Ablehnung der Petiton durch den Präsidenten des Niedersächsischen Landtags
Sehr geehrte Frau Ahrens, sehr geehrter Herr Dr. Ahrens,
Ihre Eingabe,
betr. Neuregelung der deutschen Rechtschreibung,
hat der Kultusausschuss des Niedersächsischen Landtages im Zusammenhang mit den
Anträgen
a) Deutsche Rechtschreibung konsequent weiter vereinfachen
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs .15/1253 und
b) Schülerinnen und Schüler brauchen Verlässlichkeit in der Rechtschreibung
Antrag der Fraktion der SPD – Drs. 14/1262
beraten.
Der Empfehlung des Ausschusses entsprechend hat der Landtag in seiner Sitzung am 23.02.2005 die Anträge abgelehnt. Außerdem hat der Landtag beschlossen, dass Sie über die Sach- und Rechtslage, wie sie sich aus der Stellungnahme ergibt, unterrichtet werden sollen und die parlamentarische Behandlung der Angelegenheit damit abge¬schlossen wird.
/ Zu Ihrer Unterrichtung ist daher die Stellungnahme des Ministeriums beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen
(Unterschrift unleserlich, „Biel“?)
Vizepräsident
Stellungnahme
des Niedersächsischen Kultusministeriums
zur Landtagseingabe 946104/15, Gabriele und Dr. Carsten Ahrens, 27931 Elsfleth u.a.,
betr. Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
Die Petenten gehören zu den Initiatoren der Volksbegehrensinitiative gegen die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in Niedersachsen, die seinerzeit gescheitert ist. In Ihrer Petition bitten sie den Landtag, der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung sofort und vollständig sämtliche Kompetenzen zu entziehen und zu einer einheitlichen und bewährten Rechtschreibung zurückzukehren. Der Niedersächsische Landtag möge durch ent¬sprechende Beschlüsse darauf hinwirken, dass von einer zensurenrelevanten Einführung der Rechtschreibreform an den Schulen Abstand genommen wird und dass mit der Wiederherstellung einer einheitlichen Schreibweise eine Kommission aus unabhängigen Wissenschaftlern, Autoren und Journalisten beauftragt wird, vergleichbar der Academie Francaise. Für die Schulen sollte eine Übergangsfrist zur Wiedereinführung der herkömmlichen Schreibweise bis 2010 eingeräumt werden.
Anlass für die Petition ist die Vorlage des 4. Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung an die staatlichen Stellen im Dezember 2003. Darin schlägt die Kommission u.a. vor, dass sie ab 2005 nur alle fünf Jahre statt wie bisher in der Übergangszeit alle zwei Jahre über den Schreibgebrauch der deutschen Sprache berichtet und dass sie ermächtigt wird, über kleine Änderungen im Regelwerk selbst zu entscheiden.
Die Petenten äußern sich sehr kritisch zu diesem Vorschlag, man würde die Böcke zu Gärtnern machen. Das Reformwerk sei missraten, es habe der deutschen Schriftsprache unübersehbaren Schaden zugefügt und die Einheitlichkeit zerstört. Jeder Schreibende würde in Zukunft dem Diktat der Beschlüsse der Reformer ausgeliefert sein, die nicht mehr Rechenschaft ablegen müssten. Das würde über viele Jahre weiterhin Unsicherheit unter allen verbreiten, die mit Sprache zu tun haben. Vor allem wäre es ein Desaster für alle Schülerinnen und Schüler, für die die Schreibweise unserer Klassiker und namhaften Schriftsteller dann schlichtweg falsch wäre. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sei gegen einen Eingriff in das Kulturgut Sprache.
Dieser Petition schließt sich die Eingabe von Herrn Klaus Kolbe aus Sachsenhagen an, der bereits zweimal Petitionen in Sachen Rechtschreibreform an den Niedersächsischen Landtag gesandt hat, die mit Sach- und Rechtslage beschieden wurden. Dieser Petent zitiert ausführlich aus einem Artikel von Dankwart Guratzsch in „Die Welt“ vom 29.01.2004, in dem der 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission kritisch vorgestellt wird. Die weiteren Ausführungen und Forderungen decken sich mit denen der Eheleute Ahrens.
Schließlich hat sich Herr Günther Rose aus Norden in dieser Sache mit einer Petition an den Niedersächsischen Landtag gewandt. Dieser Petent nimmt Bezug auf Zeitungsmeldungen über den Protest von fünfzig Jura-Professoren gegen die Rechtschreibreform. Auch er fordert die Rückkehr zur alten Rechtschreibung des Duden von 1991.
Dazu ist Folgendes anzumerken:
Bei allem Verständnis für die Sorgen und Ängste von Teilen der Bevölkerung wird deutlich, dass es sich um Probleme der Erwachsenen handelt, die Schwierigkeiten haben, sich umzustellen. In den Schulen wird die neue Rechtschreibung seit 1998, in einigen Ländern seit 1996, ohne Probleme vermittelt. Nach den heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen und zahlreichen Verwaltungsgerichtsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht am 14. Juli 1998 entschieden, dass das Verfahren zur Einführung der Reform korrekt war und dass die Reform Grundrechte nicht verletzt. Seither ist es in Konsensgesprächen der Zwischenstaatlichen Kommission mit den großen Wörterbuchverlagen Duden, Bertelsmann, Wahrig und dem Österreichischen Wörterbuch gelungen, die Schreibweisen in einem Maße zu vereinheitlichen, wie es zuvor noch nie erreicht worden ist. Die Presseagenturen haben die Reform zu etwa 95 Prozent übernommen und damit auch die Zeitungen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt ist, hat keine Rückkehrwelle ausgelöst; sie erscheint im Internet selbst in neuer Schreibweise. Anfang März 2003 hat sich die konservative österreichische Tageszeitung Die Presse, die lange Gegnerin der Reform war, auf die Reform umgestellt. Die Buchproduktion in Deutschland ist zu 75 Prozent umgestellt. Die Schulbuchverlage haben ihre gesamte Produktion auf die neuen Schreibweisen umgestellt, darunter die seit kurzem fusionierten niedersächsischen Verlage Schroedel und Westermann; außerdem haben sie Übungsmaterial zum Erlernen der neuen Regeln entwickelt.
Eine Rücknahme der Reform würde großen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Der Verband der Schulbuchverleger hat sich in den vergangenen Wochen mehrfach mit Schreiben an die Kultusminister gewandt und vor einer Rücknahme der Reform gewarnt.
Die Petenten berücksichtigen nicht, dass die KMK und die Bundesregierung am 01. Juli 1996 in Wien die Absichtserklärung aller deutschsprachigen Staaten und Staaten mit deutschen Minderheiten zur gemeinsamen Einführung der Rechtschreibreform mit einer Umstellungsfrist bis zum 31.07. 2005 unterzeichnet haben.
Die Petenten verkennen, dass eine Rückkehr zum Privileg des Duden, zuletzt in der Ausgabe von 1991, aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Bis dahin galt die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung von 1902 und in Zweifelsfällen der Duden. Die Duden-Redaktion hatte 1950 und noch einmal 1955 unter dem Druck der Konkurrenz, besonders des Wörterbuchs von Knaur, heute Bertelsmann, die KMK um eine verbindliche Erklärung gebeten, welche Rechtschreibung gelten sollte. In Erwartung der Rechtschreibreform in kurzer Frist, die die KMK damals bereits in Auftrag gegeben hatte, versah sie den Duden mit dem Privileg, dass sein Wörterbuch in Zweifelsfällen maßgebend sein sollte. Eine erneute Ausstattung des Duden mit diesem Vorrecht würde sofort von den Konkurrenten gerichtlich angegriffen werden. Im Übrigen hat die Duden-Redaktion seit 1915 alle fünf Jahre eine neue Ausgabe des Wörterbuchs herausgebracht, dabei aber die Änderungen der Schreibweisen, die jedesmal hunderte von Wörtern betrafen, geheim gehalten. Das war psychologisch besonders geschickt, wie man heute sieht. Demgegenüber hat die Zwischenstaatliche Kommission bisher jeden Bericht veröffentlicht.
Die Petenten verkennen auch, dass es seit 1998 nach einem Votum des Deutschen Bundesta¬ges einen deutschen Beirat mit Vertretern der professionell Schreibenden – den Schriftstellern, Journalisten und Autoren gibt-, die die Zwischenstaatliche Kommission beraten. Dieser deutsche Beirat hat jeweils zu den Berichten der Kommission Stellung genommen, und zwar sehr positiv.
Die Petenten behaupten, dass die Schreibweisen unserer Klassiker durch die Reform als falsch hingestellt würden. Sie verkennen, dass die Schreibweisen deutscher Autoren immer den gängigen Schreibgewohnheiten angepasst worden sind. Lessing schrieb beispielsweise Dasse (Tasse), Tutzend ( Dutzend), bey Seite legen ( beiseite legen).
Der Protest der fünfzig Jura-Professoren ist fachlich nicht begründet. Eine Erörterung im Detail erübrigt sich hier. Die Zwischenstaatliche Kommission hat, wie es ihre Aufgabe ist, in ihrem dritten Bericht vom Dezember 2001 die Kritik an der Reform sorgfältig aufgearbeitet und jeweils verschiedene Lösungsmöglichkeiten mit Pro- und Kontra-Argumenten abgewogen. In ihrem vierten Bericht vom Dezember 2003 schlägt sie eine Reihe von Ergänzungen und kleinen Kor¬rekturen des amtlichen Regelwerkes vor sowie zulässige Variantenschreibungen. Diesen Diskussionsstand haben die Jura-Professoren bei ihrem Protest nicht berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 21. Mai 2004 hat Rechtsanwalt Dr. Wasmuth eine Stellungnahme der Rechtswissenschaftler übermittelt, die eine Replik auf die Stellungnahme der Kultusverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern darstellt, ergänzt durch ein sprachwissenschaftliches Gutachten von Prof. Theodor Ickler. Es werden keine neuen Argumente oder Belege für die behaupteten Schwächen der Reform und die behaupteten negativen Folgen der Reform vorgetragen. Vielmehr sprechen die Rechtswissenschaftler den Mitgliedern der Zwischenstaatlichen Kommission pauschal die fachliche Qualifikation ab und stellen die Berufung der Kommission und des deutschen Beirates unter den Verdacht der Manipulation. Schließlich fordern sie das Parlament zur Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion auf. Das Gutachten von Ickler führt insofern nicht weiter, als es die Schwächen der früheren Duden-Regelungen ebenso unerwähnt lässt, wie es eine sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Zielen der Reform vermissen lässt.
Schließlich hat sich Herr Oberstudienrat a.D. Schweneker aus Hitzacker mit Schreiben vom 18. Juni 2004 der Petition angeschlossen. Er fordert den Landtag auf, die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung zu beschließen – mit einer angemessenen Übergangsfrist für die Schulen. Neue Argumente bringt er nicht vor.
Neue Bewegung in die Diskussion ist durch den Anfang 2003 veröffentlichten Vorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gekommen. Das Präsidium der KMK hat im Frühjahr 2004 Gespräche zwischen der Kommission und der Akademie initiiert, die allerdings nicht zu einer Verständigung geführt haben. Die Grundpositionen waren zu unterschiedlich. Immerhin hat die Kommission danach ihren 4. Bericht in einigen Punkten verändert. Anfang Juni 2004 hat die KMK dann diesen Bericht mit den Änderungen beschlossen. In Österreich und in der Schweiz sieht man keinen Handlungsbedarf und verfolgt die deutsche Diskussion mit einigen Sorgen.
Wie in der Vergangenheit wird es auch in Zukunft ein Spannungsverhältnis von Norm und Usus geben. Wenn sich Regelungen auf Dauer nicht durchsetzen, müssen sie geändert werden. Alle paar Jahre muss in jedem Fall entschieden werden, welche Fremdwörter in ihren Schreibweisen eingedeutscht werden sollen. Insofern ist das Regelwerk nicht als starr zu betrachten. Entwicklung und Dynamik hängen von den Nutzern ab.
Ministerpräsident Wulff hat Mitte Juni erklärt, dass er für eine Rücknahme der Reform sei, weil sie von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen worden sei. Darauf hat er öffentliche Zustimmung und ebenso Widerspruch erfahren. Es bleibt abzuwarten, welchen Verlauf die Erörterung des Pro und Kontra einer Rücknahme nimmt. Es ist derzeit nicht absehbar, wie man zur alten Duden-Rechtschreibung zurückkehren könnte und welche Folgen das hätte. Auszuschließen ist ein Alleingang Niedersachsens.
Ergänzende Stellungnahme
des Niedersächsischen Kultusministeriums
zu der Landtagseingabe 946/04115,
Gabriele und Dr. Carsten Ahrens, 27931 Elsfleth u. a., betr. Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
Die Diskussion um die Rechtschreibreform ist nach stürmischem Verlauf in den Sommermonaten 2004 auch heute noch nicht beendet. Anfang Juni 2004 nahmen die Kultusminister den 4. Bericht vom Dezember 2003 sowie den ergänzenden Bericht vom 18. Mai 2004 der Zwischenstaatlichen Kommission zur Kenntnis und beschlossen damit, dass die in diesen Berichten enthaltenen Änderungen zum 1. August 2005 in Kraft treten.
Das entsprechend überarbeitete Regelwerk und das Wörterverzeichnis liegen inzwischen vor. Sie sind unter folgender Adresse im Internet zugänglich: http://www.rechtschreibkommission.de .
Die Anregung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, die Reform zurückzunehmen und auf der Grundlage der alten Duden-Regeln erneut über Reformen nachzudenken, konnte sich nicht durchsetzen. Im Oktober 2004 empfahl die Konferenz der Ministerpräsidenten den Kultusministern, einen neuen Rat für deutsche Rechtschreibung einzusetzen mit dem Auftrag, auf der Grundlage der Reform über Verbesserungen zu beraten und Änderungsvorschläge zu erarbeiten, die der Reform eine breitere Akzeptanz in der Bevölkerung verschaffen. Eine Verlängerung der Übergangsfrist über den 31. Juli 2005 hinaus, die Niedersachsen befürwortet hatte, war nicht durchzusetzen.
Die Konferenz der Kultusminister beschloss Mitte Oktober 2005, einen international besetzten Rat für deutsche Rechtschreibung mit 36 Mitgliedern und einem Vorsitzenden einzurichten. Der Bund, die Schweiz und Österreich stimmten diesem Vorschlag zu, wobei die Politik nur die Institutionen bzw. Organisationen festlegte, die zur Mitarbeit eingeladen werden sollten, nicht aber die Mitglieder selbst. Der Rat sollte die bisherigen Gremien – die Zwischenstaatliche Kommission sowie zwei Beiräte – ersetzen und insbesondere Kritiker der Reform in die Überarbeitung einbinden.
Die Zwischenstaatliche Kommission wurde zum Jahresende 2004 aufgelöst und der neue Rat für deutsche Rechtschreibung konstituierte sich am 17. Dezember. Zum Vorsitzenden wählte er den Staatsminister a.D. Hans Zehetmair, den früheren bayerischen Kultus- und späteren Wissenschaftsminister.
Der Rat soll möglichst zeitnah Vorschläge zur Veränderung der besonders umstrittenen Bereiche der Rechtschreibreform vorlegen, damit die Kultusminister noch vor Ablauf der Übergangsfrist darüber entscheiden können. Diese Bereiche sind die Groß- und Kleinschreibung sowie die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Integration von Fremdwörtern und die Zeichensetzung. Im Übrigen soll der Rat die Entwicklung der Schreibgewohnheiten beobachten und alle fünf Jahre einen Bericht an die staatlichen Stellen erstatten, in dem er Änderungen des Regelwerks oder veränderte Einzelschreibweisen vorschlagen kann. Der Rhythmus von fünf Jahren entspricht der Praxis in den Nachbarländern und dem Vorgehen des Duden, der seit 1915 ebenfalls alle fünf Jahre eine neue Ausgabe herausgebracht hat.
Manche Kritiker und auch Mitglieder des Rates plädieren für eine möglichst große Staatsferne des Rates. Diese scheint bei der jetzigen Zusammensetzung des Rates gegeben. Dennoch kann sich der Staat und damit die Politik nicht völlig zurückziehen. Was in der Schule verbind¬lich sein soll und durch die Fehlerbewertung Konsequenzen für die Schullaufbahn bzw. die Schulabschlüsse haben kann, muss von den Kultusministern genehmigt werden.
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Gabriele Ahrens
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