Südwestdeutsche Medienholding / Holtzbrinck
Ein Bericht aus der FAZ von heute:
»Schaff'sch beim Bosch, no haltsch dai Gosch'
In Stuttgart muß man das Gras wachsen hören: Wie die Südwestdeutsche Medienholding und Holtzbrinck im geheimen wirken
Mercedes zu fahren ist in Stuttgart ganz normal. Man hält hier viel von der Marke mit dem Stern, und man bekommt die Autos am Stammsitz von Daimler-Chrysler auch vergleichsweise günstig. Auffallend viele aber fahren ohne Typenschild. Warum sollte man zeigen, was man hat? Es reicht doch, es zu haben. Mit anderen Errungenschaften verhält es sich ebenso. Vor allem die Wirtschaft ist ein Spiegelbild der Mentalität. Nur selten wird hier mit Superlativen operiert, obgleich sich unzählige finden ließen. Vor allem gibt es hier Weltmarktführer für alles mögliche: für Dieselkaltstartsysteme, für Kettensägen und für Büstenhalterverschlüsse. Viele Betriebe sind ganz klein, gelten in ihrer Nische aber als die größten. Viele sind ganz groß und trotzdem ganz unbekannt. Wer weiß schon, wie der Chef von Bosch heißt immerhin einem der größten Autozulieferer der Welt? Dort wie auch bei fast allen anderen Unternehmen gehört Bescheidenheit und vor allem Schweigsamkeit zum Bestandteil der Firmenkultur: Schaff'sch beim Bosch, no haltsch dai Gosch'", scherzt man in Stuttgart.
Dabei ist Humor hier keine Tugend. Zum Lachen geht man hier in den Keller, lästern rheinische Frohnaturen. Öffentliches Amüsement jedenfalls gibt es nicht. Auch keinerlei gesellschaftliche Ereignisse, die man nicht verpassen dürfte, weil man dort garantiert wichtige Menschen aus allen Lebensbereichen träfe, etwa Hermann Scholl (so heißt übrigens der Chef von Bosch) und dazu noch den Ministerpräsidenten Erwin Teufel, aber auch die Tänzerin Marcia Haydée. Auch Dieter von Holtzbrinck trifft man nicht. Sollte der heute 61 Jahre alte Verleger wider alle Gewohnheit doch einmal auftauchen, dann würde er kaum erkannt, und auch sein Halbbruder Stefan von Holtzbrinck, 38 Jahre alt, nicht, der seit dem vergangenen Jahr den Medienkonzern führt. Jürgen Dannenmann taucht gelegentlich sogar bei offiziösen Empfängen auf. Jürgen Dannenmann, wer ist das noch mal? Ach ja, der Geschäftsführer der Stuttgarter Zeitung.
In Stuttgart im verborgenen zu wirken ist normal. Holtzbrinck ist zwar ein Milliardenkonzern mit mehr als zehntausend Angestellten. Doch in der Zentrale arbeiten nicht einmal hundert. Das schlichte Gebäude fällt in einem vornehmen Wohngebiet in Stuttgarter Halbhöhenlage kaum als Bürohaus ins Auge. Die in den neunziger Jahren aufgekommene Mode des Lean Management wird hier müde belächelt. Luxus hat man sich nie gestattet. Allenfalls den Luxus, stur zu sein und auf Prinzipien zu beharren. Möglicherweise wird das jetzt die Berliner Zeitung ausbaden müssen, die nach Ansicht des Kartellamts nicht in die Hände von Holtzbrinck gehört, weil dem Konzern schon der Berliner Tagesspiegel gehört. Holtzbrinck ist anderer Ansicht und hat Streitlust signalisiert, notfalls kämpft man bis zur letzten Gerichtsinstanz. Vielleicht kann Holtzbrinck sich solche Eskapaden andere mögen sagen: Gelassenheit leisten. Zwar wurde im Sommer kolportiert, Holtzbrinck habe allenfalls noch bis zum Jahresende genug flüssige Mittel. Das klang glaubhaft angesichts der Hiobsbotschaften etwa aus den Wirtschaftspublikationen, bei denen nach dem Ende des Börsenhypes Auflage und Anzeigenumfang vereint in den Keller gingen. Doch nun meldet Holtzbrinck, in diesem Jahr werde eine Summe jenseits von zehn Millionen Euro als Gewinn ausgewiesen. Immerhin. Erwirtschaftet irgendwie irgendwo, gerade auch im Ausland, wo fast die Hälfte des Geschäfts läuft. Tendenz steigend, vor allem in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, in Mexiko, Australien und Indien.
Diese bruchstückhaften Informationen sind schon viel im Vergleich zu dem, was man über die Südwestdeutsche Medienholding weiß, jenes Unternehmen, das im Volksmund Stuttgarter Zeitung genannt wird und lange auch so ähnlich hieß. Aber da war schon der Name Täuschung. Die Stuttgarter Zeitung ist zwar das Flaggschiff des Verlags, ein Blatt mit knapp 150 000 Auflage, das den Anspruch erhebt, seinen Lesern die Qualität einer überregionalen Zeitung zu bieten. Doch der viel größere Teil setzt sich zusammen aus Beteiligungen an allerlei kleineren Verlagen, die meist den redaktionellen Mantel der Stuttgarter Nachrichten beziehen, in ihrem Verbreitungsgebiet aber in Konkurrenz zur Stuttgarter Zeitung treten.
Nie an einem Kantinentisch
Auch in Stuttgart selbst ist der Wettbewerb zwischen den Konzern-Zeitungen Programm. Zwar arbeiten Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten in Verwaltung, Anzeigenverkauf und Vertrieb eng zusammen, die redaktionellen Konzepte aber sind scharf abgegrenzt. Redakteure der Zeitung, die in der gemeinsamen Kantine an einem Tisch mit den Nachrichten-Kollegen sitzen, werden mißtrauisch beäugt. Private Beziehungen zu pflegen ist nicht üblich zwischen den Journalisten der Zeitung, die im zweiten Stock des Verlagsgebäudes untergebracht sind, und jenen der Nachrichten, die eine Etage darüber residieren. Gemeinsame Dienstfahrten, und wäre es ans andere Ende des Landes, sind undenkbar, Kosten hin oder her. Die Furcht um die publizistische Vielfalt hat sich insofern als unbegründet erwiesen.
Ernüchternd mag wirken, daß dieser Effekt allein wirtschaftlichem Kalkül zu verdanken ist. Jürgen Dannenmann, Geschäftsführer ebenjener Südwestdeutschen Medienholding, ist gelernter Wirtschaftsprüfer und Schwabe noch dazu. Für ihn ist die Zeitung ein Produkt, das in einem bestimmten Markt zu positionieren ist, und zwar so exakt, daß der größtmögliche Gewinn zu erzielen ist. Am besten erfüllt diese Ansprüche die Stuttgarter Zeitung, die nach seinen Maßstäben ein Premiumprodukt ist, im Gegensatz zu den Nachrichten, die in knapper Form das Wichtigste aus Politik und Gesellschaft, aus Wirtschaft und Sport zusammenzutragen hat, nicht unbedingt im Boulevardstil, aber doch so, daß sich jeder angesprochen fühlt, auch Häberle und Pfleiderer in der schwäbischen Provinz. Die Logik der unterschiedlichen Positionierung führt zu einer erkennbar deutlich besseren Ausstattung der Stuttgarter Zeitung, etwa mit Korrespondenten in aller Welt, aber vor allem auch in allen Winkeln des Landes. Ein Premiumprodukt, das weiß der Marketingexperte, muß mit entsprechenden Mitteln und mit hochqualifiziertem Personal ausgestattet sein, für das man auch tiefer in die Tasche zu greifen bereit ist. Daß die Redakteure, auch die Hierarchen unter ihnen, oft das Gefühl haben, ihr Geschäftsführer höre ihnen nicht zu, wenn sie etwas zu erzählen hätten, steht dahin. Sie schaffen auch ohne den Austausch mit dem Geschäftsführer ein erfolgreiches Produkt, und dieses Ziel eint die Parteien, wenngleich aus völlig unterschiedlichen Motiven.
Schwabe und Wirtschaftsprüfer
So wie dem Geschäftsführer Jürgen Dannenmann in den zwölf Jahren seines Wirkens an der Spitze der Verlagsgruppe die Bedürfnisse der Redaktion im einzelnen fremd geblieben sind, so sehr sind umgekehrt den Journalisten die Zwänge fremd, in denen sich der Geschäftsführer bewegt. Sicher, man hat es damals registriert, daß Jürgen Richter, die graue Eminenz, das Haus wohl nicht im Frieden mit dem Groß-Gesellschafter Dieter Schaub aus Ludwigshafen verlassen hat, als er in den frühen neunziger Jahren an die Spitze des Springer-Verlags wechselte. Man nimmt auch wahr, daß der Ulmer Verleger Eberhard Ebner eine wichtige Rolle spielt, der Grandseigneur unter den württembergischen Zeitungsverlegern. Aber wer mit wem warum etwas zu tun hat, das wissen selbst die Kollegen aus der Wirtschaftsredaktion allenfalls der Spur nach, jene, die in der Textilindustrie das Gras wachsen hören und die Machtverhältnisse beim Weltkonzern Daimler-Chrysler auseinanderklamüsern. Nicht umsonst wurden die Gerüchte über den Einstieg der Stuttgarter Medienholding beim Verlag der Süddeutschen Zeitung nicht zuerst in Stuttgart, sondern in München vernommen. Und während die Süddeutsche Zeitung einen Pressesprecher hat, der über die grundlegenden Dinge Auskunft geben kann, muß man in Stuttgart auf persönliche Audienz beim Geschäftsführer hoffen. Auch hier: Lean Management. Einen Pressesprecher kennt dieses Unternehmen nicht, das zwei Drittel der in Baden-Württemberg gedruckten Tageszeitungen verbreitet.
Mit Holtzbrinck, so könnte man denken, müßte sich dieser Verlag innig verbunden fühlen. Indes weiß man nichts dergleichen. Gerüchteweise soll Holtzbrinck dem Kartellamt bis zum Stichtag am 4. Dezember einen Vorschlag unterbreiten, wie die Berliner Zeitung doch in den Konzern übernommen werden könnte: nämlich durch eine Zusammenarbeit mit der Medienholding, die ebenfalls am Zeitungsmarkt der Hauptstadt interessiert ist, nicht zuletzt weil sie (auch wenn sie sich Südwestdeutsch nennt) die Märkische Oderzeitung in Frankfurt an der Oder besitzt. Von beiden Konzernen wird dementiert, daß es Gespräche über eine solche Lösung gibt. Aber insgeheim rechnet man in der Branche schon damit, daß die Stuttgarter gemeinsam auch den Berlinern zeigen könnten, wie man mit Zeitungen Geld verdient.
SUSANNE PREUSS«
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.2002, Nr. 277 / Seite 40)
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Jörg Metes
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