Déformation professionelle
Das Thema „Lehrer als Beruf, oder: Von der Abschaffung des Lernens“ interessiert mich heute besonders. Nach längerer Pause will ich versuchen, diesem Strang noch einmal Leben einzuhauchen. Gestreng werde ich mich an die Vorgaben von Marianne Gronemeyer halten, die ihr zweites Kapitel des Buches „Lernen mit beschränkter Haftung“ mit ebendiesen Worten überschrieben hat. Auch die von mir gewählte Überschrift des Beitrages stammt aus der spitzen Feder von MG. Daß sie mit Kritik nicht sparsam umgeht, ist bekannt. Näheres zu ihrer Person in den vorhergehenden Beiträgen dieses Themenstranges.
MG liebäugelt ein wenig mit dem Lehrertyp, den Tschingis Aitmatow in seinem Buch „Der erste Lehrer“ sehr trefflich gezeichnet und buntschillernd aufgemalt hat. Es ist ein Typ von Lehrer, dessen Herz voll ist, und dem (des) der Mund überläuft. Es ist ein Typ, der sich vollkommen ausschütten möchte, um all seine Kenntnisse und Erkenntnisse, all seine Erfahrung, all seine Begeisterung und Kritik restlos auf seine Schüler zu übertragen. (Zitat: „Ich lehre euch alles, was ich kann und weiß.“).
Es ist ein Typ Lehrer, dem die Schüler gebannt zuhören, weil sie jene Kopplung von Bildung und Person wahrnehmen, da sich in Aitmatows Titelhelden das Wissen personifiziert, zu Leben erwacht und sich fortpflanzt.
Nur, dieser Lehrer hat etwas so völlig Altertümliches, Dämliches, Naturverbundenes und Naives an sich, so daß er vergleichbar wird mit einem Don Quichotte, dem letzten Ritter von trauriger Gestalt.
Um einen Kontrast zu zeichnen zwischen der Kunst des Lehrens und den heutigen Fehlformen des Lehrens präsentiert und analysiert MG zwei ähnlich klingende Worte.
Dem Wort „Mitteilung“ stellt sie das Wort „Vermittlung“ gegenüber:
„Mitteilung ist ein mit der Person des Sprechers legierter Erörterungsgegenstand …
Sie ist … immer eine Selbstoffenbarung … (ebd. S. 60)
Das einzige, wodurch die Mitteilung sich zu rechtfertigen vermag, ist womöglich die Leidenschaft, der sie ihr Zustandekommen verdankt. Die Kraft der Einsichten ist gleich der Energie und dem Leiden, womit sie errungen wurden. Die selbstauferlegte Anstrengung des Denkens, die ernsthafte Hingabe an den Gegenstand, der immer riskante Aufbruch aus dem bekannten Vertrauten, worin man sich hinreichend behaglich fühlen könnte, all das macht die daraus erwachsene Einsicht mitteilenswert und verantwortbar, und es unterscheidet sie selbst bei objektiv dürftigem Ergebnis vom leeren Stroh und von der Stammtischparole (ebd. S. 62).“
„Ganz anderen Schwierigkeiten sieht sich der Vermittler gegenüber. Er handelt nicht im eigenen, sondern in doppeltem fremden Auftrag …
Als Bildungsbeauftragter ist der Vermittler einerseits Sachwalter von Bildungs- und Kulturgütern, die in die nachwachsende Generation eingepflanzt werden müssen, andernfalls sie dem kollektiven Vergessen anheimfallen … (ebd. S. 62)
Während der Mitteilende das Wort ergreift wegen der sprengenden Überfülle in sich selbst, verschafft sich der Vermittler Gehör aus Besorgnis über die Leere (!), die er im anderen wahrnimmt … (ebd. S. 63)
Der Vermittler …bemüht ein ganzes Sortiment von Verfahren: Von der Überzeugung über die Überredung, die Überlistung bis hin zur sanften Gewalt, ja zum offenen Zwang hat er alles auf der Palette (ebd. S. 63)
Das war nicht immer so. Und wer mit den Schulerfahrungen des vorigen Jahrhunderts … auf die Verlockungspädagogik unserer Tage sieht, der kann Neidgefühle gegenüber den so umworbenen Jungen kaum unterdrücken … (ebd. S. 64)“
Ich könnte seitenweise zitieren, doch dürfte alleine durch die Wortgegenüberstellung deutlich geworden sein, was MG unter einem professionellen Lehrer versteht, und wie sie Bildung definiert – Bildung spricht Hirn, Herz und Charakter gleichermaßen an.
Ein Schlenker noch zum leidigen Thema „Rechtschreibreform“:
Kein Lehrer kann vom Wissen her hinter der Rechtschreibreform stehen, denn allen Lehrern fehlt der Gesamtüberblick und das spezifische Wissen in diversen neugeregelten Rechtschreibfällen.
Hinzukommt der demotivierende Wankelmut der Rechtschreibreformer selbst, die sich auf dem Rückzug befinden, klammheimlich die zahlreichen aufgedeckten Fehler beseitigen und abstreiten, daß es sich um eine Revision (oder gar Reform) der Reform handele.
Rechtschreibreform kann man nicht mitteilen! Man kann lediglich vermitteln! Gezwungenermaßen vermitteln!!
Genau deswegen habe ich die Überschrift „Déformation professionelle“ gewählt.
Damit meine ich die professionelle – zuhältergleiche – Abrichtung der Lehrer. Man schickt sie auf den Strich.
„Demontage des professeurs“ hätte auch gepaßt. Dann hätte ich aber die obige Pointe nicht bringen können.
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