Vielleicht liest es wenigstens hier jemand...
Brief an Herrn Hermann Unterstöger, Süddeutsche Zeitung
Betrifft: Würdig war es und recht (SZ-Weihnachtsausgabe)
Sehr geehrter Herr Unterstöger,
auf die Gefahr hin, daß ich bei Ihnen im Hause schon als Dauerbriefschreiber verschrieen bin, was aber vielleicht gar nicht der Fall ist, weil Ihre Poststelle vielleicht schon angewiesen ist, alle von mir kommende Post gleich in den Schredder zu stecken, möchte ich Ihnen zu Ihrem oben genannten Beitrag einige Gedanken mitteilen.
Da nennen Sie die Rechtschreibreform »das andere große Schmerzthema«, und in der Tat ist es dieses. Leider vernachlässigen Sie dann die Sachlichkeit, wo Sie »die Lage« »kurz skizziert« darstellen. Die »Doppelschreibung« hat sich keineswegs aus der Rückkehr der FAZ zur alten Rechtschreibung ergeben, sondern sie besteht völlig unabhängig von diesem Vorgang seit der Einführung der Reform. Zum einen schreiben die meisten Menschen, die nicht beruflich zur neuen Schreibung angehalten sind, weiterhin so wie sie es gelernt haben, und wenn Sie sich anschauen, wie es die Buchverlage handhaben, so werden Sie feststellen, daß so gut wie alle seriöseren Verlage, deren Bücher eine literarische Qualität oder eine längere Wirkungsdauer beanspruchen, bei der alten Rechtschreibung geblieben sind (Suhrkamp, Hanser, Beck, Ammann, Wagenbach, Diogenes, Aufbau usw.), andere wieder publizieren in verschiedenen Orthographien, aber meistens dann in der nicht reformierten, wenn an den Text höhere Ansprüche und eben die Erwartung einer längeren Nutzungs- und Wirkungsdauer gestellt werden. Auffällig ist das beim »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel«. Alle tagesaktuellen Sachen sind in einer abgemilderten Reformorthographie gehalten, alles was dafür gedacht ist, daß es auch noch von späteren Generationen gelesen wird, also die Beilagen »Buchhandelsgeschichte, Antiquariat, Archiv« usw. sind unreformiert. C.H. Beck bleibt auch deshalb bei der herkömmlichen Orthographie, weil sonst die Eindeutigkeit der Gesetzestexte bzw. der Kommentare gefährdet werden könnte bzw. Widersprüche im Fachvokabular entstehen. So hat sich Beck dieser Tage bei der Redaktion des Bundesgesetzblattes über die Schreibung »aufwändig« beschwert, weil dies nicht plausibel ist im Zusammenhang mit der unter Juristen üblichen Terminologie, wo man nicht von »Aufwand« (was ja schon der abgeleitete Begriff ist, von dem nun wiederum das dußlige »aufwändig« abgeleitet werden soll) spricht, sondern von »Aufwendungen«. Soll das nun auch »Aufwändungen« geschrieben werden? Sie wissen selbst, daß die Reform eine Unzahl solcher unsinniger Dinge zutage gefördert hat, Sie müssen ja nur Tag für Tag Ihre eigene Zeitung lesen.
Als »nationale Spaltung« hat noch kein ernstzunehmender Reformgegner das Problem mit der neuen Rechtschreibung bezeichnet. Wenn Sie Ihre Leser dies glauben machen wollen, mißbrauchen Sie Ihre Autorität des Journalisten, dem man eine besondere Informiertheit unterstellt, stellen die Reformgegner als nationale Spinner hin, und Sie verfälschen das wahre Anliegen, das sehr wohl ein kulturelles ist, aber nicht im unterstellten Sinne ein »nationales«. »Beide Varianten werden zügig weggelesen« damit sagen Sie in Wirklichkeit überhaupt nichts (wie geht eigentlich »weglesen«?), aber der Eindruck wird erweckt, der heutige Leser lese über alle orthographischen Formen sowieso hinweg, es käme also darauf überhaupt nicht an, oder er akzeptiere alle gleichermaßen. Und dann behaupten Sie noch etwas völlig Falsches, nämlich die Reform habe die »ohnedies verbreitete Rechtschreibunsicherheit offenbar potenziert«. Dabei gab es vor der Reform doch gar keine nennenswerte Rechtschreibunsicherheit, und das wissen Sie genauso gut wie ich! Jede Sekretärin hat so gut wie fehlerfrei geschrieben, auch die meisten Journalisten und Autoren, und die ansonsten in Schriftstücken aller Art vorkommenden Rechtschreibfehler waren minimal, schon gar im Vergleich zu der jetzigen Situation. Ich könnte Ihnen Rechnungen zeigen über Korrekturkosten, die bei Verlagen entstanden sind, nur weil in »neuer« Rechtschreibung gelieferte Manuskripte weder neu noch alt, sondern schlichtweg chaotisch abgefaßt waren. Das gab es vorher nicht. Im Augenblick hatte ich das Vergnügen, einen »reformiert« verfaßten Text wieder in »alt« zurückzukorrigieren, weil es sich um ein Geschichtswerk handelt, das auch für spätere Leser den Anstrich der Zeitlosigkeit haben, also nicht veraltet wirken soll. Und die von Ihnen immerhin eingeräumten Narreteien gab es vor der Reform schon gar nicht.
Wie der Teufel das Weihwasser scheinen Sie und Ihre Kollegen die Idee des angesichts dieser Situation einzig vernünftigen Weges zu scheuen: die Rückkehr zu den bewährten Regeln, zu der Orthographie, in der die gesamte Literatur, das gesamte Wissen der letzten Jahrhunderte überliefert ist. Stattdessen meinen Sie, man solle »aus prima und seconda prat(t)ica etwas gebrauchsfähiges Drittes destillieren.« Als ob es das »Gebrauchsfähige« nicht schon seit über 100 Jahren gäbe!
Es geht mir nicht in den Kopf hinein, warum die SZ-Journalisten, die von mir über Jahrzehnte für ihre Klugheit und ihren pragmatischen Verstand, auch für ihren Mut in heiklen Diskussionen geschätzt worden sind, hier, wo ihre eigene Arbeit in einer ganz substantiellen Dimension betroffen ist, sich so bemühen, dem Affenjäckchen partout einen Sinn und Reiz abzugewinnen. Kein Schreiner würde sich sein Handwerkszeug und seine Materialien so verderben lassen, wie man es den Journalisten mit ihrem ureigensten Medium, der Sprache, zumutet. Die finden sogar noch beschönigende Worte für ihre professionelle Erniedrigung. Ich weiß, daß wie ich viele Ihrer Leser tief hiervon enttäuscht sind. Eine Hoffnung schließe ich diesem Brief nicht an. Die SZ hat die Chance vergeudet, sich hier in ihrer traditionellen Intelligenz und Unabhängigkeit zu qualifizieren, sie wird jetzt nicht mehr zugeben wollen, daß sie einen riesigen Fehler gemacht hat. Ich werde auch auf diesen Brief, wie auf alle anderen, keine Antwort bekommen. Darauf kann man sich seinen Vers ja machen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Walter Lachenmann
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Walter Lachenmann
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