Aus der Reformbastion Hamburger Abendblatt
RECHTSCHREIBUNG EIN STREIT, DER DEUTSCHSPRACHIGE SCHREIBER UND LESER FAST GESPALTET HAT, IST VON MITTWOCH AN ENDGÜLTIG BEIGELEGT
Nach zwanzig Jahren Diskussion: Die Reform der Reform ist unwiderruflich
Von Peter Schmachthagen
Hamburg
Heute endet die allerletzte Übergangsfrist: Am Mittwoch, dem 1. August 2007, werden die Regelungen der Rechtschreibreform, wie sie die Kultusminister vor einem Jahr in Kraft gesetzt haben, bundesweit verbindlich sein.
Die deutsche Rechtschreibung, die 1901/02 vom Kaiser und Bundesrat genauso amtlich und undemokratisch verfügt worden war wie später die Rechtschreibreform angeblich von den Kultusministern, Ministerpräsidenten und Landesparlamenten, hatte nach Auffassung von Konrad Duden vom ersten Tag an Reform- und Ergänzungsbedarf.
Es dauerte jedoch bis zum 1. August 1998, bis eine Reform, die diesen Namen verdiente, an den Schulen und in den Behörden eingeführt werden konnte. Die Medien folgten größtenteils am 1. August 1999.
Die Probezeit sollte dann am 1. August 2005 enden. Anfang Juni 2004 bestätigten die Kultusminister diesen Termin und beschlossen nach Vorschlag der Zwischenstaatlichen Kommission die endgültige Reform-Fassung. Dem stimmten die Ministerpräsidenten am 29. Juli 2004 zu.
Dabei blieb es jedoch nicht. Eine Woche später kippte die Front. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung war bereits im Jahr 2000 zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt, nun traten andere Medienhäuser wie Axel Springer im letzten Augenblick gegen die Reform an. Der Spiegel und die Süddeutsche kündigten einen solchen Schritt an, vollzogen ihn aber nicht. Von Enzensberger bis Loriot meldeten sich Bedenkenträger, und selbst Ministerpräsidenten der Union wie Wulff, Stoiber oder Peter Müller bekamen kalte Füße. Jürgen Rüttgers versah seinen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen mit einer Attacke auf die Rechtschreibreform.
Als der orthografische Gegenwind und der Graben zwischen Alt-Schreibern und Reformunterstützern zum politischen Risiko zu werden drohte, konstituierte sich am 17. Dezember 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung, der die strittigen Punkte der Reform noch einmal erörtern sollte. Den Vorsitz übernahm der CSU-Politiker im Ruhestand Hans Zehetmair, dem wir als früherem bayerischen Kultusminister 1996 die Reform, wie sie war, wesentlich zu verdanken hatten.
Im Rat scheint es recht kontrovers zugegangen zu sein. Besonders der Erlanger Germanist Theodor Ickler, als Professor für Deutsch als Fremdsprache eigentlich auf ein schlankes Regelwerk verpflichtet, zeigte sich nach Meinung anderer Ratsmitglieder kompromissunfähig und trat aus dem Gremium aus.
Die Vorschläge des Rats, die sich auf Groß- und Kleinschreibung sowie auf Getrennt- und Zusammenschreibung beschränkten, fanden nicht nur Zustimmung. Von Verschlimmbessern war die Rede. Der Philologenverband protestierte, und als der Rat ausgerechnet am Rosenmontag 2006 der Öffentlichkeit die Rückänderungen präsentierte, sprach eine GEW-Funktionärin vom längsten Narrenzug der Republik. Des jahrzehntelangen Rechtschreibstreits müde, stimmten die Kultusminister sowie die Ministerpräsidenten der Reform der Reform trotzdem zu und setzten sie zum 1. August 2006 mit einer Übergangsfrist von einem Jahr in Kraft. Auch Axel Springer kehrte zur Reformschreibweise zurück.
Der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair zog gestern Bilanz: Es war nicht immer leicht, sagte er. Ich habe versucht, der Sprache, die ich so sehr liebe, zu dienen. Unter den waltenden Umständen war es richtig und hat auch Sinn gemacht, obwohl es nicht vergnügungssteuerpflichtig war für mich.
Die wichtigsten neuen Regeln und Änderungen finden Sie morgen in Ihrem Abendbatt.
erschienen am 31. Juli 2007
http://www.abendblatt.de/daten/2007/07/31/777052.html
Dazu enthüllende Dokumente im FDS-Archiv:
Wie Peter Meyer (Schmachthagen) vom Hamburger Abendblatt den Axel Springer Verlag auf Reformkurs brachte
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=712
(Nebenbei: Der Kaiser hat sich lt. Prof. Nerius bis 1911 geweigert, die Rechtschreibung von 1901 in seiner Reichskanzlei zuzulassen.)
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