Das hier Gesagte mögen sich bitte alle Presseleute zu Herzen nehmen ...
Sehr geehrter Herr Steinfeld,
liebe Redaktionsmitglieder der SZ,
einerseits freue ich mich mit Tausenden von Lesern über Ihre Zeilen, andererseits frage ich mich, weshalb Sie einerseits – völlig zurecht – kritisieren, daß „das Lesen von Wörtern wie Missstand und schusssicher“ erschwert werde, andererseits die SZ „vernünftige Neuerungen – etwa die ß- und ss-Schreibweise“ übernehmen wollen.
Bitte bedenken Sie, daß
- die ss-Schreibweise vor allem auch für die Kinder eine Erschwernis darstellt, auch wenn vordergründig „Kuss – Küsse“ logisch erscheint. Sie werden selbst feststellen, daß bei der ss-Schreibung heute mehr Fehler gemacht werden als früher, die Unsicherheit wird weiter zunehmen. Die Gründe hierfür kann ich Ihnen auf Nachfrage darlegen. Ich bin Pädagogin.
- durch die ss-Schreibung die Bestände der Bibliotheken künstlich veralten, also ein Bruch mit der Lesetradition erfolgt. Kürzlich sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, bei einem Interview im DL, daß es in der Bibliothek seiner Schule 40.000 Bücher gebe, davon 35.000 nach den früheren Regeln geschrieben. (Fragen Sie ihn selbst: josef.kraus@Landshut.org)
Weiters bitte ich zu bedenken, daß jede Änderung der Rechtschreibung Kosten verursacht, egal ob es eine große Änderung ist oder eine kleine, gleichgültig ob wir das ss behalten oder nicht: Kosten entstehen in jedem Fall. Umstellungen und Unruhe gehen mit jeder Änderung einher. Und Änderungen sind, wie wir alle wissen, nötig. Wollen wir die Unruhe für die nächsten Jahrzehnte zementieren?
Weshalb ändern wir nicht gleich vernünftig?
Weshalb nehmen wir nicht die „Maschine“, von der wir wissen, daß sie fliegen kann? Weshalb müssen wir eine reparieren, die sich danach mühsam in der Luft hält und garantiert für neuen Ärger sorgen wird?
Wenn das Fahrzeug nicht funktioniert, kann man nicht darüber sprechen, welche Ziele man ansteuern will. Als erstes muß dafür gesorgt werden, daß die Maschine wieder arbeitet.
Ich bin weder ewiggestrig, noch streitbar. Ich habe mich nie um Politik gekümmert. Auch ist es mir zuwider, den ganzen Sommer über die Zeit verplempern zu müssen mit dem Thema Rechtschreibung – die Rechtschreibung, die sich vor 1996 nie in den Vordergrund gedrängt hatte, weil sie zwar eine wichtige, aber still-zurückhaltende Dienerin der schriftlichen Kommunikation war. Dieser Status ist ihr 1996 überraschend geraubt worden. Seither gibt es Aufruhr. Und dieser wird sich auch nicht legen, ehe die Orthographie nicht wieder funktioniert und damit wieder bescheiden in den Hintergrund treten kann, wohin sie gehört.
Sie können mir also glauben, daß mir das keine Freude macht. Doch wenn ich sehe, was sich nun aus machtpolitischem Kalkül anbahnt, frage ich mich: Weshalb müssen wir eine Schreibweise behalten, die uns außer Leseerschwernis keine Verbesserung bringt? Logisch ist nicht identisch mit gut und besser. Und nicht alles Neue bewährt sich auf Dauer.
Wollen wir denn ewig weiterwursteln?
Wie lange soll uns die Diskussion über die Rechtschreibung noch begleiten?
Mir ist durchaus bewußt, wie schwierig die Lage der Presse und aller Buchverlage ist. Trotzdem:
Ich bin sicher, im Namen der Mehrheit aller Leser und Schreiber zu sprechen, wenn ich Sie herzlich bitte, von dem angestrebten „Kompromiß“ abzurücken, der allein dazu gut ist, den in die Angelegenheit verwickelten Personen zu helfen, das Gesicht zu wahren, der Sache selbst jedoch langfristig Schaden zufügt. Ein „Kompromiß“ löst das Problem nicht, denn es gibt kein kostenneutrales oder für die Öffentlichkeit unbemerktes Abrücken von der Reform. Mit Flickschusterei lösen wir keine Probleme, haben wir das noch immer nicht an vielen gesellschaftspolitischen Vorgängen aus der jüngsten Vergangenheit gelernt?
Karin Pfeiffer-Stolz
-Autorin-
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Karin Pfeiffer-Stolz
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