Re: Hart Gekochte sind keine Weicheier
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Sigmar Salzburg
Kellenhusen (ckk) Die Badesaison an der Ostsee soll mit einem Weltrekord beginnen: Pastillenproduzent Fisherman's Friend will am Ostersonnabend, 19. April, 10000 hart Gesottene zum Anbaden im kalten Wasser bewegen, was einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde bedeuten würde ...
(Kieler Nachrichten v. 20.2.2003, S.6)
Das kommt m. E. zum einen davon, daß durch die Rechtschreibreform echte Adjektive, die wie Zusammensetzungen aussehen, zuhauf abgeschafft wurden und wo kein Adjektiv mehr ist, kann auch nichts mehr substantiviert werden , und daß diese Art von Getrenntschreibungen häufig anzutreffen ist, so daß man sich kaum noch um den Inhalt schert.
Die Frage ist also, was denn nun in diesem Fall richtig ist: Gibt es das Adjektiv hartgesotten noch oder gibt es es nicht? Der Blick ins Wörterbuch ist dabei trügerisch: Gültig im Sinne der Neuregelung sind allein die Paragraphen des Regeltextes, und es gibt kein Wörterbuch, in dem diese komplett richtig umgesetzt sind (was wegen der in den Regeln selbst vorhandenen Widersprüche und Lücken auch kein Wunder ist). Deshalb ist es wichtig, wenn man wirklich etwas über die neue Rechtschreibung erfahren will, sich mit dem Regelwerk zu befassen.
Wenn man denkt, was soll der Quark, natürlich muß es hier hartgesotten heißen, weil alles andere Quatsch ist, dann täuscht man sich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen steht im Bertelsmann-Wörterbuch von 1996 nur die getrennte Form hart gesotten (im Unterschied zum Duden, der beides verzeichnet), zum anderen werden in der Neuregelung, »soweit dies möglich ist, [...] zu den Regeln formale Kriterien angeführt, mit deren Hilfe sich entscheiden lässt, ob man im betreffenden Fall getrennt oder ob man zusammenschreibt.« Dabei gilt: »Bei der Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung wird davon aysgegegangen, dass die getrennte Schreibung der Wörter der Normalfall und daher allein die Zusammenschreibung regelungsbedürftig ist.« (Regeln, Teil B 0 Vorbemerkungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung; vgl. http://www.ids-mannheim.de/grammis/reform/b1.html)
Also: Die Prinzipien der Neuregelung sind: a) Regeln gehen vor, b) getrennte Schreibung ist der Normalfall, c) vorzugsweise werden formale Kriterien werden verwendet.
Punkt a) geht nicht direkt aus dem amtlichen Regelwerk hervor, sondern folgt zum einen indirekt daraus, daß das amtliche Wörterverzeichnis nur ca. 12.000 Einträge umfaßt und also bei weitem nicht alle Einzelfälle amtlicherseits direkt abgedeckt sind, und zum anderen wird es direkt von der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, die zu mehr als der Hälfte mit Autoren des neuen Regelwerkes besetzt ist, in ihrem 3. Bericht an die KMK auf S. 64 so gesagt:
»[...] Dies widerspricht aber der Grundintention der Neuregelung, außerhalb bestimmter Teile der Wortschreibung im engen Sinn (Laut-Buchstaben-Beziehungen; Teil A des amtlichen Regelwerks) keine Regelung über das Wörterverzeichnis vorzunehmen. Das heißt, der Schreibende sollte sich in den Bereichen B bis F des amtlichen Regelwerks darauf verlassen können, dass die Schreibung allein auf Basis des Regelteils sicher hergeleitet werden kann, also ohne Konsultation des amtlichen Wörterverzeichnisses. [...] Streng logisch gesehen, hat das amtliche Wörterverzeichnis in Bezug auf die Teile B bis F des Regelteils nur illustrierenden, nicht normsetzenden Charakter.«
(http://www.rechtschreibreform.de/K3/064.gif oder PDF-Seite Nr. 59 von http://www.ids-mannheim.de/reform/Gesamttext.pdf.) Daß die formalen Regeln bevorzugt werden, ist auch nicht direkt aus dem amtlichen Text zu entnehmen, sondern nur den Begleitschriften der Reformer. Dazu Prof. Dr. Gerhard Augst und Prof. Dr. Burkhard Schaeder in ihrer Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung (hier macht das irgend die Musik): »2) Soweit dies irgend möglich ist, sollen formale Kriterien bei der Entscheidung helfen, ob zwei im Text aufeinander folgende Wörter getrennt oder zusammengeschrieben werden.«
(http://uploader.wuerzburg.de/rechtschreibreform/fundam-2.html) Und Dr. Klaus Heller schrieb im SPRACHREPORT des Instituts für deutsche Sprache (IDS): »An die Stelle schwer handhabbarer inhaltlicher Kriterien (Zusammenschreibung wenn ein neuer Begriff entsteht oder wenn die Bedeutung des Substantivs verblasst ist) treten grammatische Proben (Erweiterbarkeit, Steigerbarkeit usw.). [...] Die Unterscheidung von konkreter und übertragener Bedeutung als Kriterium für Getrenntschreibung [...] beziehungsweise Zusammenschreibung [...] wird aufgegeben [...]«
(http://www.ids-mannheim.de/pub/sprachreport/reform/reform-ges.html#B) Wie ist es nun bei hart_gesotten? Hier gibt es auch die Schreibung als Wortgruppe, und also muß man die Zusammenschreibung extra prüfen. Wegen hart (Adjektiv) + gesotten (Partizip) kommt man auf Paragraph 36. Zusammenschreibung wäre angezeigt, wenn das das dem Partizip zugrunde liegende Verb zusammengeschrieben wird; das wäre hartsieden. Das gibt es aber nicht, und zwar in dem Sinne, daß man es nirgends so vorfindet (vgl. Google); man schreibt hart sieden (und auch weich kochen), weil es Resultativzusätze sind. In den neuen Regeln findet man dazu die Getrenntschreibung nach § 34 E3 (3), d. h. aufgrund der Erweiterbarkeit mir sehr oder ganz, und das funktioniert hier.
Wenn man also jemanden für besonders abgebrüht hält, dann könnte man doch von ihm sagen, er sei sehr hartgesotten. Wie muß man das nun nach den neuen Regeln schreiben? Deren Logik ist so: Weil es hartsieden nicht gibt, kann es auch hartgesotten nicht geben, und also muß es sehr hart gesotten lauten auch wenn es offenbar etwas anderes meint.
Es kann sein, daß die Logik hinter den neuen Regeln nur auf das wirkliche Sieden abzielt und nicht auf die übertragene Bedeutung. Aber es gibt für letzteren Fall keine eigene Regel! Das Problem dabei ist, daß die Überprüfung, ob die Erweiterung oder Steigerung einer Verbindung (sinnvoll) möglich ist, nur in § 34 vorkommt und sich auf den Infinitiv von Verben bezieht. Würde es ein analoges Kriterium auch in § 36 geben (d. h. für Adjektive bzw. Partizipien), wäre man fein raus.
Der Ausgangspunkt der neuen Regeln, daß es zu bestimmten Verbindungen keinen Infinitiv gibt, ist zwar richtig, aber die Schlußfolgerungen sind falsch und das bedeutet nach den Prinzipien der Aussagenlogik, daß der Schluß ungültig ist. Daß auch das reguläre hart gesotten in diesem Sinne bereits ein pathologischer Fall ist, wird von Michael Schneider (Uni Marburg, http://staff-www.uni-marburg.de/~schneid9/) hervorgehoben: »Auch hier lassen sich nicht alle Fälle auf Verbverbindungen zurückführen (blau streifen? blond locken? eng befreunden? hart sieden? schwer behindern? spät gebären? übel launen?).«
(S. 33 von http://www.schneid9.de/pdf/kommentar.pdf) Fazit: Ich kann anhand der reformierten Regeln nicht nachvollziehen, warum es weiterhin die Form hartgesotten gibt. Inhaltliche Kriterien spielen bei den reformierten Regeln eine untergeordnete Rolle und wurden etwa in dem Fall des immerwährend nicht berücksichtigt. Hier soll es nun wohl so sein aber warum hier, und an welchen anderen Stellen noch, an welchen anderen Stellen aber nicht? Das ist die Krankheit der neuen Regeln: Sie funktionieren von ihrer Logik her nicht, und ihre Interpretation in den Wörterbüchern ist undurchschaubar.
__________________
Jan-Martin Wagner
|