Bundesverfassungsrichter
Ex-Verfassungsrichter Mahrenholz vermißt öffentliche Debatte bei Rechtschreibreform
Karlsruhe Nach einem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 3. Juni 2005 tritt am 1. August die umstrittene Rechtschreibreform in Teilen für Schulen und Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbindlich in Kraft. Ausgeklammert werden die noch strittigen Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung und Interpunktion, für die der Rat für deutsche Rechtschreibung noch Änderungsvorschläge vorlegen will. Ernst Gottfried Mahrenholz (SPD), von 1981 bis 1994 Bundesverfassungsrichter, jetzt Rechtsanwalt Karlsruhe, hält die Reform für einen Mißerfolg. Mit ihm sprach Dankwart Guratzsch.
DIE WELT: Am 1. August sollen die neuen Rechtschreibregeln an den Schulen verbindlich werden, obwohl es sich teilweise um Schreibweisen handelt, die etymologisch falsch sind. Kann das erzwungen werden?
Gottfried Mahrenholz: Das hat man immer schon gemacht. Gesetz wurde mit e geschrieben, aber die Satzung mit a, Eltern mit e, auch wenn es von alt und "ältere kommt. Mein Lehrer sagte immer: Das ist die Ethymogelei. Letztlich muß das gelten, was nun mal so festgelegt ist. Das ist die normative Kraft des Faktischen.
DIE WELT: Der Rat für deutsche Rechtschreibung arbeitet an Änderungen, ist aber noch nicht fertig. Die CDU-Ministerpräsidenten wollten die Reform deshalb um ein Jahr verschieben, sind aber in der Ministerpräsidentenkonferenz nicht durchgedrungen. Teilen Sie die Meinung Ihres Kollegen Rupert Scholz, daß es trotzdem jedem Ministerpräsidenten letztlich freisteht, die Reform später einzuführen?
Mahrenholz: Ich stimme Herrn Scholz zu.
DIE WELT: Wir haben jetzt das Novum, daß die Politiker erstmals ohne Fachberatung über die Rechtschreibung entscheiden. Die Internationale Kommission ist entlassen, die Vorschläge des Rechtschreibrates werden nicht abgewartet.
Mahrenholz: Das ist in der Tat ein Novum. Aber die ganze Geschichte war ja von vornherein ohne Fachberatung. Die Linguisten verstehen nichts von Rechtschreibung. Daß man alles auseinanderschreiben muß, ist der reinste Blödsinn. Das können Linguisten gar nicht beurteilen. Es hätten in erster Linie diejenigen, die wirklich schreiben, nämlich Journalisten, und die, die wirklich lehren, nämlich Lehrer – Dichter hätten auch nicht geschadet – [ * ], die hätten darüber grübeln müssen, was wirklich vernünftig ist. Die Journalisten hätten schnell gemerkt die Richter haben's ja auch schnell gemerkt , daß man den Sinn völlig entstellen kann, wenn man ein Wort auseinanderreißt. Im Grunde war die ganze Geschichte von vornherein total verkorkst.
DIE WELT: Die Rechtschreibreform war ein Mißerfolg?
Mahrenholz: Wir sitzen vor einem Scherbenhaufen. Ich nehme an, das Ausland lacht sich halbtot. Im Englischen das ist einmal aufgelistet worden gibt es allein für die Schreibweise ough, ich meine mich zu erinnern, sechs verschiedene Aussprachen. Das müssen die lernen! Und es geht doch? Ich begreife nicht, daß man unseren ABC-Schützen nicht auch ein paar Schwierigkeiten zumuten kann. Das war doch alles durch den Duden und Wahrig wunderbar geregelt. Rechtschreibung ist eine Frage des Common sens und der Sprachentwicklung, keine Frage, die man von oben verordnen kann.
DIE WELT: Wenn Sie noch Bundesverfassungsrichter gewesen wären, als Karlsruhe 1998 grünes Licht für die Rechtschreibreform gegeben hat, wäre die Entscheidung womöglich ganz anders ausgefallen?
Mahrenholz: Das möchte ich hoffen. Ich hätte einen ganz einfachen Gesichtspunkt geltend gemacht, der bei den Richtern in der Regel durchschlägt: Man kann so etwas nicht machen ohne einen wirklich gründlichen öffentlichen Prozeß. Die Notwendigkeit der Öffentlichkeit dieser ganzen Geschichte ist ja einer der Gründe, weshalb der Parlamentsvorbehalt existiert. Das Öffentlichkeitsmoment ist überhaupt nicht berücksichtigt worden. Ich hätte mich auf alle Fälle im Gericht gegen das ganze Verfahren gewehrt.
Artikel erschienen am Mi, 13. Juli 2005
http://www.welt.de/data/2005/07/13/745001.html
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Hervorhebungen nicht im Welt-Artikel
[ * ] Die Schreibdamen und die Lektoren hätten gefragt werden sollen, denn die gehen, ebenso wie die Journalisten und anders als die Kultusminister und Sprachprofessoren, täglich mit großen Mengen Text um.
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Detlef Lindenthal
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