Lehrer
Auf Kriegsfuß mit der Rechtschreibung
Dienstag, 10.05.2011, 06:14 • von FOCUS-Online-Autorin Melania Botica
[Bild] Experten klagen, dass sich die Rechtschreibkenntnisse von Schülern immer weiter verschlechtern
Sind es nun die Ewiggestrigen oder die ewig Gestrigen, die Fehler im Deutschunterricht machen? Experten monieren, dass die Rechtschreibreform bei manchen Lehrern noch nicht angekommen ist – mit fatalen Folgen für die Schüler.
„Leerer prauchen wier nicht!“ Diesen Satz schrieb der Deutschlehrer eines Gymnasiums in Baden-Württemberg auf eine Wortliste. Ironisch wollte er sein, dabei blamierte er sich nur. Was der Lehrer einer siebten Klasse nicht bemerkt hatte – die von ihm verfasste Liste mit Wortbeispielen zur Groß- und Kleinschreibung und Getrennt- und Zusammenschreibung strotze auch sonst nur so von Fehlern. Die Orthografie war weder der neuen noch der alten Rechtschreibung entsprechend korrekt. Das ist keine Ausnahme, sagen Experten wie der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg und der Deutschdidaktiker Jakob Ossner.
„In der Lehrerausbildung muss sprachliche Bildung – insbesondere in den Bereichen Grammatik und Orthografie – dringend verstärkt werden“, fordert Ossner. Bei Pisa-Studien und Vergleichsarbeiten werde fast nur über Schülerleistungen und Schulsysteme diskutiert, dabei hätten viele Untersuchungen bestätigt, dass auch in der Schule Organisationsfragen nachrangig und die Kriterien für guten Unterricht bei den Lehrern zu suchen sind.“ Ossner fordert einen Eignungstest für künftige Lehramtstudenten: „Lehrer, die sich in ihrer Hilflosigkeit nur noch selbst karikieren könnten (‚Leerer prauchen wier nicht!‘) brauchen wir nicht.“
Lehrer rasseln durch Test
Schuld an der Misere geben viele der Rechtschreibreform von 1996. Sie missglückte und musste zum Teil wieder zurückgenommen werden. „In der ersten wurde zu sehr auf die Schreibweise geachtet, die Semantik ist jedoch zu kurz gekommen“, sagt Kerstin Güthert vom Institut für deutsche Sprache. Die Kultusministerkonferenz reagierte auf den heftigen Widerstand vieler Sprachforscher und setzte den Rat für deutsche Rechtschreibung in Mannheim ein. Dieser sorgte dafür, dass 2006 eine Reform der Reform in Kraft trat. Die Neuerung sollte es ermöglichen, die Getrennt- und Zusammenschreibung je nach Bedeutung unterscheiden zu können: „Sitzen bleiben“ schreibt man auseinander, wenn jemand im wörtlichen Sinne auf einem Stuhl sitzen bleibt. Bei übertragener Bedeutung („in der Schule sitzenbleiben“) ist dagegen Zusammenschreibung möglich.
Trotz der – nach Auffassung der KMK – verbesserten Neuerungen, kamen die Feinheiten bei den Lehrern nicht an. Ein Jahr nach der Reform der Reformen machte FOCUS-SCHULE-Autorin Antje Dohrn auf der Kölner Bildungsmesse Didacta einen Test. Sie baute alle Tücken der neuen Rechtschreibung in einen kurzen Text ein. 177 Lehrer erklärten sich zur Korrektur bereit. Das Ergebnis: nicht einmal die Hälfte der 28 Fehler erkannten die Pädagogen. Ein Lehrer strich zwar 28 Fehler an – es waren jedoch die falschen. „Es ist kein Geheimnis, dass die neue Rechtschreibung nicht in der Schule ankommt und der Rechtschreibunterricht noch immer an vielen Orten vernachlässigt wird“, sagt Eisenberg.
Kreativität geht vor Rechtschreibung
Die Orthografie von Schülern ist so schlecht wie noch nie, klagen viele Sprachdidaktiker. Diverse vergleichende Studien scheinen dieses Argument zu untermauern: Wissenschaftler der Universität Siegen fanden 2004 heraus, dass sich die Fehlerquote in freien Texten von Viertklässlern zwischen 1972 und 2002 verdoppelt hat – von durchschnittlich 6,9 auf 12,9 Fehler pro 100 Wörter. Diese Entwicklung beruht Bildungsforschern zufolge jedoch nicht gänzlich auf der Rechtschreibreform. In den Grundschulen steht das Lesen und das kreative Schreiben im Vordergrund. Vielen Pädagogen geht es darum, bei den Kindern die Lust an der Sprache zu wecken, indem sie sie dazu animieren, phantasievolle Texte zu schreiben. Kontext wiegt dann mehr als die Orthografie, was fatale Folgen haben kann. Denn gerade auf die orthografischen Kenntnisse kommt es an, wenn ein Kind für die weiterführende Schulform empfohlen wird. Auch wenn ein Schüler noch so gute Texte schreibt – ist er durchzogen mit Rechtschreibfehlern, wird er vermutlich für die Hauptschule und nicht fürs Gymnasium empfohlen.
Mit Material von dpa
focus.de 10.5.2011
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