Der Rheinische Merkur kehrt zurück
Der Rheinische Merkur hatte die „neue Rechtschreibung“ zunächst nicht eingeführt; dazu habe ich in einem Leserbrief 1999 gratuliert. – Als er 2000 doch umschwenkte, habe ich in einem Leserbrief protestiert. – Jetzt gratuliere ich wieder.
Zitat aus dem RM Nr. 33 vom 12.08.04 (Original unter http://www.merkur.de/aktuell/po/rsd_043301.html)
RECHTSCHREIBUNG / Auch der RM entscheidet sich für die klassische Schreibweise
Die Notbremse
Eine Reform läuft aus dem Ruder, immer mehr Verlage kehren zurück zur bewährten Praxis. Schreibt jetzt jeder, wie er will? Die Nation bleibt gespalten.
Autor: HANS-JOACHIM NEUBAUER
In einem August wurde sie eingeführt, in einem August sollte sie gültig werden, in einem August könnte sie scheitern: Der achte Monat ist der Schicksalsmonat der Rechtschreibreform. Als sie, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, vor sechs Jahren zur Norm der Schulen wurde, schien sicher: Nach Ende der Übergangsfrist würde sie im August 2005 endgültig verbindlich sein. Doch jetzt, knapp ein Jahr davor, droht ihr das Aus. Der Reform des Schreibens fehlt die Akzeptanz der Schreibenden.
Spiegel Verlag, Axel Springer Verlag, die „Süddeutsche Zeitung“ und andere Medien kündigen die Rückkehr zur alten Rechtschreibung an. Politiker unterstützen sie dabei, Schriftsteller jubeln, eine Gruppe von Juristen fordert gar einen Volksentscheid über Fragen der Silbentrennung und des Stammprinzips. Alles nur Sommertheater?
Keineswegs. Die ungewohnte Allianz von Wissenschaftlern, Autoren, Journalisten und Politikern zeigt: Die Kluft zwischen der Kulturpolitik der Länder und der Wirklichkeit der Schreibenden, so sie älter sind als zwanzig Jahre, ist tief. Der Medienboykott kann den Untergang der Reform bedeuten, der August könnte ihr Ende einläuten. Denn unmöglich kann die Politik darüber hinweggehen, dass zwei Drittel der nationalen Printmedienauflage zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Noch aber lehnen Teile der SPD und manche CDU-Granden einen Stopp der Reform ab.
Der Schritt der Verlage polarisiert. Die Massenmedien, schrieb einst der Soziologe Niklas Luhmann, produzieren nicht nur Öffentlichkeit, sie repräsentieren sie auch. Mit ihrer spektakulären Intervention erweisen sie sich nun als vierte Macht, als gewichtiger Player im Spiel der gesellschaftlichen Kräfte. Das gilt es zu beachten, will man die Konsequenzen ihrer Entscheidung ermessen, die nicht weniger als eine Notbremse bedeuten in einem lange unaufhaltsam scheinenden Prozess. Längst ist aus der Reform eine Reform der Reform geworden. Listen auf Listen mit Wörtern erscheinen, werden revidiert oder variiert; jede neue Auflage der Wörterbücher schafft neue Rätsel: Was gestern richtig war, ist heute falsch und wird morgen zur tolerierten Variante.
So gelang es den Reformern, den Kredit, den sie mit einigen achtenswerten Vorschlägen errangen, zu verspielen. Niemand wird eine permanente, kultusbürokratisch gesteuerte Revolution des Schreibens wollen, keinem kann daran gelegen sein, den orthografischen Graben zwischen den Generationen weiter zu vertiefen. Mit ihrem Boykott streiten die Verlage für verständliche, einheitliche und sinnvolle Regeln.
Und plötzlich steht die Orthografie auf der großen Agenda. Jetzt reden sogar Politiker von Kultur. Und das mit Nachdruck. Besonders auf Landesebene outen sich einige, teilweise gegen ihre Kultusminister, lautstark als Verfechter der rechten Schreibung. Das Thema ist wahlkampftauglich, und schon liegt ein Hauch von Kulturkampf über dem Land: Hier lagern die Wahrer der alten Schreibung, dort die Anhänger der Reform. Doch der Eindruck trügt, denn neben den frisch ernannten Kulturblättern „Bild“ und „Bild am Sonntag“ stehen Namen von Schriftstellern wie Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger oder Adolf Muschg – allesamt Vertreter einer Kultur, die eine Verwechslung mit dem Boulevard kaum zu fürchten hat. Und auf der anderen Seite findet sich Gerhard Schröder plötzlich an der Seite von Roland Koch und Annette Schavan.
Die Verweigerer der neuen Rechtschreibung folgen nicht nur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die im August 2000 nach einem Jahr das orthografische Experiment für sich beendete. Auch die meisten deutschsprachigen Autoren, die Wissenschafts- und Kunstakademien, viele angesehene Literaturverlage und andere Kulturorganisationen verweigern sich seit Jahren vehement den Eingriffen in die alte Orthografie. Sie fordern eine Rückkehr zum Duden von 1991, sie fordern Einheitlichkeit der Schreibverhältnisse, sie fordern – darin sind sie eben Deutsche – den Rückzug des Staates aus der Rechtschreibung. Sie wissen: Die Sprache wächst, und die Normen haben ihr zu folgen. Nicht umgekehrt.
Auch Grass und „Bild“ kennen die Gründe, die gegen eine leichtfertige Rücknahme der neuen Regeln angeführt werden. Den ersten bilden die Kosten. Mit Investitionen in Millionenhöhe rechnen die Schulbuch- und Literaturverlage bei einer Rücknahme der Reform. Doch solche Lasten ließen sich durch großzügig bemessene Übergangsfristen leicht minimieren; Korrekturen kann man in ohnehin fällige Neuauflagen einarbeiten.
Als zweites Argument wird auf die europäischen Nachbarn verwiesen. Was für uns gilt, gilt auch für die Schweiz und Österreich. Die reformkritischen Politiker sind aufgerufen, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen und auf transnationaler Ebene für neue Koalitionen zu sorgen. Nach über hundert Jahren internationaler Koordination könnte ein deutscher Alleingang nur einer der Praxis, kaum einer des gemeinsamen Rechts sein.
Der dritte und schwerwiegendste Einwand gegen die Rücknahme der Reform betrifft die Kinder. Es gebe keine nennenswerten Probleme an den Schulen, die neuen Regeln werden problemlos praktiziert, berichten viele Lehrer, andere Pädagogen dagegen schildern gravierende Probleme beim Umgang mit Zeichensetzung und Getrenntschreibung. So vertrauen die Gegner der Reform ganz auf die Lernfähigkeit der jungen Generation. Es gilt, bei den Kindern und Jugendlichen für die Vorteile der alten Schreibung zu werben, damit wir endlich die Rechtschreibung wirklich verbessern können. Werben bedeutet, auch aktuelle Texte in der traditionellen Rechtschreibung zugänglich zu machen, werben heißt vielleicht auch, zu Zugeständnissen bereit zu sein – etwa bei der weitgehend akzeptierten Neuregelung der „ss/ß“-Schreibung.
Die Orthografie gehört den Schreibenden und Lesenden. Deshalb kehrt der Rheinische Merkur, unterstützt vom Wunsch vieler Leser, demnächst zur klassischen Rechtschreibung zurück. Wir verstehen diese Entscheidung als ein Bekenntnis zur literarischen Tradition, aber auch als Schritt in Richtung auf eine sinnvolle und pragmatische Einigung. Die Geschichte der Reform zeigt: Ohne publizistischen Druck ist sie nicht zu reformieren.
Dabei geht es uns nicht um die Tradition um ihrer selbst willen; sinnvolle und behutsame Änderungen schließen wir nicht aus, schließlich ist die Orthografie ein Teil der lebendigen Sprache. Was sich bewährt, werden wir übernehmen – auf der Basis der klassischen Regeln und, wie wir glauben, im Einvernehmen mit unseren Lesern.
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Klaus Eicheler
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