Idea- list oder Ide- a- list?
Unter Richtlinie R 180 hatte der Duden vor der Reform eine meiner Ansicht nach vorbildlich formulierte und nützliche Regelung getroffen: Enger zusammengehörende Vokale bleiben, wenn das möglich ist, besser ungetrennt. Es folgen Beispiele wie Natio-nen und Idea-list.
Professor Ickler hat im Wörterbuch unter § 29 (2) liberalisiert. Dort steht als Anmerkung: Im Inneren eines Wortes ergeben sich keine allein stehenden Vokalbuchstaben; man trennt daher Kanti-aner oder Kantia-ner. Bei Zusammensetzungen ist jedoch auf die Bewahrung der Bestandteile zu achten (§ 28): Dia-log (nicht Di-alog). Dem entsprechen die Angaben im Wörterteil: na-ti-o-nal, Ide-a-list.
Mir gefällt zwar die Duden-Formulierung enger zusammengehörende Vokale nicht, denn darum geht es meiner Meinung nach nicht, aber die vorsichtig formulierte Richtlinie mit einschränkendem wenn es möglich ist und Empfehlungscharakter (besser) finde ich im Ergebnis sinnvoller. Ich schrieb dazu vor einigen Jahren etwas an Professor Ickler, und er hat mich ermutigt, es ins Forum bzw. zur Diskussion zu stellen. Hier folgt deshalb, leicht bearbeitet, meine damalige Argumentation zugunsten einer konservativen Anlehnung an den Duden von 1991. Was meinen Sie dazu?
1. Die Grundregel „Trenne nach Sprechsilben“ trifft oft genug sowieso nicht zu, wenn die Aussprache des fraglichen Vokals nicht voll silbenwertig ist: in na-tio-nal (sprich: natz-jo-nahl) ist er zumindest noch weniger silbenwertig als in Nati-on mit betonter Schlußsilbe (sprich auch: Na-tzi-ohn).
2. Die mögliche Alternative, nur einen Buchstaben früher oder später zu trennen, ruft pragmatischerweise nach der Entscheidung, welche von beiden Möglichkeiten vorzuziehen ist: „Soll ich den Buchstaben noch mitnehmen oder abtrennen?“ Auch bei Konsonanten haben wir keine solche Freigabe, obwohl sie gelegentlich ebensogut begründet werden könnte. Das spricht jedenfalls für eine Entscheidung anstelle der Beliebigkeit.
3. Der Hauptgrund liegt in der Prämisse „Trenne nach Sprechsilben“ selbst. Man sollte nicht so trennen, wie es dem Sprechgefühl widerstreben würde. Im Fall des Zeilensprungs wird eine besondere Situation der Lücke, des Innehaltens erzeugt, die die Frage der organischen Zerlegung nach dem Sprechrhythmus hervorruft. Hier muß mehr als bei der theoretischen Betrachtung einer Silbengrenze nach vollwertigen und nicht gleichberechtigten Trennungen unterschieden werden. Wenn man schon den Atem anhält, möchte man „auf möglichst viel ausruhen“ und anschließend eine ordentliche Fortsetzung vorfinden. Trennungen wie zi-onistisch widersprechen diesem Bedürfnis, weil man den Atem anhält, nur um nochmals von einem belanglosen, unbetonten -o- auf die betonte und aufklärende Silbe nistisch weitergeleitet zu werden. Die Irritation des Lesers lautet hier: „Wieso muß ich zweimal auf die Auflösung warten, wenn einmal genügt hätte?“ Er empfindet dieses Lesen als Holprigkeit, als Zumutung.
4. Je später wir trennen, desto besser, denn dann ist mehr geklärt. Der Leser erwartet die Fortsetzung besser informiert, mit weniger Unsicherheit. Er ist nach idea- oder aber nach ideo- besser im Bilde als nach undifferenziertem ide-. (In beiden Fällen würde er bei zu früher Trennung in der Fortsetzung erst einmal weiterstottern müssen: „a-listisch“, „o-logisch“ o. ä.; siehe Punkt 3.)
5. Das Prinzip, im Zweifelsfall möglichst spät zu trennen, ist noch konsequenter schon bei den Konsonanten verankert: kämp-fen, Dämp-fer, obwohl hier die Aussprache ja käm-pfen, Däm-pfer nahelegen würde. Jedoch könnte aus käm- auch kämmen u. ä. resultieren, aus Däm- auch Dämmung und mehr. Je später, desto klüger – was bei den Konsonanten recht ist, sollte bei den Vokalen genauso gelten.
6. Für den Anwender, der nach möglichen Trennstellen sucht, wäre am schlimmsten die Abgrenzung: Folgt nun ein ...logie oder nur ein ...nisch, folgt ein ...tion, und warum sollte das weniger wert sein als die ...logie? Die Prüfung dieser Fortsetzungen würde den Anwender weit mehr Anstrengung kosten, als ihm die angebliche Sorglosigkeit „Trennung bei Einzelvokalbuchstaben ist freigestellt“ bringen könnte.
7. Eine Änderung der Norm ist nur dann gerechtfertigt – eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Voraussetzung –, wenn sie mehr Vorteile bringt als Nachteile. Das ist hier nicht zu erkennen. Vordergründig wäre befürwortend zu vermerken, daß es auch Trennungen wie Nati-on gibt und daß Grundschüler bei langsamem Sprechen Einzelvokale grundsätzlich zur Silbe erheben und deshalb Einschränkungen nicht verstehen. Insgesamt überwiegen jedoch die Nachteile. Deshalb empfiehlt es sich, die Norm beizubehalten.
8. Die vorgeschlagenen neuen Trennungen entsprächen einer Liberalisierung. Dem stehen im aktuellen Rechtschreibwörterbuch gegenüber die strikte Beibehaltung der Muta-cum-liquida-Regel (Fe-bruar etc.) und der Nichttrennung von st; vor allem aber die ganz und gar nicht im Bewußtsein der meisten Sprachteilhaber verankerten gelehrten Trennungen vom Typ Lin-oleum und Vit-amin. Bevor man Einzelvokalsilben freigibt, sollte man in diesen Bereichen liberalisiert haben.
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