Focus-online 23.08.05
Grass und Co.
Alte Säcke für Schröder
Großdichter Günter Grass und Co. engagieren sich für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition.
Von Ulrike Plewnia, Berlin
In Prenzlauer Berg, vor dem „Palais in der Kulturbrauerei, bildet sich eine Schlange mit Zuhörern, die erleben wollen, wie sich der Großdichter Günter Grass, Intendant Jürgen Flimm, Nagelbildkünstler Günther Uecker und Plakat-Aktionist Klaus Staeck für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition engagieren.
Rund 400 Galeristen, Publizisten, Verlagsleute und Journalisten haben sich auf Einladung des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) trotz sommerlichen Temperaturen eingefunden, um sich vor der Bundestagswahl am 18. September argumentativ von den „alten Säcken“ – so bezeichnet Grass sich selbst – befeuern zu lassen. „Kultur als Lebensmittel“ lautet das Motto. Der Ost-Berliner Thierse, der sich immer wieder darüber empört, dass die CDU/CSU mit vorhandenen Vorurteilen gegenüber den Ostdeutschen Wahlkampf mache, möchte den Wahlkreis – er wohnt ganz in der Nähe am Kollwitzplatz – direkt gewinnen.
Frau der leisen Töne
Günter Nooke, sein Konkurrent von der CDU, ist ebenfalls Ostdeutscher, zudem Kulturpolitker und ehemaliger Bürgerrrechtler. Mit von der Partie ist auch die parteilose Kulturstaatsministerin Christina Weiss, deren Amt im Bundeskanzleramt angesiedelt ist und die einige Erfolge verbuchen kann: die Gründung der Bundeskulturstiftung etwa, verbesserte Filmförderung und besser vernetzte Gedenkarbeit zum Thema der NS-Verbrechen. Weiss, eine beharrliche Frau der leisen Töne zieht – natürlich – eine positive Bilanz der rot-grünen Kulturpolitik. Sie plädiert überzeugend dafür, dem Bundesaußenministerium die Zuständigkeit für die auswärtige Kulturarbeit, also die renommierten Goethe-Institute, zu entziehen.
„Kritische Distanz zur Macht“
Auch will sie ein eigenständiges Bundesministerium für die Sache der Kunst, nachdem „klare Kooperation mit den Ländern festgelegt sei. Flimm lobt vor allem den offenen Gedankenaustausch und die Atmosphäre in Gesprächen mit dem Bundeskanzler und der Staatsministerin, die auch dem Genuss von hervorragendem französischem Wein zu verdanken sei. Staeck hingegen nimmt für sich eine „kritische Distanz zur Macht“ in Anspruch und warnt vor allzu viel Zustimmung der Intellektuellen zum Regierungskurs.
Grass hat damit keine Probleme und vermerkt lakonisch, er könne es nun mal nicht lassen, sich im Wahlkampf zu engagieren. Der Literaturnobelpreisträger wettert wortgewandt gegen den Unsinn der Rechtschreibreform, lästert über die „Wahlkampfentgleisungen des politischen Amokläufers Stoiber“ und verliest ansonsten einen Teil seiner Rede, die er einen Tag zuvor im Park des Kanzleramts bei der Aufstellung einer großen Skulptur – einem Revolver mit einem Knoten im Lauf – gehalten hatte.
Zwei Stunden Kulturpolitik
Nach zwei Stunden Tour de force durch die gesamte Kulturpolitik der Nation spricht der Moderator Thierse zum Abschluss das heikle Thema eines Zentrums für Vertreibung an. Christina Weiss, zumindest für vier Wochen noch Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, erteilt einem solchen Zentrum mit Sitz in Berlin eine klare Absage. Nur in Warschau käme das Forschungsszentrum zum Thema Vertreibungen in Frage, in enger Zusammenarbeit mit Polen, Ungarn und der Slowakei, ohne die subjektive Sicht und „nationale Verengung, wie es von (der CDU-Frau) Erika Steinbach geplant sei.
(Focus-online 23.08.05)
http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=18302
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Vielleicht hätte sich Günter Grass doch lieber mit Günter Nooke verbünden sollen. Der hat, anders als die linken Freunde, wenigsten etwas gegen die „Rechtschreibreform unternommen.
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Sigmar Salzburg
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