faz.net Frankfurter Allgemeine
11.8.2004 FAZ, Seite 36
Rechtschreibung
Anarchisch? Weg damit!
Von Esther Kilchmann und Michael Hanfeld
10. August 2004 Angeblich rund sechzig Prozent aller Leser in diesem Lande werden demnächst wieder die alte Rechtschreibung zu sehen bekommen. So groß soll die Gruppe sein, die der Springer-Verlag mit seinen Zeitungen und Zeitschriften und der Spiegel-Verlag erreichen.
Dabei sind die Reichweiten von 1,15 Millionen Lesern dieser Zeitung, die bereits am 1. August 2000 zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt ist, und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit 1,3 Millionen Lesern noch gar nicht mitgerechnet. Doch was machen die anderen nicht weniger bedeutsamen vierzig Prozent? Namentlich die 331 Regionalzeitungen, die auf eine täglich verkaufte Gesamtauflage von 15,8 Millionen Exemplaren kommen?
Sie warten wie eine Stichprobenbefragung unter Chefredakteuren ergibt ab, mißmutig oder hoffnungsvoll. Sie wollen sich von überregionalen Großverlagen nicht bevormunden lassen. Sie sind abhängig von der Schreibweise, welcher die Nachrichtenagenturen folgen, namentlich die Deutsche Presse-Agentur. Und sie sind bewegt vor allem von einer Frage, der neben der normativen Kraft des Faktischen und der sich abzeichnenden Machtprobe in der Politik in der Sache wohl entscheidende Bedeutung zukommt: Was bedeutet das für unsere jungen Leser? Für jene Leser also, um welche sich alle Zeitungen als vermeintliche alte Medien mit Verve bemühen müssen und die mehr oder weniger in toto mit der neuen Rechtschreibung aufwächst.
„Extrem unwohl“
Es wäre ihm, sagt etwa Matthias Friedrich, der Chefredakteur des Wiesbadener Kuriers, extrem unwohl, wenn wir in der Zeitung eine andere Schreibung praktizierten als jene, welche die Schüler in der Schule lernen. Dann täte sich ein ernster Graben auf. Das Verhalten von Spiegel und Springer, sagt Friedrich, dient nicht dem Ziel, das Chaos zu verkleinern, es führe vielmehr zu mehr Unsicherheit.
Ähnlich sieht dies Uwe Knüpfer, der Chefredakteur der Westfälischen Allgemeinen Zeitung, die mit ihren dreiundzwanzig verschiedenen Lokalausgaben und einer Auflage von einer Million Exemplaren das Herzstück das WAZ-Konzerns darstellt. Wir kehren nicht zur alten Rechtschreibung zurück, sagt er, und sind der Auffassung, daß Verlage nicht Politik machen sollten, wir sollten Beobachter bleiben. In der Sache sei es wohl am sinnvollsten, sich zügig zu bemühen, allzu grobe Unsinnigkeiten der neuen Rechtschreibung aufzuheben und es dann bei dieser zu belassen.
„Wir bleiben dabei!“
Eindeutig fällt die Reaktion bei der zum Madsack-Konzern gehörenden Hannoverschen Allgemeinen Zeitung aus. Wir bleiben dabei! schrieb dort am Wochenende der Chefredakteur in einem Kommentar. Fast anarchisch findet der Chefredakteur der Kölnischen Rundschau, Jost Springensguth, das Vorgehen von Spiegel und Springer, es gebe "überhaupt keinen Grund von der neuen Rechtschreibung abzuweichen.
Für Peter Bauer von den Bremer Nachrichten sind diese zur Genüge gegeben, vor allem kritisiert er, daß die Reform von der Politik einfach "übergestülpt worden sei: In der Redaktion sind wir eigentlich alle dagegen. Jetzt wird auch hier auf die Agenturen geblickt; Meldungen zurückzuredigieren können wir uns nicht leisten, meint Bauer.
„Wir haben nachzudenken“
Abwägend gibt sich der Chefredakteur des General-Anzeigers in Bonn, Joachim Westhoff. Man werde sorgfältig nachdenken, was dies für die Zeitung bedeute, und sei noch nicht zu einem Ergebnis gekommen. Auf den Widerstand gegen die Rücknahme der Reform, wie sie Politiker wie der sächsische Ministerpräsident Milbradt oder die rheinland-pfälzische Kultusministerin Ahnen, müsse man noch nicht soviel geben, meint Westhoff. Es werde spannend sein, zu sehen, wie es politisch weitergeht. Wir haben nachzudenken.
Kein Alleingang heißt es bei den Nürnberger Nachrichten, wo nach den Worten von Heinz-Joachim Hauck ebenfalls die Entscheidung der Agenturen maßgeblich ist. Ein aktueller Anlaß, die Rechtschreibung umzustellen, sei nicht gegeben, erklärt Dieter Soika von der Freien Presse. Bis auf weiteres werde sich die Zeitung deshalb beobachtend verhalten.
Verhaltene Reaktionen
Für Ernst Hebeker vom Münchner Merkur steht trotz seiner persönlichen Präferenz der herkömmlichen Schreibweise die Einheitlichkeit im Vordergrund. Vielleicht werde sich nun ja eine modifizierte Reform durchsetzen, hofft er. Bis dann bleibe allerdings auch die Rückkehr immer ein Thema. Die Reaktionen bleiben in unseren Breitengraden eher verhalten, sagt hingegen der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Sergej Lochthofen. Es gebe gewichtigere Probleme. Neunzig Prozent der Leser, so seine Erfahrung, wüßten nicht einmal, mit welcher Rechtschreibung ihre Zeitung erscheine.
Interessant ist, wie es Zeitungen halten, die zur Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) zählen, die im letzten Jahr als neuer Gesellschafter und finanzieller Retter bei der Süddeutschen Zeitung eingestiegen ist, die sich vorsichtig zur alten Rechtschreibung bekannt hat. Jörg Bischoff, Chefredakteur der Südwest Presse, verweist in dieser Frage auf die Kultusministerkonferenz, und gibt der Rücksichtnahme gegenüber den Kindern Priorität. Wir bleiben dabei, es sei denn, die Kultusminister kippen um, sagt Peter Christ, der Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung.
„Abgehobene Debatte“
Die Debatte ist etwas befremdlich, wenn man auf die Probleme schaut, die dieses Land wirklich hat. Es sei eine abgehobene Intellektuellendebatte, die von solchen geführt werde, die sich viel früher hätten äußern sollen, meint Christ, der die Entscheidung für die neue Rechtschreibung wie die Mehrzahl seiner von uns befragten Kollegen vor allem mit der Rücksicht auf nenmehr acht Jahrgänge von Schülern begründet. Es herrscht bereits genügend Chaos, stimmt dem Thomas Hauser von der Badischen Zeitung (die nicht zur SWMH gehört) zu, wichtig sei, " die Sprache in die Zeitung zu nehmen, die die Kinder lernen.
Und was denken die Leser? Sommertheater, was soll der Quatsch, keine Rückkehr zur alten Rechtschreibung, sagt Uwe Knüpfer von der WAZ, es handle sich um ein künstlich hochgespieltes Thema, sagt Thomas Hauser von der Badischen Zeitung. Dieter Soika von der Freien Presse aus Chemnitz verweist abermals auf die größeren Probleme, die zumal im Osten die Leser bewegten. Bei der Umstellung seien die Leser zwar mehrheitlich gegen die Reform gewesen, unterdessen hätten sie sich aber an die neue Schreibung gewöhnt.
„Halb so schlimm“
Das Ganze sei halb so schlimm, schildert Peter Bauer die Einstellung der Leser der Bremer Nachrichten. Anders ist dies beim Münchner Merkur, schätzungsweise neunundneunzig Prozent der Leserschaft seien für die Rückkehr, meint Ernst Hebeker, und man sehe sich mit massiven Reaktionen und zuweilen ultimativen Forderungen konfrontiert.
Derweil sind einer Umfrage zufolge vierundvierzig Prozent der Leser der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen für die alte und sechsundfünfzig Prozent für die neue Rechtschreibung. Geteilt ist auch das Leser-Echo in Hannover, dort hat man festgestellt, daß sich dieselbe Debatte wie bei der Einführung der neuen Rechtschreibung abzeichnet, ältere Leser befürworten eher die alte, jungen die neue Schreibung, in Stuttgart sollen die Leser mit Mehrheit für die neuen Schreibweisen sein.
„So schnell wie möglich zurück“
Das deutlichste Votum dieser selbstverständlich nicht repräsentativen Befragung kommt zum Schluß: Martin Lohmann, Chefredakteur der im Mittelrhein-Verlag erscheinenden Koblenzer Rhein-Zeitung, möchte so schnell wie möglich zur ,richtigen' Rechtschreibung zurückkehren. So schnell wie möglich heiße, wenn es logistisch zu leisten sei, hat er seinen Redakteuren in einer Mitteilung erklärt. Solange die Agenturen in neuer Rechtschreibung lieferten, sei dies noch nicht der Fall. Aus diesem Grund habe ich die Chefredakteure aller Agenturen, die uns beliefern, aufgefordert, zur früheren Rechtschreibung zurückzukehren.
Zahlreiche Mails und Briefe von Lesern bestärkten ihn in diesem Schritt, sagt Lohmann. Die Rechtschreibreform befinde sich schließlich noch in der Probephase und es sei klar, daß sie ihren Test nicht bestanden habe: Also: Hakt sie ab! Weg damit! Wir brauchen eine klare Rechtschreibung! Das Argument mit den gebeutelten Schülern will Lohmann nicht gelten lassen. Due Kultusminister hätten allein Grund, sich bei diesen zu entschuldigen.
Der Chefredakteur der Deutschen-Presseagentur, auf die für die Zeitungen soviel ankommt, war übrigens nicht zu sprechen. das Büro von Wilm Herlyn verwies an den Pressesprecher, der nicht zurückrief. Vor dem Wochenende hatte die dpa die Meldung verbreitet, daß sie sich zunächst ein Bild von der Meinung ihrer Kunden machen wolle. Damit viel Spaß.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.2004, Nr. 185 / Seite 36
Bildmaterial: dpa
Sommertheater, was für ein Quatsch, das meinen die Leser der WAZ angeblich zur Debatte über die Rechtschreibreform. Der Chefredakteur der Rhein-Zeitung in Koblenz aber will ganz schnell zur ,richtigen' Rechtschreibung zurück.
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