Schreibenlernen nicht zu verderben.
GALLMANN: Das gehört aber gar nicht zur Methode. Nichts verbietet es den Lehrern, sorgfältig zu korrigieren.
KUNKEL-RAZUM: Warum ist denn korrekte Rechtschreibung eigentlich wichtig? Welche Konsequenzen hat es im beruflichen oder im privaten Kontext, wenn Rechtschreibung vernachlässigt wird?
HOLZWARTH-RAETHER: Ich habe auch in der Hauptschule unterrichtet und für mich war immer ein großer Auftrag, dass die Schülerinnen und Schüler dort die Chancen, die sie haben, wirklich wahrnehmen können. Das heißt, Rechtschreibung war für mich ein Beitrag zur Chancengleichheit.
Heutzutage sehe ich, wenn man von Künstlerinnen oder Künstlern eine E-Mail kriegt, dass sie nur so von Rechtschreibfehlern wimmelt – aber das ist irgendwie kreativ und man lässt es durchgehen. Aber wenn ein Hauptschüler sich mit einer fehlerhaften Bewerbung vorstellt, kann es schon sein, dass er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird.
Die Rechtschreibung spielt eben – das ist das Verrückte – nicht bei denen eine Rolle, die es sowieso geschafft haben, sondern eher bei denen, die es nicht schaffen.
KLAUSSNER: Das ist eine absolute Herrschaftsfrage – und auch eine Zivilisationsfrage. Wer falsch schreibt, ist unten durch.
GALLMANN: Ich würde es ein bisschen praktischer sehen. Jemand, der einem anderen etwas mitteilen will, tut gut daran, die äußere Form zu optimieren, weil der Inhalt ernster genommen wird. Und genau das muss man in der Schule vermitteln.
tagesspiegel.de3.4.2018 Was hatte doch der Kultusminister Rolf Wernstedt versprochen? * „Mit der Reform sind wir 90 Prozent unserer Rechtschreibprobleme los.“* Den brachialen Beitrag dazu wollten Gallmann & Co. liefern, und haben es doch nur toll patschigen „Missetätern“ (Reich-Ranicki) gebracht: Th. Ickler: Wenn Sie zum Beispiel die Großschreibung in „heute Abend“ usw. betrachten, müssen Sie dazu auch bedenken, was der heutige Großschreibungsfanatiker Peter Gallmann einige Jahre zuvor darüber gesagt hatte und wie fadenscheinig seine jetzigen Argumente für die Großschreibung sind. Darin folgen ihm die allermeisten Germanisten nicht, und es steht auch im Widerspruch zu den drei Kriterien für Substantive, die im Regelwerk selbst angegeben sind. Das wird sich bestimmt nicht halten lassen. hier
Es ist wiederum bezeichnend für Gallmanns Beitrag, daß er den hergebrachten Schreibbrauch kaum oder gar nicht respektiert. So hat er auch ernsthaft erwogen, die barocke Schreibweise Freundinn wiedereinzuführen, damit Ausnahmen (wie er sie versteht) beseitigt werden... Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß Leid tun nicht die einzige anstößige Neuschreibung innerhalb der Gruppe ist. So spricht gegen Pleite gehen, daß mit gehen keine Substantive, sondern Adjektive (und Partizipien) verbunden werden: kaputt, verloren usw... hier Vorgestern habe ich einen längeren handschriftlichen Text meiner Frau abgetippt. Die Konfusion einer belesenen Literaturkennerin durch den allgegenwärtigen Reformunfug war wieder hautnah spürbar.
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