Neue Wörter; Tuwort+Tuwort in den Fachsprachen
Walter Lachenmann schrieb:
>>„Was den Text angeht, so spricht man vom Korrektur(en)lesen. Prüflesen ist kein gängiger Begriff in diesem Bereich, klingt sehr fremd und reingeschmeckt, kommt eigentlich – soweit ich sehe – gar nicht vor. “<<
Lieber Herr Lachenmann, wenn alle so wenig Sprachmut hätten wie Sie, würde es heute weder Bahnhof noch (Zug-)Abteil noch Fahrkarte geben. Das neue Wort prüflesen hat den Vorteil, daß jedes Schulkind es in etwa und ohne langes Erklären versteht.
Das Sprachempfinden „sehr fremd und reingeschmeckt“ werden nur wenige Menschen teilen, denen die Wendung Korrektur lesen ans Herz gewachsen ist; keiner meiner Kunden, Mitarbeiter und Schüler hat prüflesen je beanstandet. Übrigens sehe ich die Wortbildung so wie bei schneidbrennen (mit Azetylen und Sauerstoff) oder trennschleifen (mit dem Trennschleifer, der Flex, dem Winkelschleifer, welche gleichbedeutend sind). Sinnvolle Anwendungen sind selten, aber deutlich: „Mit dieser Maschine kann man besonders gut trennschleifen“ oder: „Die Auszubildenden sollen können: auftragschweißen, schneidbrennen, trennschleifen.“ – Hierfür noch ein hübsches Zitat aus dem Netz:
„Especially productive in German are double verb compounds, e.g. trennschleifen (cut off by grinding); spritzgießen (make a molding with the help of an injection molding machine); streckziehen (stretch-form).“ (www.ncta.org/html/art1.html)
Gerade die Fachsprachen haben einen hohen Bedarf an noch genaueren Wörtern, und dafür sind Zusammensetzungen Tuwort+Tuwort nützlich. (Übrigens, die Fachsprachen sind es, mit denen der Mehrwert geschaffen und das Geld verdient wird. Ohne Fachsprachen kein Erdgas, kein Kraftverkehr und keine Bananen.)
Je mehr sich die Schreiber in diesem Forum sicher sind, daß es jenes Wort prüflesen eigentlich gar nicht gibt, um so ungetrübter ist meine Freude, daß ich es erfunden habe. Danke!
Wenn ein Abiturient (grob geschätzt) jedes zweite Wort aus dem Duden kennen soll, so muß er vom 2. bis zum 19. Lebensjahr, also in 17 Jahren, etwa 60.000 Wörter lernen; das sind rund 10 Wörter an jedem Tag; auch im Kindergarten, auch sonntags und auch in den Ferien. Wörter wie Korrektur oder Billet oder Perron lassen sich schlechter lernen und auch behalten als Berichtigung, Fahrkarte, Bahnsteig, Hausschuh, Regenrinne, Affenstall, Hasenstall, Kaninchenstall, Kuhstall, Pferdestall, Hühnerstall – etliche dieser Wörter kennt der Mensch, auch wenn er sie bisher noch kein einziges Mal gehört hat.
Auch das von Professor Ickler der Kürze wegen gelobte Wort bat ist weniger gut als die gute alte deutsche Fledermaus: Letzeres Wort läßt sich ohne weiteres nach einmaligem Hören mindestens im Passivwortschatz behalten, denn Maus ist bekannt, und für mittelmäßig begabte Kinder ist es einfach, die gedankliche Brücke von Fleder- zu Flatter- zu schlagen.
In meiner Kindheit hatte mein Bruder eine blecherne Lötlampe aus DDR-Produktion mit eingeprägtem Fledermausbild und den drei Buchstaben BAT. Hätte dort Fledermaus gestanden, hätte ich den Zusammenhang sicherlich buchstabierend ergründet; BAT brachte ich eher mit der Abkürzung British American Tobacco in Verbindung, welche auf den Lithfaßsäulen an meinem Schulweg zu sehen war.
Die Wortzusammensetzungen im Deutschen sind eine große Stärke dieser Sprache; deswegen finde ich die neuen Wörter (und teilweise Übersetzungen) prüflesen, Netzpost, Netzziel, (Netz-)Knoten, Rasterkasten, Festplatte, herunterladen, Hartware, Weichware, Mäusewiese, Mäuseklavier, Klappwegweiser gut.
Wo wir bei den deutschen Wörtern sind: Bemerkenswert ist, daß die Verdeutschung Triebwerk es „nur“ bis zu den Turbinen-Motoren der Flugzeuge geschafft hat und immerhin einmal bis in eine Werbeanzeige von BMW; und Wagen muß wohl mindestens Ledersitze haben und breite Schlappen; sonst sagen wohl die meisten Leute Auto dazu.
Gruß,
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Detlef Lindenthal
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