(Die DDR lebt)
Kraftakt der Sprach-Technokraten
Erstmals werden die Rechtschreib-Regeln durch eine Regierung verordnet – Bruch mit der Tradition
von Dankwart Guratzsch
Berlin Am 1. August tritt an Deutschlands Schulen die neue Rechtschreibung in ihren wichtigsten Teilen formell in Kraft. Von diesem Tage an müssen Verstöße gegen die neuen Regeln der Groß- und Kleinschreibung, der Schreibung mit Bindestrich sowie der Laut-Buchstaben-Zuordnung in Schülerdiktaten als Fehler angestrichen werden. Lediglich die von Anfang an heftig umstrittene Getrennt- und Zusammenschreibung, die Silbentrennung am Zeilenende und die Zeichensetzung bleiben weiterhin von der Bewertung ausgenommen.
Damit ist ein geschichtliches Datum gesetzt. Denn zum erstenmal seit Beginn deutschsprachiger schriftlicher Aufzeichnungen wird eine Reform der Rechtschreibung durch eine Regierung angeordnet. Die große deutsche Schreibreform des Schriftvaters Duden vor mehr als hundert Jahren hat demgegenüber nur behutsam anzugleichen versucht, was sich an Schreibgebräuchen in den deutschsprachigen Ländern herausgebildet hatte.
Diese Schreibgebräuche hatten sich, wie der Erlanger Linguist Theodor Ickler herausgearbeitet hat, über Jahrhunderte in einer Stafettenkontinuität von Generation zu Generation intuitiv herausgebildet. Dabei folgte die Verschriftlichung dem Bemühen, Gedanken, Gefühle und Absichten möglichst differenziert, exakt und klar auszudrücken, niemals aber der Absicht, bestimmte Regeln aufzustellen. Diese möglichst breite Bereiche abdeckenden Regeln sind jeweils erst im nachhinein von Sprachwissenschaftlern aus dem vorherrschenden Schreibgebrauch abgeleitet worden. Bis in die jüngste Gegenwart hinein hat das deutsche Rechtschreibwörterbuch, der Duden, diese Tradition beibehalten und neue Schreibweisen erst dann übernommen, wenn sie sich eingebürgert hatten.
Die neue Rechtschreibung bricht mit dieser Tradition und setzt ein anderes Verfahren an die Stelle. Für das Regelwerk zeichnet nicht der Schriftgebrauch, also das Volk, sondern ein Team von Experten verantwortlich, das sich abseits der Öffentlichkeit, am grünen Tisch, über neue Schreibregeln verständigt hat. Der Korrespondent dieser Zeitung wurde dreimal des Raumes verwiesen, als er um Teilnahme nachsuchte. Den beteiligten Wissenschaftlern kamen bei dieser Vorgehensweise die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zu Hilfe. Sie ermächtigten die Linguisten nicht nur zu Korrekturen an strittigen Schreibweisen, sondern zu einer grundlegenden Reform der deutschen Orthographie, und erhoben die Reform zum gemeinsamen politischen Projekt aller deutschsprachigen Staaten.
Dieses Verfahren ist von Anfang an auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung gestoßen. Mehrere Volksbegehren und ein Volksentscheid in Schleswig-Holstein gegen das neue Regelwerk blieben jedoch folgenlos, weil sich die Kultusministerkonferenz beharrlich über alle Einwände und Proteste hinwegsetzte. Klagen von Eltern wurden von Gerichten in allen Instanzen, zuletzt 1997 vom Bundesverfassungsgericht, niedergeschlagen. Die staatliche Durchsetzung der neuen Orthographie an den Schulen stellt den zunächst letzten Akt der Einführung des Regelwerks dar, das trotz Rücknahme zahlreicher ursprünglich beabsichtigter, tiefreichender Eingriffe (Kleinschreibung, Keiser statt Kaiser, Bot statt Boot) auch heute noch den vorherrschenden Schreibgebrauch ignoriert und laut Meinungsumfragen von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.
(2) Der enorme staatliche Kraftaufwand zur Durchsetzung eines derart unpopulären Projektes ließ schon früh die Frage aufkommen, ob es neben den offiziellen Gründen für die Einführung ungebräuchlicher Schreibweisen geheime Nebengründe geben könne? Es wurden personelle Verflechtungen zwischen der anfangs tonangebenden Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Mitgliedern der Rechtschreibkommission und einigen Großverlagen aufgedeckt, die an der Beteiligung am lukrativen Wörterbuchgeschäft und der Abschaffung des Duden-Monopols ein vehementes Interesse hatten. Erst jüngst kamen Spekulationen auf, daß sogar Parteispenden geflossen seien, jeden Angriff auf die Reform rechtzeitig abzublocken.
Viel einfacher und vermutlich plausibler ist der Blick in die Ideologie-Geschichte der Reform. Danach ist die Rechtschreibreform unzweifelhaft ein Erbstück der 68er-Bewegung inzwischen vielleicht sogar das einzige, das überlebt. Es war auf dem von der GEW dominierten Kongreß vernünftiger schreiben vom 4. bis 6. Oktober 1973 in Frankfurt/Main, daß erstmals die Rechtschreibung als Instrument des Klassenkampfes angeprangert wurde. Durch eine neue Rechtschreibung einschließlich Kleinschreibung der Substantive, so wurde dort gefordert, solle dem Establishment die Verfügungsgewalt über jenen elaborierten Code entwunden werden, mit dem die Volksmassen jahrhundertelang niedergehalten und unterdrückt worden seien. Auch wenn von diesem Pathos nicht viel geblieben ist in Schriftsätzen von Mitgliedern der inzwischen abgesetzten Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission finden sich bis heute Spuren davon.
Für die politische Durchsetzung der Reform wurde ein zweites Faktum wichtig. Zu Zeiten der deutschen Teilung wußten westdeutsche Reformer bei bundesdeutschen Politikern von früh an den Argwohn zu nähren, die DDR bereite auf eigene Faust eine Rechtschreibreform vor, um die deutsche Teilung auch schriftsprachlich zu zementieren. Das geschickt gestreute, offenbar aus der Luft gegriffene Gerücht, das auch die Medien erreichte, verfehlte seine Wirkung nicht. Voller Nervosität willigten die zuständigen Ministerien der westlichen Länder in Rechtschreibkonferenzen mit DDR-Wissenschaftlern auf neutralem Boden, in Österreich, ein, die dazu dienen sollten, die DDR einzubinden. Hier wurde weitab von jeder Öffentlichkeit die Reform auf scheinbar unumkehrbaren Kurs gebracht.
Heute ist dennoch schwer abzuschätzen, was von der Rechtschreibreform am Ende bleibt. Der neu berufene Rat für deutsche Rechtschreibung hat angekündigt, sich auch die neuen verbindlichen Schreibweisen vorzunehmen und gründlich zu überarbeiten. Bayern und Nordrhein-Westfalen wollen ihren Schülern nicht zumuten, in einem Jahr zweimal umzulernen, und warten die Reform der Reform noch mindestens ein Jahr lang ab. Aber auch in den anderen Ländern steht die neue Rechtschreibung weiterhin auf wackligen Füßen. Da es kein Wörterbuch für die verbindlichen Schreibweisen gibt (und wegen der bevorstehenden Reform der Reform bis auf weiteres keines geben wird), kann es zu neuen Klagen gegen falsche oder unsichere Benotungen kommen. Der Schreibfrieden scheint ferner denn je.
Artikel erschienen am Sa, 30. Juli 2005
http://www.welt.de/data/2005/07/30/752631.html
|