Hier ein Beitrag aus 'Klartext', der inzwischen ebenfalls verschwunden ist:
(Ich habe T. R. darüber informiert. Falls er etwas dagegen hat, werde ich den Beitrag wieder löschen.)
TomRohwer
Deformationen
Nun, die Erwachsenen haben gesagt, wir sollen hier über das böse 18-Buchstabenwort nicht reden... Das ist erstaunlich, dann gerade anhand der bösen Deform kann man sehr gut klar machen, wie Sprachpolitik funktioniert. Und Sprachpolitik ist genau das, was der VDS machen will und macht bis hin zu Überlegungen, ob ein Sprachgesetz sinnvoll oder nötig ist. Nehmen wir mal das Beispiel Deform, um zu gucken, wie Sprachgesetze funktionieren: (Ich weiß, die Deform ist kein richtiges Gesetz, aber sie ist von einer Behörde Kultusministerkonferenz beschlossen worden, und sie hat zumindest für amtliche Texte und den gesamten Schulunterricht die Eigenschaft einer verbindlichen Verwaltungsvorschrift.)
1. Eine Gruppe von Fachleuten, recht willkürlich von Beamten zusammengestellt, tritt zusammen, um die Vorschriften zu erarbeiten. Das Ganze passiert möglichst unter Ausschluß der Öffentlichkeit erstens interessiert die sich kaum dafür, zweitens soll sie auch möglichst wenig mitreden.
2. Die Fachleute beschließen Regeln. Da die Fachleute gekonnt einer breiten öffentlichen Diskussion ausgewichen sind, enthalten diese Regeln viele fachliche, sprachwissenschaftliche Fehler. So werden z.B. etymologische Zusammenhänge historisch falsch wiedergegeben. Das macht aber nichts, denn die Fachleute sind sich sicher, daß Weiß auch schon mal Schwarz sein kann, wenn sie das denn nur so sehen.
3. Die Behörde (Ministerium, Regierung etc.) bekommt den Regelentwurf vorgelegt. Da sie selber keine Ahnung davon hat, hält sie alles, was da drin steht, für richtig. Es waren schließlich Experten am Werk.
4. Mittlerweile kann die Reform nicht mehr so recht unter dem Deckel gehalten werden, denn wenn alle sich brav dran halten sollen, müssen ja auch alle die Regeln kennen.
5. Jetzt gibt's zum ersten Mal Probleme. Andere Fachleute kommen und zeigen mit Fingern auf die vielen Fehler und logischen Widersprüche. Dabei sind die Experten doch gerade auf ihre Logik so stolz.
6. Die Experten sind beleidigt.
7. Die Behörde (die Politiker) sind noch viel mehr beleidigt. Haben sie sich doch schließlich auf die Experten verlassen. Da Behörden und Politiker nicht unrecht haben können und niemals Fehler machen, müssen die Experten recht haben. Die Behörde verweigert jede Nachbesserung und weist empört darauf hin, daß man schließlich jahrelang in der Öffentlichkeit über die Reform diskutiert habe.
8. Die Öffentlichkeit staunt und fragt sich irritiert, ob es woanders vielleicht noch eine zweite Öffentlichkeit gibt.
9. Die Regeln treten in Kraft.
10. Die Leute halten sich genauso viel und genauso wenig an die neuen Regeln wie an die alten. Die Experten erklären, die Reform sei ein voller Erfolg. Wenn ich mir das so ansehe, dann wird mir angst und bange bei dem Gedanken, deutsche Behörden (oder auch Parlamente) könnten eines Tages auf dem Hintergrund einer Expertenkommission ein Sprachgesetz erlassen. Es dürfte mit Sicherheit noch viel fehlerhafter sein als die Anglizismen-Liste des VDS... Fazit: jeder, der mit dem Gedanken an ein Sprachgesetz liebäugelt, sollte sich mit der Geschichte und den Auswirkungen der Schlechtschreib-Deform befassen. Sollte. Aber das ist hier ja verboten....
(Tom Rohwer sich inzwischen ebenfalls offiziell verabschiedet.)
|