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Sigmar Salzburg
24.11.2010 13.37
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Ludwig Wittgenstein

Lieber Russell!
Dank Dir vielmals für Deinen lieben Brief. Ehrlich gestanden: es freut mich, daß mein Zeug [Tractatus] gedruckt wird. Wenn auch der Ostwald ein Erzscharlatan ist! … Ich traue dem Ostwald zu, daß er die Arbeit nach seinem Geschmack, etwa nach seiner blödsinnigen Orthographie, verändert.

Ludwig Wittgenstein an Bertrand Russel 28. November 1921

[Cambridge letters: correspondence with Russell, Keynes …]

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Sigmar Salzburg
18.10.2010 15.43
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Der Physiker und Philosoph Ludwig Boltzmann

Klaus Achenbach
trug bei Sprachforschung.org folgendes Fundstück ein:

Zufällig stieß ich auf das „forwort“ aus den Populären Schriften von Ludwig Boltzmann (1905):

ich musste mir in meinen lezten büchern di neue ortografi
gefallen lassen, di zu erlernen ich zu alt bin; so
möge man sich hir im forworte di neueste ortografi gefallen
lassen. ich glaube, man soll di abweichungen fon
der fonetik, wenn man si nicht ganz ferschonen will, dann
schon alle hinrichten. wenn man dem hunde den schwanz
nicht lassen will, schneide man in mit einem griffe ganz ab!


sprachforschung.org 18.10.2010

P.S.: Ich sehe gerade, daß ich das Zitat schon vor sechs Jahren hier eingetragen habe.

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Sigmar Salzburg
01.08.2010 16.04
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Gutherzige Fraktur

Robert Walser „Poetenleben“ Genf und Hamburg 1967.
Im Nachwort des Herausgebers:

Walser hatte auch eigene Vorstellungen über die zu wählende Schrift. Als ihm der Verlag eine Satzprobe vorlegte, antwortete er, er «sei der Meinung, daß sich für das Seelandbuch, dessen Charakter vorwiegend naturhaft ist, Fraktur besser eigne wie Antiqua. Nur ungern würde ich in die mir freundlich eingesandte Druckart einwilligen, die mir nicht sonderlich gefallen will, da sie mir zu hart erscheint. Fraktur hat immer etwas Warmes, Rundliches, Gutherziges. Ich möchte sie daher für meine Schriften bevorzugen … »
(26.10.1918 an den Rascher Verlag, Zürich).

[Walser konnte sich nicht durchsetzen.]

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Sigmar Salzburg
31.05.2010 20.02
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Franz Thierfelders Reformplädoyer 1946

In meiner Sammlung fand ich ein Heft „Pandora“ von 1946 (Aegis Verlag Ulm), Schwerpunktthema „Sprache und Schrift“. Den darin enthaltenen gegensätzlichen Standpunkten ist einleitend einiges aus der „Deutschen Grammatik“ von Jakob Grimm vorangestellt. Danach folgt auf einen Text in Kleinschreibung ohne Verfasserangabe – in Fraktur gedruckt – Thierfelders „Schönheit des Schriftbildes – Eine Verteidigung der Großbuchstaben“. Er kommt aber sehr schnell auf sein Hauptanliegen, nämlich die Einleitung einer Rechtschreibreform, die sich nahtlos an die gescheiterte Rustsche Reform angeschlossen hätte. Die Ähnlichkeiten mit dem Ablauf fünfzig Jahre später sind auffällig, manche Unterlassungen verhängnisvoll. Anscheinend ist ihm aber nie der Gedanke gekommen, daß man mit der vorhandenen Rechtschreibung auch noch einige Jahrhunderte gut leben könnte:

… An sich ist der Zeitpunkt, in dem die Reform mit einem Minimum an Kosten durchgeführt werden könnte, gekommen; ein bedeutender Teil unseres nationalen Schrifttums, gerade auch des älteren, muß neu gedruckt werden, und ein erschreckend hoher Prozentsatz unserer Bücher wurde durch den Krieg vernichtet. Empfohlen werden kann die Reform jedoch nur dann, wenn sie nicht nur in allen Zonen Deutschlands, sondern auch in den Gebieten jenseits unserer Grenzen eingeführt wird. Die Sprache ist vielleicht das wichtigste einigende Band, das uns nach der Katastrophe geblieben ist, das Symbol, an dem wir uns untereinander noch erkennen, das einzige auch, das wie in früherer Zeit unser geistiges Leben mit der außerdeutschen Welt verknüpft. Wir müssen ernstlich prüfen, ob wir heute schon innerlich soweit gesammelt sind, daß wir die orthographische Erneuerung objektiv und maßvoll durchführen können. Die früheren erregten Aussprachen in Aufsätzen, Broschüren und Diskussionen haben gezeigt, daß sich viele zu Wort melden, die unsachliche Nebenabsichten verfolgen; es wäre zu bedauern, wenn die Reform der Rechtschreibung als neuer Erisapfel in unser gespaltenes, noch immer tief beunruhigtes Volk geworfen würde.

Wem auch immer die Reform zur Durchführung anvertraut werden sollte, der darf eins nicht vergessen: jeder Radikalismus macht den gewünschten Erfolg unmöglich, weil er Teile der deutschen Sprachgemeinschaft mit Sicherheit veranlaßt, ablehnend beiseite zu treten. Die Festsetzung einer Rechtschreibung ist nie ein Akt gewesen, der für „die nächsten tausend Jahre“ gilt; wie sich die Sprache unaufhaltsam, bald langsamer, bald schneller wandelt, so auch die Schreibweise, und es gibt mancherlei Änderungsbedürftiges, was man zweckmäßig erst auf der nächsten Konferenz erledigen wird. Denn jederzeit weist die Sprache eine Menge von Fällen auf, in denen der Gebrauch schwankend geworden ist, ohne daß man bereits klar sieht, nach welcher Seite sich das Sprachbedürfnis der Volksmehrheit endgültig entscheiden wird. Ein Entschluß, der heute noch heftigen Widerspruch und damit unnötigen Kostenaufwand bewirken würde, ist morgen vielleicht des allgemeinen Beifalls sicher. Auch ist aus technischen Gründen die stufenartige Anpassung der Schreibung an die Sprachentwicklung zu empfehlen; zwar entsteht niemals „endgültig“ Ruhe, nach der die Geistesträgen so sehr verlangt, dafür wird der Sprung von einer Reform zur anderen nicht so groß, daß zwischen dem bisher gültigen und dem neu zu druckenden Schrifttum eine schwerüberbrückbare Kluft entsteht. Es wäre zu prüfen, ob nicht etwa aller [!] dreißig Jahre eine Rechtschreibreform stattfinden sollte; in der dazwischen liegenden Zeit wäre von einer dazu berufenen Stelle das Material zu sammeln, das die Konferenz zu begutachten hätte.

Welche Stelle freilich ist dazu berufen? Die Frage ist heute schwerer zu beantworten als früher, da es deutsche Zentralinstanzen verschiedenster Art gab, die das Recht der sprachlichen Betreuung glaubten für sich in Anspruch nehmen zu können. […] Wo ein solches Sprachamt am zweckmäßigsten zu errichten wäre, soll hier nicht erörtert werden; dagegen darf man sich sehr wohl schon jetzt Gedanken über seine mögliche Zusammensetzung machen, denn von ihr hängt der Erfolg einer Reform nicht zuletzt ab.

Sprachpflege ist nicht, wie man bei uns lange geglaubt hat, eine Beschäftigung für Musestunden [!] sprachbeflissener Dilletanten [!]; ebensowenig aber ist sie ausschließlich Angelegenheit der Sprachgelehrten. Die praktische Bedeutung und Anwendung der Sprache im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben ist so groß geworden, daß in vielen Fällen philologische Gesichtspunkte allein nicht mehr entscheidend sind. Zwar wird der Fachgermanist nach wie vor als Berater bei allen orthographischen Überlegungen und Entscheidungen unentbehrlich sein, nicht weniger aber wird man des Journalisten, des Rundfunks, des Verlegers, des Dichters, des Buchdruckers, des Verwaltungsbeamten, des Industriellen und nicht zuletzt des Sprachlehrers und Pädagogen bedürfen. Die Aufzählung will nicht vollständig sein; es werden sich noch andere Gruppen melden und ihr besonderes Interesse an der Rechtschreibreform bekunden. Denn tatsächlich handelt es sich hier um eine der wirklich allgemeinen Volksangelegenheiten, die den Greis wie den Schüler, den Minister wie seine schlichteste Schreibhilfe betreffen. Ein ständiger Ausschuß für Fragen der Rechtschreibung wäre also auf breiter demokratischer Grundlage zu bilden, in dem die strittigen Fragen der Orthographie geklärt werden müßten. Ist in Deutschland wieder ein Sprachamt vorhanden, dann würde dieser Ausschuß einen Teil von ihm bilden. Zunächst aber könnte er auch ganz für sich bestehen, denn allein durch sein Vorhandensein ließen sich unerwünschte Sonderverfahren mit ziemlicher Sicherheit vermeiden. Ich erinnere daran, daß sich bereits voriges Jahr Lehrertreffen in Mittel- und Norddeutschland für radikale Eingriffe in die gegenwärtige Rechtschreibung ausgesprochen haben; was damals Absicht blieb, könnte morgen rasch verwirklicht werden.

Über die Organisation einer sprachpflegerischen Zentralstelle mögen die entscheiden, die dazu berufen werden; hier soll nur eine Forderung vertreten werden, die in Deutschland nicht laut genug erhoben werden kann: die Sprachpflege ist zwar eine Angelegenheit behördlichen Interesses, nicht aber behördlicher Betätigung. Wenn die Sprachpflege nicht von dem freien Willen der geistig interessierten Schichten einer Nation getragen wird, dann ist es besser, die Sprache dem Wildwuchs zu überlassen, der nie so viel verderben kann wie eine seelenlose Verwaltung.

Fassen wir noch einmal kurz zusammen, was vom Standpunkt vorsichtigen Bewahrens zur Rechtschreibreform zu sagen ist: die Erneuerung ist notwendig, sie sollte bald geschehen, gleichzeitig aber auf eine Grundlage gestellt werden, die die organische Fortentwicklung der Schreibung in Zukunft gewährleistet. An der Reform ist das ganze Volk interessiert und dementsprechend zu beteiligen. Da unsere Muttersprache das Fundament unseres Daseins in geistiger Hinsicht bildet und in ihrer Wirkung über die politischen Grenzen hinausreicht, darf die Reform erst dann durchgeführt werden, wenn die Anerkennung ihrer Ergebnisse im ganzen deutschen Sprachbereich gesichert ist.

Franz Thierfelder (1896 -1963) deutscher Publizist, Sprachwissenschaftler und Kulturpolitiker.
In der biographischen Notiz zu Thierfelder heißt es im vorliegenden Heft zu seiner vorhergehenden Tätigkeit nur: Seit 1926 war er, zuletzt als Generalsekretär, an der deutschen Akademie. Als diese nach 1933 politisiert wurde, schied er aus.

Wikipedia erwähnt: 1926 wurde er Pressereferent, 1930 Generalsekretär der Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums (Deutsche Akademie) in München, die er in den nächsten Jahren schwerpunktmäßig auf „Sprachförderung im Ausland“ ausrichtete. Angesichts des wachsenden politischen Einflusses der Nationalsozialisten unternahm der konservative Thierfelder „karrierebedingte Anpassungsleistungen“. [mit Beispielen]

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Sigmar Salzburg
21.05.2010 04.28
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Familie Mozart

Wohlen sie leb, sunden sie geschlaf!

Als die Bildungsbürger im achtzehnten Jahrhundert Hochdeutsch lernten, war auch der Aufsteiger Leopold Mozart dabei. Der Vater des Musikgenies trieb seiner Familie die Mundart aus – das war kein Zuckerl nit.

Von Wolfgang Krischke

13. Mai 2010

Leopold Mozart war nicht nur Komponist und Musikpädagoge, sondern auch Sprachkritiker. Wolfgangs Frau Constanze fürchtete, ihr Schwiegervater würde sie „über ihre orthographie und Concept auslachen“, und zögerte deshalb, ihm überhaupt zu schreiben. Den Verleger, der seine „Violinschule“ herausbrachte, belehrte Leopold, wann es zweyte oder zwote heißen musste, er verordnete ihm das Dativ-e (dem Tacte), diskutierte über erforderet oder erfordert und verlangte, ereignen durch eräugen zu ersetzen, weil sich das Wort von „Auge“ herleitet.

Leopold, der Deutschmeister der Familie, richtete sich nach den grammatischen Regeln, die der Leipziger Professor Johann Christoph Gottsched dekretierte. …

[Das erinnert an die Pedanterie der Schreibreformer, die das Wort „behende“ nach tausendjähriger Trennung gewaltsam wieder an die „Hände“ anbinden wollen.]

Gottscheds Normen waren das Destillat einer jahrhundertelangen Entwicklung, zu der das Bibeldeutsch Luthers und die Schreibpraxis der politisch einflussreichen sächsischen Kanzleien wesentlich beigetragen hatten. …

Auch Wolfgang streute in seine Jugendbriefe noch mundartliche Wendungen ein (kein zuckerl nit). Seit seinen Reisen nach Mannheim und Paris 1777 aber orientierte er sich wie der Vater am Gottschedschen Hochdeutsch, das für ihn auch eine Befreiung von der provinziellen Enge Salzburgs symbolisierte.

Aber als begnadeter Wortjongleur legte er die Mundart nicht einfach ab, sondern machte sie ebenso wie fremdsprachliche Wendungen, Jargonausdrücke oder das gestelzte Kanzleideutsch zum Material seiner Sprachspiele: „Est-ce que vous avez compris? redma dafia Soisburgarisch den es is gschaida.“ Lange vor Dada und den Experimenten der konkreten Poesie demontierte Mozart die Grammatik und komponierte mit ihren Formen bis dahin nicht gehörte Sätze: „Wohlen sie leb, sunden sie geschlaf!“

faz.net 13.5.2010

(„Sprachvariation im achtzehnten Jahrhundert. Die Briefe der Familie Mozart“, in: Zeitschrift für Germanistische Linguistik, Heft 37.1 und 37.2, 2009).

Anmerkungen: Mozarts Sprachspiele, besonders in seinen bekannten derben Bäsle-Briefen, machen ein wenig sichtbar, wie sein Geist schöpferisch arbeitete: Hundertfache Variationen eines Themas sind gleichzeitig präsent oder werden in schneller Folge erfunden. Im Musikalischen konnte er dann die beste Version fehlerlos aufzuschreiben.

[Mannheim 5.11.1777] Allerliebstes bäsle häsle! Ich habe dero mir so werthes schreiben richtig erhalten falten, und daraus ersehen drehen, daß der H: vetter retter, die fr: baaß has, und sie wie, recht wohl sind hind; …

Alle Briefe Mozarts zeigen den lebendigen Gebrauch des „ß“, wie er seit vierhundert Jahren üblich war und noch weitere 200 Jahre andauerte, bis die bekannte Kultusbanausen-Mafia den Würgegriff ansetzte. Die folgenden Zitate stammen aus dem Inseltaschenbuch 128, in dem sinnvoll die Briefe in Fraktur gedruckt sind, so daß auch die Unterscheidung der s-Längen erkennbar bleibt.

Wien, den 16.Juny 1787
Liebste Schwester! Daß Du mir den traurigen und ganz unvermutheten Todesfall unseres liebsten Vaters nicht selbst berichtet hast, fiel mir gar nicht auf …

[Wien, März 1790 …an Puchberg] Hier schicke ich Ihnen, liebster Freund, Händels Leben. – Als ich letzhin von Ihnen nach Hause kam, fand ich beyliegendes Billet von B. Swieten. Sie werden so wie ich daraus sehen, daß ich nunmehro mehr Hoffnung habe als allzeit.

[Aus dieser Biographie hatte ich hier schon zitiert. Mozart nahm also Anteil am Wirken anderer großer Musiker.]

Parigi li 30 di giuglio 1778. [An Aloysia Weber] Carißimia Amica! La prego di pardonarmi che manco questa volta d’inviare le variazioni per l'aria mandatami – ma stimai tanto neceßario il rispondere al più presto alla lettera del suo sig: Padre, …

[Man sieht, daß das „ß“ auch im Italienischen noch gebräuchlich war.]

[26. Nov. 1777, Nachschrift des Elfjährigen in einem Brief der Mutter]
Nun muß ich schlieſſen weil ich keinen Plaz mehr habe zum schreiben …

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Sigmar Salzburg
08.12.2009 10.30
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Friedrich der Große

„Alle Religionen seind gleich und guht, wan nuhr die leute, so sie profesieren, erliche Leute seindt; und wen türken und heiden kähmen und wolten das land pöblieren, so wollen wier sie Mosqeen und Kirchen bauen.“ So weit Friedrich der Große von Preußen, der von Orthografie wenig, von Liberalität dafür mehr verstand als mancher Heutige.

welt.de 5.12.09

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Sigmar Salzburg
29.09.2009 07.59
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Wilhelm von Humboldt

Zu den deutschen Texten des 19. Jahrhunderts, die in Antiqua erschienen, aber das „ß“ in der damals üblichen Form darstellten, zählen auch die Erstausgaben der Abhandlungen von Wilhelm von Humboldt:

Indem ich die gegenwärtige Schrift dem Publicum übergebe, wünschte ich vorzüglich, daß sie dazu dienen möge, andere Untersuchungen über die Urbevölkerung des ganzen westlichen und südlichen Europa daran anzuschließen. In den bisherigen bleibt unläugbar noch Vieles ungewiß und dunkel.

Wilhelm von Humboldt
„Prüfung der Untersuchungen über die Urbewohner Hispaniens vermittelst der Vaskischen Sprache“ Berlin 1821


Indem die Sprachen nun also in dem von allem Mißverständniß befreiten Sinne des Worts Schöpfungen der Nationen sind, bleiben sie doch Selbstschöpfungen der Individuen, indem sie sich nur in jedem Einzelnen, in ihm aber nur so erzeugen können, daß jeder das Verständniß aller voraussetzt und alle dieser Erwartung genügen.

Wilhelm von Humboldt
„Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus“ Berlin 1836



Später übernahm man statt des ineinandergeschobenen, unverbundenen Buchstabenpaars aus Lang- und Rund-s das originale „ß“ aus dem italienischen Renaissance-Alphabet. Das war aber auch im Deutschland des 16. Jhdts. nicht unbekannt, wenngleich zusammenhängende deutsche Texte immer in Fraktur gedruckt wurden. Einschübe in anderen Sprachen erschienen dann wieder in Antiqua.

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Sigmar Salzburg
20.09.2009 08.49
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Sinnvolle Rechtschreibung 1785

Ich lese gerade im Faksimile: „Dr. Karl Burney’s Nachricht von Georg Friedrich Händel’s Lebensumständen … Aus dem Englischen übersetzt von Johann Joachim Eschenburg, Professor in Braunschweig“ Berlin und Stettin 1785.

Nachfolgend einige damals (bis heute) übliche Schreibweisen, die jetzt nach zweihundert Jahren von den Kultusministern verboten wurden oder sinnlos zum Abschuß freigegeben:

… nicht eher, als bis ein berühmter Mann schon eine Zeitlang verstorben ist, fangen die Nachforschungen und Vermuthungen an. (III)

„Ich weiß gewiß, sagt Mattheson, wenn er dieses liest, wird er im Herzen lachen; denn äußerlich lacht er wenig. Insonderheit, falls er sich des Taubenkrämers erinnert, der mit uns damals auf der Post nach Lübeck fuhr…“ (X)

Er blieb eine Zeitlang zu Florenz, wo er die Oper Rodrigo verfertigte.(XVI)

Bei dem Kardinal Ottoboni, bey dem Händel sich sehr in Gunst setzte, hatte er zum öfteren Gelegenheit, den naturvollen, sanft fühlenden Corelli seine eigenen Stücke spielen zu hören. (XVI)

[Der Sänger Janson verfehlte die richtigen Töne] … so arg, daß Händel ihn aufs derbste anfuhr, in vier bis fünf Sprachen fluchte, und zuletzt in gebrochenem Englisch ausrief: „Du Schuft du, sagtest du nicht, du könntest vom Blatt wegsingen“? – „Ja, Herr Kapellmeister, sagte Janson, das kann ich auch; aber nicht gleich das erstemal.“ (XVI)

An einem Abend … hatte [Orchesterleiter] Dubourg eine Solostimme zu einer Arie zu spielen, und eine Cadenz ad libitum zu machen. Er irrte in verschiedenen Tonarten eine Zeitlang umher [und als er endlich beim Schlußtriller zurückfand, rief Händel zur Belustigung der Zuhörer:] „Willkommen zu Hause, Herr Dubourg!“ (XXXVII)

Er war zufahrend, rauh und entscheidend in seinem Umgange und Betragen; aber ohne alle Bösartigkeit und Tücke. (XLI)

Bey aller Rauhigkeit seiner Ausdrücke aber, und bey aller seiner Fertigkeit im Fluchen, welches damals mehr, als itzt, Mode war, verdient Händel doch das Lob eines redlichen und frommen Mannes. (XLIII)

Sonntags Abend fand er gewöhnlich den Schauspieler Quin in ihrem Hause, der, seiner natürlichen Rauhigkeit ungeachtet, ein großer Liebhaber der Musik war. Mrs. Cibber bat Händel’n gleich das erstemal, als Quin da war, sich ans Klavier zu setzen; und ich erinnere mich, daß er die Ouvertüre zum Siroe spielte, und uns alle durch die außerordentliche Nettigkeit entzückte, womit er die Gique am Schluß derselben spielte.(XLII)

In manchen Stük-ken …. (S.23)

[Fußnote des Übersetzers zu „Apostel“:] In unserem Tedeum heißen sie Zwölfboten, eine vor und zu Luthers Zeiten gewöhnliche Benennung der Apostel, die man nicht getrennt in zwey Worten schreiben sollte. E. [vergl. „Hohepriester“, reformiert: „Hohe Priester“] (S.24)

Eine gefällige wohlklingende Stimme … (S.42)

[Beim Erklingen der auf der Naturtrompete nicht rein spielbaren Quarte] … sah man Mißvergnügen auf jedem Gesichte, welches mir ungemein leid that, … (S.69)

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Sigmar Salzburg
23.05.2009 07.54
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… liebe genossen

In einer Glosse des ORF v. 12. Mai 2009 behauptet ein Marc Carnal, „genießen“ käme von „niesen“ und seit der Rechtschreibreform schriebe man „genießen“ mit „ß“. Beides ist natürlich völliger Unsinn:

Erst im Rahmen der Rechtschreibreform schreibt man 'genießen' mit sz*.
* Ich möchte an dieser Stelle der Süddeutschen Zeitung den Slogan
„Genießen – mit SZ“
zum Vorzugspreis anbieten

http://fm4.orf.at/stories/1602830/

Selbstverständlich sind seine unterleiblich betonten Anmerkungen in „neuer“ Großkotzschreibung verfaßt:

Schon die Idee eines Kitzels auf meinen glücklicherweise recht empfindlichen Schleimhäuten lässt mich meine Hände reiben, die ich mir selbstverständlich im Beisein Anderer beim geglückten Atemswegs-Cumshot vor die Nase halte.

Das einzig Interessante an dem Text ist darin das Zitat aus Konrad von Megenbergs „Buch der Natur“ von etwa 1350:

Diu nase ist ain sidel der smeckenden kraft der sêl, die derkent ainen smach vor dem andern. der nasen nutz ist auch, daz der mensch den âtem zeuht durch die nasen und daz er dâ mit niest und sich saubert von der wüestigkait des hirns. daz niesen geschiht von dem, daz sich in der luft wegt in dem hirn und die fäuhten auztreibt. ez ist auch ain unverschrôten weg des auswendigen lufts mit dem inwendigen nâtürleichen luft, der beslozzen in den behenden âdern, die entspringent in dem herzen und gênt auf in daz hirn. Dû scholt auch wizzen, daz des smackes sidel ist oben in der nasen …

So fern uns zeitlich dieser Text steht, gibt es doch in der Rechtschreibung auch beachtenswerte Konstanten.

Dem Schreiber des Textes ist das „ä“ durchaus bekannt, aber er denkt nicht daran, „auswändig“ „inwändig“ oder „behände“ zu schreiben. Erst 650 Jahre später fiel es unseren Schulpolitikern ein, per Erlaßdiktatur das letztere mit „e“ für strafbewehrt falsch zu erklären.

Die dem Süddeutschen nahestehende Schreibung „ain“ statt „ein“ wäre auch dem heutigen Hochdeutsch angemessener. Der Vereinheitlichungswahn der „Reformer“ wollte jedoch noch 1973 das „ai“ völlig aus der Rechtschreibung auszuschließen („Ein hei vorm bot des weisen keisers.“)

Die durchgängige Kleinschreibung des Mittelalters wurde zum Vorbild für Jakob Grimm, in dessen Nachfolge viele Germanisten auf den Reformzug der linken Bilderstürmer von 1968 aufsprangen, die das gleiche Ziel verfolgten. Daß nun das genaue Gegenteil als „die Reform“ verkauft wird, zählt zu den vielen Dreistigkeiten dieser Falschmünzertruppe.

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Sigmar Salzburg
19.02.2008 06.17
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Früher Anpassungseifer der Verlage

Gottfried Keller an Conrad Ferdinand Meyer

Hottingen 26 X 82
Verehrter Herr!

Indem ich Ihnen herzlich für Ihr schönes Geschenk danke, begrüße ich zugleich das glückliche Ereigniß; denn ein solches darf man und dürfen wir Alle das Erscheinen Ihrer Gedichte nennen. Obgleich es unverschämt scheint, dem, der das Verdienst hat, Glück zu wünschen, so thue ich dies dennoch, da es auch für das Verdienst ein schönes Glück ist, vollständig ausreifen zu können. […]
Mit einiger Schadenfreude hab' ich in Ihren Gedichten bereits bemerkt, daß die neue Orthographie in Ansehung des Th im Druck in die Brüche gegangen ist. Ich habe das gleiche Schicksal mit einer neuen Auflage der Zürch. Novellen, in der das arme h zum Teil exstirpirt, zum Theil stehen geblieben ist.
Ihr bestens grüßender
u ergebener
G. Keller

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gestur
22.06.2004 20.13
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Ludwig Boltzmann, österreichischer Physiker,

geb. 1844, gest. 1906, kinetische Gastheorie, Entropie, Boltzmann-Gleichung, Boltzmann-Konstante
Physiker haben es besser: Sie machen Experimente und / oder theoretische Überlegungen und leiten daraus Formeln ab. Eine Formel sagt mehr als viele Seiten Text. Verstehen brauchen sie nur Physiker und Physik-Studenten.

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Sigmar Salzburg
22.06.2004 14.36
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Boltzmann 1905

Vorhin im Zeitforum eingetragen von:

CarstenH – 22. Jun 2004 15:17 (#1887 of 1887)
Das Leben ist bunt…

forwort

ich musste mir in meinen lezten büchern di neue ortografi gefallen lassen, di zu erlernen ich zu alt bin; so möge man sich hir im forworte di neueste ortografi gefallen lassen. ich glaube, man soll di abweichungen fon der fonetik, wenn man si nicht ganz ferschonen will, dann schon alle hinrichten. wenn man dem hunde den schwanz nicht lassen will, schneide man in mit einem griffe ganz ab!

Wien, den 8. Juni 1905. Ludwig Boltzmann


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Sigmar Salzburg

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Reinhard Markner
16.06.2004 13.07
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Ahnungslos

„In der gesprochenen Sprache [. . .] gibt es Grade der Angemessenheit wie : 'Sehr üblich' -- 'üblich' -- 'weniger üblich' -- 'unüblich'. In der Rechtschreibung gibt es dagegen nur ein 'falsch' oder 'richtig'.“
Gerhard Augst : „Rechtschreibreform vor der Entscheidung ?“, in : Muttersprache 93 (1983), S. 95

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Sigmar Salzburg
10.04.2004 12.00
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Meyers Konversations-Lexikon 1897

Rechtschreibung
[längerer Artikel]
…J. Grimm wirkte auf die R. insofern keineswegs günstig ein, als er durch die Betonung der Abstammung der Wörter, überhaupt des historischen Standpunktes in der R. die mühsam errungene Einheit wieder gefährdete….
[Laufende Änderung der Rechtschreibung]
…Ungeachtet dieser Opposition hat sich doch durch die Macht der Schule und des Buchdrucks die neue R. rasch in weitesten Kreisen Bahn gebrochen, und es ist kaum zu bezweifeln, daß die nächste Generation nur nach der neuen R. schreiben wird. Doch ist der Wunsch wohl allgemein, die baldige Wiederholung einer derartigen Reform vermieden zu sehen.

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Walter Lachenmann
06.12.2003 20.30
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Die endlich errungene Einheitlichkeit ...

Über die deutsche Rechtschreibung klagte schon Jakob Grimm 1847: „Mich schmerzt es tief, gefunden zu haben, daß kein Volk unter allen, die mir bekannt sind, heute seine Sprache so barbarisch schreibt, wie das deutsche.“ Mit starker Übertreibung, denn sinnloser als die deutsche ist die französische und gar die englische gewiß. Grimm meinte wohl nur die damalige Regellosigkeit, nicht den Grad des Abweichens der Schrift vom Laut. Durch zwei amtliche „Orthographiereformen“ ist jetzt wenigstens der Zustand geschaffen, daß man „richtig“ schreiben kann, wenn man will, das heißt wenn man sich nach den amtlichen Beschlüssen und den entsprechenden Wörterverzeichnissen richtet. Daß unsre Klassiker und ihre Zeitgenossen meist sehr schwankend und nach heutigen Begriffen sehr unrichtig schrieben, ist bekannt. Beim Freiherrn von Stein komm vor „Crayß“ statt „Kreis“. Sicherlich hat sich die deutsche Rechtschreibung im Vergleich mit der des 18. Jahrhunderts wesentlich gebessert; schon die endlich errungene Einheitlichkeit ist ein Segen, selbst wenn dabei manches Unbegreifliche untergelaufen ist, so namentlich das ieren. Rechtschreiberische Eigenbröteleien in deutschen Wörtern sind nicht zu dulden, allenfalls mit Ausnahme solcher Fälle, in denen durch groß- und klein-Schreiben (Alle, alle) Mißverständnissen vorgebeugt werden kann. Von den Fremdwörtern dagegen soll es heißen: Schreibt zu, dies Wort ist vogelfrei! Je lächerlicher man sie schreibt, desto eher werden sie verschwinden; es ist ein Ärgernis, daß die Verfasser unsrer Wörterbücher der Rechtschreibung Tausende von Fremdwörtern mitaufnehmen. Ich habe nichts gegen axeptieren, echstirpieren, Milljöh, Nüankße, Fong, Fotöllch, Detalch, Ankßangbel, zumal da diese Schreibungen die Aussprache der meisten Fremdwortfreunde getreu wiedergeben.

Eduard Engel, Deutsche Stilkunst, 1918


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Walter Lachenmann

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