"Der Apostroph auf dem Weg nach oben"
von Hermann Unterstöger in der Süddeutschen Zeitung v. 29.9.03, München (in der Original-Rechtschreibung):
Grad wenn's am Lautesten kracht, ist die beste Zeit, in sich zu gehen und über die Vergeblichkeit allen Tuns, die gute alte vanitas, nachzudenken. Da dem so ist, erinnern wir uns jetzt, zur Mitte des Oktoberfests, eines vor sieben Jahren an dieser Stelle erschienenen Artikels, in dem behauptet wurde, dass nichts so falsch sei wie der Apostroph, auf Bairisch: s Haggerl, in dem Wort Wies'n. Unsere Argumentation ging dahin, dass es ein Substantiv Wiesen nicht gebe und nie gegeben habe, weswegen auch kein e ausgelassen werden könne, dessen Fehlen durch einen Apostroph angedeutet werden müsste.
Um ehrlich zu sein, hat sich unsere Mahnung nur unzulänglich durchsetzen können. Überschlägig betrachtet, ist die Welt in je ein Wies'n- und Wiesn-Lager gespalten, und dass es bisher zu keinen Glaubenskriegen gekommen ist, mag daran liegen, dass die Wiesn-Fraktion nur zu gut weiß, wie wenig Chancen sie augenblicklich gegen die Leute von der Wies'n-Partei hat. Im Grunde hätte man damals, als unser Aufruf erschien, schon wissen müssen, wie letztlich sinnlos es ist, in Zeiten eines eher zu- als abnehmenden Apostrophenwahnsinns der Reduzierung des Apostrophs das Wort zu reden: Wo sich jede zweite Würstlbude Susi's Brotzeitlad'l oder Helga's grüabig's Stand'l nennt, kann die Besonnenheit zusammenpacken und sich dorthin schleichen, wo der Bart'l den Pfeffer verloren hat oder so.
Da wir aber so schön bei der Sache sind, sei trotzdem generell daran erinnert, dass der Apostroph im Bairischen so gut wie nichts zu suchen hat. In Altötting hat einmal eine Gruppe von Tüftlern versucht, möglichst viele Konsonanten zu ballen. Der dabei erarbeitete (und keineswegs persönlich gemeinte) Merksatz war eine Aufforderung, die Frau Gschwendtner zu verdreschen. Geschrieben sah das so aus: Dreschds d Gschwendnerin! Und alles ohne Apostroph.
|