Brief
Absender Norbert Lindenthal, Bad Ems
Firma
Franckh-Kosmos
Frau Almut Sieben
Pfizerstr. 5–7
70184 Stuttgart
Rücksendung Himmelsjahr wegen fehlerhaftem Satz
Wie halten Sie es mit einem Volksentscheid?
Montag, 12. März 2001
Sehr geehrte Frau Sieben,
bezugnehmend auf meinen Telefonanruf kurz vor Weihnachten schicke ich Ihnen zurück das bisher geliebte Himmelsjahr, Ausgabe 2001.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die nächste Ausgabe 2002, die jetzt bald Redaktionsschluß haben wird, wieder in normaler Rechtschreibung drucken würden. Die bisherige Rechtschreibung (25 % kürzerer Regeltext) wird nicht nur von mir allein dem neuen Durcheinander vorgezogen. Als Fachverlag für astronomische Literatur würde Ihnen auch gut stehen, sich einmal die wissenschaftlichen Arbeiten zur Rechtschreibreform anzusehen, bevor Sie vorauseilend den Vorgaben des Staates nicht nur gehorchen, sondern den Pseudogehorsam in chaotischem Satz zum besten geben.
Nicht alles, was der Staat ausdenkt, ist besser als das, was sich die Menschen selbst ausdenken.
Immerhin ist das Durcheinander, das Sie in Ihrem Standardwerk vorführen, auf die Aushebelung des schleswig-holsteinischen Volksentscheides begründet. Sie dürfen also auch einmal Stellung nehmen: Wie halten Sie es mit dem schleswig-holsteinischen Volksentscheid?
Einen Volksentscheid vorzubereiten dauert mindestens 2 Jahre, wie in Schleswig-Holstein. Schneller kann er nicht entstehen. Wenn Politiker und mit Ihnen Fachverlage wie Ihr Astronomie-Verlag meinen, eine solche Entscheidung immerhin durch Gesetzesänderung schneller zu mißachten, dann muß es Gründe haben. Diese Gründe können jedoch nicht in einfacherer Rechtschreibung zu finden sein, denn die wissenschaftlichen Arbeiten zeigen sowohl in Grundschulen, wo Kinder theoretisch mit keiner anderen Rechtschreibung in Berührung kamen, wie auch bei Fachleuten (hier bei Journalisten, die immerhin ein ganzes Jahr tägliche Übung hatten) Fehlerzunahmen im Bereich einer Verdoppelung bis Verfünffachung.
Ihr Himmelsjahr war bisher fehlerfrei. Die Zunahme an Fehlern ist also bei Ihnen ganz besonders hoch, weit höher als verdoppelt. Wenn also Ihr Herr Melchert meint, so schlimm sei das wohl nicht, dann aber auch keine Antwort auf meine schriftliche Eingabe schickt, wirkt das recht schwach.
Überlegen Sie die Sache doch noch einmal. Es kann doch auch die Sache des Papstes geblieben sein, besseres aus dem Volk unterdrückt zu haben. Über Sterne aufklären, die man erforschen, aber nicht ändern kann, braucht man ja nicht dafür einzusetzen, ein wichtiges Kulturgut sinnlos gegen den Willen der Menschen zu ändern.
Bitte geben Sie diesen Brief weiter an Ihre Geschäftsleitung. Ich selbst schicke eine Kopie an Herrn Professor Keller. Bin gespannt, was er von der Sache hält. Immerhin haben Sie ihm 5 Fehler in sein Vorwort hineinkonstruiert.
Es geht ja hier um unsere Sprache.
Für die von Ihnen in Aussicht gestellte Erstattung des Kaufpreise nebst Portokosten möchte ich mich schon im vorhinein bedanken. Ich lasse mich allerdings dadurch nicht über Ihre persönliche Arroganz hinwegtäuschen, mit der Sie mir mitteilten, auch die nächste Ausgabe werde nach Rechtschreibreform, was auch immer das ist, erscheinen. Vielleicht entscheidet Ihre Firmenleitung ja auch anders.
Mit freundlichen Grüßen
[Unterschrift]
Anmerkung:
1.) Die CD behalte ich noch, bis vielleicht Ihre Techniker die versprochene Funktion auf einem Mac ermöglichen. Eine Antwort steht seit 9. Dezember 2000 aus. Bisher läßt die CD den Rechner (PB 500) abstürzen.
2.) Auf Seite 46 fehlt eine im Text angekündigte Tabelle.
ANLAGEN:
Himmelsjahr 2001, CD-Buch-Paket
Wolfgang Wrase, Veränderung der fehlerzahlen, Untersuchung zweier Ausgaben einer Tageszeitung vor und nach der Rechtschreibreform
Kritische Stimmen zur Rechtschreibreform nach der Umstellung der F.A.Z., zusammengestellt für den Zeitungskongreß des BDZV, Mainz, Oktober 2000
Harald Marx, Rechtschreibleistung vor und nach der Rechtschreibreform: Was ändert sich bei Grundschulkindern?
Allensbach, August 2000, Rechtschreibreform: Für die Bevölkerung kein Anlaß zur Umstellung
Horst Haider Munske, Das wohltemperierte Wörterbuch, Einfach weise: Theodor Icklers sanft reforierte Orthographie, F.A.Z., 11. September 2000
Günther Drosdowski, Auszug aus seinem Brief vom 10.11.1996
an Theodor Ickler: „… mafiaähnliche Zustände“
Hans-Dietrich Genscher: Es geht um Kinder und ihre Chancen, 10.3.2001, Mainzer Allgemeine Zeitung
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