Werbekrise
»Die Medien in der Krise
Von Marcus Theurer
Über die deutsche Medienindustrie fegt ein Sturm hinweg, wie sie ihn seit Bestehen der Bundesrepublik noch nicht erlebt hat. Zwei Schläge jeder für sich genommen reicht aus, um die Branche zu erschüttern kommen zusammen: ein dramatischer Rückgang der Werbeeinnahmen und der Zusammenbruch des Medienkonzerns von Leo Kirch, dem führenden privaten Fernsehunternehmen in Deutschland. Angesichts der Tragweite beider Ereignisse stellt sich die Frage, ob es sich um vorübergehende, singuläre Phänomene handelt oder ob sie Zeichen einer strukturellen Veränderung sind. Wird also die über Jahrzehnte hinweg weitgehend stabile deutsche Medienlandschaft ein neues Gesicht bekommen, und wird das Medienangebot, was Vielfalt und inhaltliche Substanz angeht, nach der Werbekrise und Kirch ein anderes sein?
Der Werbeeinbruch könnte das Angebot der beiden wichtigsten Medien, Presse und Fernsehen, nachhaltig beeinflussen, denn Werbung ist deren wichtigste Erlösquelle. Bei Tageszeitungen sorgen Anzeigen im Schnitt für gut zwei Drittel der Umsätze. Für die werbefinanzierten Privatsender sind Fernsehspots sogar die einzige Erlösquelle. Um mehr als 7 Prozent auf 21,7 Milliarden Euro fielen die Nettowerbeeinnahmen der deutschen Medienunternehmen 2001. Und in diesem Jahr ist bislang keine Besserung in Sicht. Der Einbruch trifft eine wachstumsverwöhnte Branche: Seit 1949 waren die Werbeeinnahmen zuvor bis auf eine einzige Ausnahme noch nie gesunken. Die Privatsender hatten seit ihrer Zulassung Mitte der achtziger Jahre noch gar keinen Rückgang erlebt.
Die Krisenzeichen in den Verlagshäusern sind alarmierend. Der Axel Springer Verlag (Bild) als führender deutscher Anbieter von Tageszeitungen hat erstmals seit über fünfzig Jahren einen Verlust ausgewiesen. Fast alle überregionalen Zeitungen haben betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen, die Seitenumfänge reduziert, Beilagen und Magazine eingestellt. Der Holtzbrinck-Verlag (Handelsblatt) will seine Beteiligung am defizitären Nachrichtensender n-tv verkaufen, die er wenige Monate zuvor noch aufgestockt hat. Sollte die Dürrephase fortdauern, dürften vor allem im mittelständisch geprägten Tageszeitungsmarkt Unternehmen in Bedrängnis kommen. Profiteure könnten kapitalkräftige Großverlage oder auch branchenfremde Investoren sein, denen sich dann günstige Übernahmechancen eröffneten.
Während der vergangenen Boomjahre haben viele Verlage große Beträge investiert und den bevorstehenden Einbruch zu spät erkannt. Das erklärt das Ausmaß der jetzt notwendigen Sparmaßnahmen. Wenn früher oder später die Konjunktur wieder anzieht, geht es um die Frage, ob die Anzeigen im gewohnten Umfang zurückkehren oder ob die für Tageszeitungen wichtigen Stellen-, Immobilien- oder Kleinanzeigen verstärkt ins Internet abwandern werden. Das wird der nächste Konjunkturaufschwung zeigen: Erst wenn die Werbeeinnahmen dauerhaft hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben, kann von einer Strukturkrise gesprochen werden. Einstweilen bewegen sich die Verlagshäuser mit den notwendigen Sparmaßnahmen auf einem schmalen Grat: Sollte die Qualität ihrer Produkte unter den notwendigen Kostenkürzungen merklich leiden, würde dies die Attraktivität als Werbeträger beeinträchtigen. Dadurch könnte die wirtschaftliche Basis Schaden nehmen, auch wenn die Werbeeinnahmen der Branche insgesamt wieder auf den alten Wachstumspfad zurückkehren.
In der Fernsehbranche kommt zur Werbekrise noch die Kirch-Insolvenz hinzu. Der Werbeeinbruch ist zudem für viele Sender wohl brisanter als für die Verlage. Einerseits haben sie neben den Spots keine andere Erlösquelle. Andererseits ist ihre Ertragskraft im Schnitt schwächer. Vor allem viele Spartensender waren schon vor der Krise defizitär, und auch der älteste deutsche Privatsender Sat.1 ist wirtschaftlich immer noch kein Erfolg. Die Werbeflaute und der Eigentümerwechsel bei den Kirch-Sendern neben Sat.1 sind dies Pro Sieben, Kabel 1, der Nachrichtensender N24 und der Sportkanal DSF könnten nun den Anstoß zu einer Marktbereinigung geben.
Der Kirch-Zusammenbruch wirft vor allem unter dem Gesichtspunkt der Anbietervielfalt in den deutschen Medien Fragen auf. Wer soll an die Stelle Kirchs treten? Bertelsmann scheidet als Käufer für die Sender weitgehend aus. Mit seiner RTL-Gruppe (bislang RTL, RTL 2, Vox und Super RTL) erreicht der Gütersloher Konzern bereits fast den gesetzlich maximal zulässigen Zuschauermarktanteil von etwa 30 Prozent. Weil es außer Bertelsmann keine weiteren potenten Fernsehunternehmen gibt, kommen aus dem Inland als Käufer nur Medienunternehmen in Frage, deren Geschäftsschwerpunkt bisher bei Zeitungen und Zeitschriften lag. So zeigen Springer und der Heinrich Bauer Verlag (Bravo) ernsthaftes Interesse an der Kirch-Kerngesellschaft. Der Spiegel Verlag wird sich ihnen möglicherweise anschließen.
Sollten Springer und Bauer bei Kirch zum Zuge kommen, wäre dies wettbewerbs- und medienpolitisch problematisch: Dadurch würde der mit Abstand größte deutsche Tageszeitungsverlag gemeinsam mit einem im Zeitschriftenmarkt stark vertretenen Partner zusätzlich den führenden Privatfernsehanbieter kontrollieren. Dies wäre zwangsläufig eine Bedrohung für die Medienvielfalt: direkt wegen der weiter zunehmenden Konzentration von Meinungsmacht, indirekt wegen der entstehenden noch stärkeren Position auf dem Werbemarkt. Springer und Bauer würden zu dominierenden Anbietern von Werbeplätzen in Zeitungen, Zeitschriften und im Fernsehen. Dies könnte ihnen bei der Preisgestaltung einen bedenklichen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber anderen Medienhäusern verschaffen.
Springer und Bauer müßten zu Recht mit erheblichen wettbewerbspolitischen Widerständen bei den zuständigen Aufsichtsbehörden rechnen. Es gibt Alternativen: Ausländische Kaufinteressenten wie die Konzerne Sony (Columbia Tristar) und Viacom (MTV) oder der französische Sender TF1, die bisher in Deutschland kaum vertreten sind, hätten dieses Problem nicht.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.08.2002, Nr. 184 / Seite 9
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Jörg Metes
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