Kultusminister Olbertz im Verhör: „Wir machen sowas nie wieder!“
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DLF, 2.3.2006, 6:47 h:
„Im Jahre 1996 hat die Kultusministerkonferenz ein Monstrum namens Rechtschreibreform beschlossen. Zwei Jahre später, 1998, wurde diese Reform eingeführt an den Schulen [stimmt nicht, in Schleswig-Holstein wurde sie an den Schulen bereits im November 1996 eingeführt, mit Runderlaß des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein vom 5. November 1996, Nachrichtenblatt des Ministeriums, S. 476]. Verbindlich wurde sie in Teilen aber erst im August 2005, und auch das nicht überall; Nordrhein-Westfalen und Bayern wollten nämlich noch abwarten, was der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt. Dieser Rat ist ein Expertengremium aus Anhängern und Gegnern der Rechtschreibreform, das die Kultusminister in ihrer Verzweiflung Ende 2004 gründeten, weil die Kritik an der Reform einfach nicht abreißen wollte. Der Rat hat nun seine Empfehlungen vorgelegt, eine Reform der Reform gewissermaßen, und über diese Empfehlungen beugen sich heute erneut die Kultusminister; Informationen von Lothar Lenz:
– „Ein Großteil der Rechtschreibreform ist bereits seit letztem Sommer verbindlich, über etliche Zweifelsfälle aber hatten der Rat für Rechtschreibung und die Öffentlichkeit vehement gestritten. So kritisierten Sprachwissenschaftler und Schriftsteller die nach ihrer Ansicht sinnentstellende Getrenntschreibung von Wörtern wie fertig_machen oder nichts_sagend. Denn wer etwas nichts Sagendes äußere, sei ja niemand, der nichts sage. Manche Getrenntschreibungen wurden bei der Reform der Reform nunmehr korrigiert, andere sollen erhalten bleiben. Festehende Begriffe wie Erste Hilfe oder Rote Karte sollen künftig wieder groß geschrieben werden dürfen. Auch die Silbentrennung wurde überarbeitet: Einzelne Vokale sollen nicht mehr alleine stehen, auch der Wortstamm soll erkennbar bleiben [was ist denn damit gemeint?]. Beobachter rechnen damit, daß die Kultusminister den Empfehlungen der Rechtschreibkommission folgen werden. Die Präsidentin der Konferenz, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Erdsiek-Rave, forderte auch die Printmedien auf, sich den überarbeiteten Rechtschreibregeln anzuschließen [sich also gleichschalten zu lassen]. Einer jener Politiker, die sich heute über die Reform beugen werden, ist nun bei uns am Telefon, es ist Professor Jan-Hendrik Olbertz, er ist parteiloser Kultusminister in Sachsen-Anhalt,
guten Morgen Herr Professor Olbertz!“
– „Guten Morgen Herr Spengler!“
– „Herr Olbertz, stimmen Sie heute für die Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung?“
– „Ja, ich werden denen meine Stimme geben, weil ich denke, daß damit der gordische Knoten durchschlagen und vielleicht auch das Elend beendet ist.“
– „Ja, ich wollte Sie grad fragen: Weil Sie das überzeugt, was der Rat da vor schlägt und vorschlägt, oder weil damit das leidige Thema Rechtschreibreform vom Tisch kommt.“
– „Geht für mich beides, mich überzeugen die Vorschläge, die der Rat gemacht haben [hat] in der Tat, zumal er eine ganze Menge Unsinn zurückgenommen hat, der vorher dort irgendwie reingeraten ist, aber ich begrüße es auch, weil wir jetzt vielleicht die Lehre ziehen können, aus der Politik heraus eine solche Geschichte nicht noch mal zu machen.“
– „Was überzeugt Sie an den Korrekturvorschlägen besonders?“
– „Daß viel stärker auf die Zusammenhänge von Aussagen wieder eingegangen wird, von denen die Schreibweise abhängig gemacht wird, daß die einheitlichen Wortakzente wieder eine stärkere Bedeutung bekommen wie zum Beispiel anheimfallen, daß man das also wieder zusammenschreibt, auf gut deutsch, und daß eine ganze Reihe von logischen Änderungen wieder drin sind, die den Sinn einer Aussage beinhalten; also (m)aß_halten ist das beste Beispiel für mich, es ist ein Unterschied, ob ich auf dem Oktoberfest ein Maß halte oder ob ich maßhalte in meinem Urteil zum Beispiel über die Rechtschreibreform.“
– „Und das wird also auch wieder entsprechend unterschiedlich verwendet. Mal ehrlich, Herr Professor Olbertz, haben Sie persönlich eigentlich noch den Überblick darüber, wie man was schreiben muß?“
– „Ja, man muß fast sagen, jetzt wieder. Ich hatte den in dieser Zeit, die wir jetzt bis zu den Empfehlungen verbracht haben, eher verloren und war manchmal ziemlich unsicher in der Schreibweise. Vieles, was ich früher als logisch empfunden habe, finde ich ja jetzt in den Regeln wieder, und wenn ich jetzt sagen kann, ich bin ein tierliebender Mensch, und darf das zusammenschreiben, sieht das auch viel besser aus, als wenn ich sage, ich bin ein Tier liebender Mensch.“
– „Ja, aber glauben Sie daß außer Ihnen noch jemand anders im Land zur Zeit weiß, wie er warum orthographisch korrekt schreiben muß?“
– „Na ja, das ist ja ein Teil meiner Kritik, daß wir natürlich durch das ständige Hin und Her die Rechtschreibung auch eher irritiert haben als sie zu vereinfachen, was das ursprüngliche Ziel war, und übersichtlicher zu machen und im übrigen auch in Betracht zu ziehen, was eben einfach über die Zeiten akkredidiert ist durch eine Veränderung der Konventionen, ich denke, daß das eher jetzt einfacher wird, insbesondere dann, wenn wir uns verständigen darauf, daß wir den jetzt erreichten Stand allgemein akzeptieren und auch über eine längere Frist einfach die Entwicklung dann beobachten, ohne da immer wieder einzugreifen.“
– „Das Ziel, das haben Sie gerade selber angesprochen, das war eigentlich, daß das korrekte Schreiben leichter werden sollte für alle. Ist eigentlich, muß man jetzt ehrlicherweise sagen, daß diese Reform völlig gescheitert ist, weil im Augenblick die Verwirrung eben unglaublich groß ist?“
– „Nein, ich glaube, das kann man jetzt nicht mehr sagen. Sie hat zu scheitern gedroht, aber sie hat in der Konsequenz und nach einem quälerischen und viel zu langen Prozeß am Ende glaube ich doch auch unter den deutschsprachigen Nationen einen Konsens herbeigebracht, mit dem ich jedenfalls ganz gut leben kann. Viele Dinge der ersten Rechtschreibreform waren ja auch nicht so unlogisch. Nehmen Sie einmal das Wort Stoffülle, ich habe ja mal gespottet, das hätte uns auf ganz andere Weise beschäftigen müssen als Kultusminister, aber daß das mit drei f grschrieben wird, das ist doch völlig in Ordnung, das ist ein Kompositum aus zwei unabhängigen Substantiven, und daraus ergeben sich nun mal drei f. Ansonsten hätte man das nur durch ne Konventon erklären können, und kleine Kinder, die schreiben lernen [seit wann gehört Stoffülle in den Wortschatz der ersten Klasse?], die werden sich auch auf ne Konventionen nicht einlassen, die wollen eine plausible Erklärung [Joo! Insbesondere im Englischunterricht: light, site, height, guide, byte, died, pride, quite!!].“
– „Das heißt, Sie glauben, für die sieht das nicht so krank aus wie in unseren Augen?“
– „Ja, das glaube ich wirklich, wir sollten auch aufpassen, daß wir die Diskussion nicht womöglich auf neurotische Weise führen, ich glaube, daß die kleinen Kinder sich da schnell dran gewöhnen werden, zumal vieles wieder plausibler, auf den ersten Blick einleuchtend ist, was es eben zwischendurch eine lange Zeit nicht war.“
– „Die FAZ, die F. A .Z., die Frankfurter Allgemeine Zeitung, schreibt, daß der Schaden, den die Kultusminister im letzten Jahrzehnt angerichtet haben, durch die uneinheitlichen Schreibungen in der Schule, in der Belletristik, in den Wörterbüchern einfach nicht mehr wiedergutzumachen ist.“
– „Na ja, das halte ich für ne Übertreibung[Politikerantwort: täuschen, vertuschen, vernebeln]. Ich hab’ ja das immer schon kritisiert, daß sich die Politk daranmacht, die Muttersprache zu normieren [Jede Mutter und jeder Deutschlehrer normiert , und das mit allerbestem Grund. Die Kultuspolitik hat dafür einen sicheren Rahmen zu schaffen.], das ist ein Fehler gewesen, von dem ich aber meine, daß er weitgehend jetzt behoben ist, und also solche, ich sag mal, solche extremen Urteile würde ich hier nicht fällen, zumal sie uns auch keinen Schritt weiterhelfen in der Sache.“
– „Ihre brandenburgische Amtskollegin Johanna Wanka hat gesagt, daß die Kultusminister längst wüßten, daß die Rechtschreibreform falsch war. Stimmt das?“
– „(langes Einatmen) Also, ich jetzt nicht für alle Kultusminister sprechen, ich habe es immer so kommentiert, äm, äh, daß der ganze Modus verkehrt war <unverständlich> hat die Kultusministerkonferenz wiederum den Auftrag dazu bekommen, sich der Sache anzunehmen, wahrscheinlich war der Modus, den man früher hatte, mit der Duden-Redaktion, die eben stillschweigend die Entwicklung beobachtete und ab und zu vorsichtige Anpassungen jeweils mit den Neuauflagen des Dudens vorgenommen hat, das war eine viel intelligentere und angemessenere Lösung.“
– „Warum raffen Sie sich eigentlich nicht auf und sagen: Stopp, alles zurück, wir blasen die ganze Aktion ab, alles bleibt wie vor ’96, wir nehmen uns die Zeit zu einer wirklichen Reform, also zurück zu dem status quo ante, weil einfach zuviel Porzellan zerschlagen worden ist.“
– „Naja, das hängt aber jetzt miteinander zusammen, das würde noch mehr Porzellan, äh äh, zerschlagen, und, äh, Sie werden auch zugeben müssen, daß die Verwirrung dann komplett wäre. Denn dann müßten wir rekaputulieren, hinter das Jahr von 1996, mit Kindern, die da noch nicht mal gelebt haben [Was für ein Argument! Unsere Kinder haben auch 1800 nicht gelebt, trotzdem lernen sie Gedichte von Goethe.]; also, wir dürfen, also, wenigstens jetzt müssen wir uns unserer Verantwortung [Was mag der Kultusminister mit diesem Wort meinen??] bewußt sein, uns mal die junge Generation vor Augen führen, die wir damit komplett herauskapi- äh, katapultie, katapultieren würden aus irgendeiner vernünftigen Idee einer konstanten Schreibweise [Jetzt plötzlich?!?! An gleicher Stelle hieß es von „Reformer“seite früher: Die Rechtschreibschützer usw. wollen ja nur nicht dazulernen.]. Es hat sich im übrigen jetzt ja durch den Vorschlag oder die Empfehlung nicht allzuviel geändert, sondern es sind eigentlich nur die Dinge verworfen worden, die absolut nicht einsichtig gewesen sind. Und, äh, also, zurück ist ja sowieso meistens der schlechteste Rat, auch in der Politik [Wir werden weitermarschieren, wenn alles in Scherben fällt ...][Den Sozialismus in seinem Lauf hält[!] weder Ochs noch Esel auf], würde hier bedeuten, daß die Verwirrung komplett wäre.“
– „Also Augen zu und durch?“
– „Ja, es bleibt uns jetzt nichts andres mehr übrig, wobei ich aber nochmal sagen muß, ich sehe es nicht mehr ganz so negativ, seitdem ich die Regeln und das Wortverzeichnis studiert habe [Nein, Herr Professor Olbertz, die „Regeln“ haben Sie nicht gelesen; und studiert schon gar nicht!]. Vieles ist wirklich geheilt, und deswegen werd ich dem auch zustimmen, und damit leben, und ansonsten würde ich empfehlen, noch einen siebenten Beschlußpunkt heranzuführen, und der würde lauten: Wir machen sowas nie wieder!“ –„Mm ja; glauben Sie, daß der Rechtschreibfrieden auf Dauer jetzt Einzug halten wird, also daß nicht nur die Schulen, sondern auch sich wieder alle Zeitungen [und alle Bücher seit 1902??] dann an die neuen Regeln halten werden?“
– „Naja, es gibt ja, wie Herr Zehetmair gesagt hat, immer Puristen auf beiden Seiten [wo, bitte, auf seiten der „Reformer“? Ich habe allenfalls Maximalisten gesehen], insofern hoffe ich sehr auf den Rechtschreibfrieden, aber es wird natürlich immer mal wieder Streit geben [sonderbar, die Jahrzehnte davor gab es keinen Streit um die Rechtschreibung!], und, äh, es sind ja auch ein paar Wichtigtuer mit im Geschäft, also insofern, äm, kann ich das nicht ausschließen, aber alles in allem wird sich die Diskussion beruhigen, und es ist auch notwendig, find ich, auch aus dem pädagogischen [Was meinen Herr Professor mit diesem Fremdwort?] Gründen, die eine Schule geltend machen kann, denn die Kinder müssen sich darauf verlassen können, was wird als Fehler angestrichen und was nicht, und, äh, wie ist eigentlich die Normsprache [siehe oben – dort wollten Herr Professor nicht normen], denn das ist ja die Grundlage für geordneten Unterricht in den Schulen.“
– „ Und daß der Rat für deutsche Rechtschreibung, der da jetzt gegründet worden ist vor ein paar Jahren, daß der weiter die Sprachentwicklung beobachten soll und möglicherweise auch künftig weitere Sprachempfehlungen abgeben soll, das halten Sie auch für in Ordnung?“
– „Ja, das halte ich für in Ordnung, wenn wir uns darüber verständigen, was damit gemeint ist, also wenn das ähnlich wie bei der Duden-Redaktion so passiert, daß allmähliche Entwicklungen in unserer Muttersprache beobachtet, dokumentiert, aufgezeichnet werden und, in größeren Abständen allerdings, dann Empfehlungen gegeben werden, wie man die Sprache, die ja auf natürliche Weise in Bewegung ist, auch im offiziellen Bereich immer mal wieder anpaßt, dann ist das in Ordnung. Aber wenn wir jetzt jedes Jahr einen riesen Beschlußkatalog vorgelegt bekämen, der sozusagen ständig in die Entwicklung der Sprache hineininterveniert, dann würde ich mich da mit Verve dagegenstellen.“
– „Das war der Professor Jan-Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Herr Professor Olbertz, ich danke Ihnen für das Gespräch!“
– „Ja, ich danke Ihnen auch Herr Spengler, wiederhören.“
– „6 Uhr 58, zwei Minuten vor 7“
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Hervorhebungen und Anmerkungen [...] durch mich.
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Detlef Lindenthal
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