Bertelsmann, die Parteien und die GEW
Nachdem 1998 in Schleswig-Holstein die Rechtschreibreform durch die Bürger abgewählt worden war, trat kurze Zeit später überraschend ein bis dahin unbekanntes Aktionsbündnis ans Licht der Öffentlichkeit: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kündigte an, 10000 von der Bertelsmann AG gestiftete Lexika in Reformschreibung an die Schulen zu verteilen – unausgesprochen natürlich, um die demokratische Entscheidung des Volkes zu unterminieren.
Daß der Bertelsmann-Konzern seine Macht auch durch die „Rechtschreibreform“ zu erweitern trachtete, war allgemein bekannt. Daß aber schon eine enge Kumpanei zwischen Konzern, Regierungsparteien und Gewerkschaften bestand, war für die meisten doch überraschend. Einen umfangreichen Artikel hierzu, ohne allerdings auf den Nebenkriegsschauplatz „Rechtschreibreform“ einzugehen, bringt heute, in „richtiger“ Rechtschreibung, die „junge Welt“. Hier können nur Stichworte gebracht werden. Der Verfasser, selbst GEW-Mitglied, schreibt am Schluß:
Der Bildungsbegriff à la Bertelsmann ist funktionalistisch und auf die Bedürfnisse der modernen Industrie ausgerichtet. Daß ausgerechnet die GEW Handreichungen zum »kooperativen Lernen« herausgibt, ist dabei eine Pointe, über die zu lächeln ich mich weigere.
Der Titel der Untersuchung in der jW lautet:
Das heimliche Ministerium
Hintergrund. Die Bertelsmann Stiftung setzt ihre neoliberalen Bildungskonzepte für Universitäten und Schulen über die Politik durch. Der Bertelsmann AG wird so ein Milliardenmarkt geschaffen
Von Steffen Roski
Die Bertelsmann AG, eine der größten Medien- und Dienstleistungskonzerne weltweit, ist an keiner Börse notiert. Aktionäre sind die Bertelsmann Stiftung (76,9 Prozent) und die Familie Mohn (23,1 Prozent). Die Stiftung wirtschaftet – folgt man Studien des Soziologen Frank Adloff, der sich auf Stiftungen spezialisiert hat – de facto mit öffentlichem Geld, weil durch die Übertragung von drei Vierteln des Aktienkapitals auf die Stiftung gut zwei Milliarden Erbschafts- und Schenkungssteuer gespart werden konnten. …
…. Der Hamburger Pädagoge Horst Bethge hat präzise herausgearbeitet, wie die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit NRW-Landesregierung, Schulbehörden, aber auch der DGB-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das Projekt »Selbständige Schule« vorangetrieben hat. …
Deutlich wird an diesen beiden prominenten Beispielen der NRW-Bildungspolitik, daß die Bertelsmann Stiftung sowie das von ihr finanzierte CHE (Jahresetat etwa zwei Millionen Euro) in einer wohldosierten Mischung aus Druck und Konsensstrategien in der Lage gewesen ist, Politik – und zwar sowohl CDU/FDP als auch Sozialdemokratie und Bündnisgrüne –, staatliche Bürokratie, quasistaatliche Standesgruppen wie die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Unternehmen, aber auch Gewerkschaften sowie andere zivilgesellschaftliche Akteure und Stiftungen als »Partner« zu gewinnen. Wie konnte es dazu kommen? …
…
»Die Kassen sind leer«, lautet das Lamento. Ein Medien- und Dienstleistungskonzern wie Bertelsmann wittert hier seine Chance. Ruinierte öffentliche Haushalte bieten einen Ansatzpunkt für »schöpferische Zerstörung«, erkannte bereits der Volkswirtschaftler Joseph Schumpeter. Jede ökonomische Entwicklung baut darauf auf, daß alte Strukturen zerstört werden, um die Produktionsfaktoren immer wieder neu zu ordnen…
Die Druck- und Drohkulisse chronisch unterfinanzierter öffentlicher Haushalte macht es zudem möglich, im Bildungsbereich den Mechanismus der marktlichen Konkurrenz gezielt einzusetzen, um Prozesse im Sinne von Bertelsmann zu steuern…
Für den Schulbereich hat die Bertelsmann Stiftung mit dem Instrument »Selbstevaluation in Schulen« (SEIS) ein analoges wettbewerbliches Steuerungsinstrument entwickelt. Die SEIS-Schulen werden in Rankings untereinander vergleichbar, Bildungsqualität wird reduziert auf Fragebogen gestützte Erhebungen.
Bei der Bertelsmann Stiftung liest sich das so: »Durch den Qualitätsvergleich gründet sich Schulentwicklung nicht länger ausschließlich auf Intuition, Tradition oder pragmatische Entscheidungen, sondern auf Daten. …
Halten wir bis hierhin fest: Einer der weltweit mächtigsten Medien- und Dienstleistungskonzerne »instrumentalisiert« eine eigene Stiftung, die als »heimliches Bildungsministerium« erscheint. …
Der Milliardenmarkt Bildung
… Ein gigantischer Milliardenmarkt harrt der Eroberung! Die Gütersloher Strategen in Konzern und Stiftung erheben bereits die entsprechenden Forderungen, um den Fuß in die Tür des Bildungsmarktes zu bekommen …
Der Erziehungswissenschaftler Reinhold Hedtke berichtet beispielsweise, daß die Bertelsmann Stiftung eine Unterrichtsreihe ausgerechnet zum Thema Urheberrecht finanziert hat. Hier arbeitet sie direkt der Bertelsmann AG zu, die mit dem Rechtehandel viel Geld verdient.
Weit bedrohlicher erscheint mir allerdings die Tatsache, daß es der Bertelsmann Stiftung gelungen ist, über die Promotion von Unterrichtstechniken »mit Methode« in den Schulunterricht vorzudringen. …
»Auch im Lande NRW hat man hin und wieder den Eindruck, daß die Verbindung der Bertelsmann Stiftung mit dem Schulministerium (…) gegen kritische Bemerkungen inquisitorisch verteidigt werden und daß die Schulaufsicht hin und wieder renitenten Lehrkräften mit Konsequenzen droht, wenn sie sich nicht an den betreffenden Programmen beteiligen.« …
jungewelt.de 14.7.2010
|