Kommentar (Fortsetzung 2)
Von jetzt an beziehen sich meine Kommentare, wenn nicht anders vermerkt, auf die endgültige Fassung des dritten Berichts, die mir seit heute vorliegt. Übrigens ist diese Fassung, wie ich auf dem Nachrichtenbrett schon gesagt habe, als VERTRAULICH gekennzeichnet. Der erste Bericht trug den Vermerk Nicht zur Veröffentlichung bestimmt. So ist das heute in Deutschland: Die Rechtschreibreform ist geheime Verschlußsache, ja Staatsgeheimnis. Das Volk, das sich ja immerhin dieser Neuregelung und allen weiteren orthographischen Entscheidungen der Kommission unterwerfen soll, bekommt nur die letzten Ergebnisse vorgesetzt, aber auch nur dann, wenn es die jeweils neuesten Wörterbücher der Großmächte Bertelsmann und Duden kauft.
Hier nun das Wichtigste aus dem Anschreiben der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung an das KMK-Sekretariat (15. 12. 2001):
(...)
Dieser Bericht hat in einer Entwurfsfassung den nationalen Beiräten Deutschlands und Österreichs vorgelegen. Die Stellungnahmen sind im Anhang des Berichts abgedruckt, ferner sind Vorschläge, Hinweise und Bewertungen in die Endfassung des Berichts mit eingegangen.
Gerade die Einschätzung der beiden Beiräte hat die Kommission in ihrer Grundeinsicht bestärkt, in diesem Bericht
(1) die Einführung der neuen Rechtschreibung in allen Schreibbereichen genau zu untersuchen und darzulegen (Teil 1) und
(2) die inhaltlichen Hauptkritikpunkte ausführlich zu erörtern und in einem Pro und Kontra vorgeschlagene Alternativlösungen zu diskutieren (Teil 2).
Da der Befund unter (1) zeigt, dass die Einführung der neuen Rechtschreibung noch nicht abgeschlossen ist, und da unter (2) belegt wird, dass bisher vorgeschlagene Alternativen alle ihr Für und Wider haben, hat die Kommission sich entschlossen in diesem Bericht keine Vorschläge zur Veränderung zu machen.
Sie möchte
(1) die Entwicklung weiter beobachten und
(2) die möglichen Veränderungen sorgfältig mit den Beiräten und der Fachwissenschaft wie der Fachdidaktik diskutieren.
Der nächste Bericht Ende 2003 wird dann, falls notwendig, explizite Vorschläge enthalten. Den staatlichen Instanzen bleiben damit bis zum Ende der Übergangszeit (31. Juli 2005) eineinhalb Jahre Zeit, um sich mit den Vorschlägen der Kommission zu befassen und sie ggf. rechtzeitig in Verordnungen umzusetzen.
Bezogen auf den jetzt eingereichten Bericht möchten wir Ihnen noch die Empfehlung des deutschen Beirats weitergeben, den Bericht öffentlich zu machen. Wir möchten unsererseits dazu raten
- dies im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und Schweiz zu tun und
- eine eigene bewertende Einschätzung bzw. mögliche Konsequenzen hinzuzufügen, um so die zu erwartende öffentliche Diskussion zumindest am Anfang zu steuern.
(...)
(Unterzeichnet von Augst und Heller)
Man achte hier besonders auf den latenten Kampf zwischen dem Beirat, der den Bericht veröffentlichen will, und der Kommission, die das am liebsten verhindern möchte, aber wenigstens die zu erwartende Diskussion steuern (d. h. in gewohnter Weise manipulieren) will. Ein abgekartetes Spiel der Reformer mit der Staatsmacht, wie seinerzeit von Leo Weisgerber ins Auge gefaßt. Mit gesteuerten Diskussionen haben ja auch die Reformer Nerius und Heller aus DDR-Zeiten beste Erfahrungen. Das ist nicht demokratisch und steht auch in krassem Gegensatz zum Votum des Bundestages: Die Sprache gehört dem Volk.
Aus der Stellungnahme des deutschen Beirats zum Entwurf des 3. Berichts (Anlage 5):
Der Beirat versteht sich als beratendes Gremium, das vom Standpunkt der Praxis aus die Vorschläge der Kommission im Hinblick auf Praktikabilität und Akzenptanz überprüft.
Auf der Basis einer fünfstündigen Diskussion des Berichtsentwurfs und unter Einbeziehung zweier schriftlicher Voten gelangt der bundesrepublikanische Beirat zu nachstehender Stellungnahme:
Der bundesrepublikanische Beirat setzt sich mit Nachdruck dafür ein,
1. dass keine grundlegende alternative Regelung von zentralen Komplexen des amtlichen Regelwerks vorgenommen wird, sondern dass die vorhandenen Regeln präzisiert werden.
Diese Präzisierungen sollen ausschließlich auf der Basis des amtlichen Regelwerks erfolgen. Eine 'Reform der Reform' ist weder sachlich begründet noch aus der Sicht der Schreibenden sinnvoll. Trotz der in einigen Punkten divergierenden linguistischen Ansichten darf nicht übersehen werden, dass das Regelwerk in weiten Bereichen eine deutliche Systematisierung vornimmt (z. B. generelle Getrenntschreibung von Infinitiv und Verb). Aufgabe kann es daher nur sein, die vorhandenen Regeln erforderlichenfalls zu präzisieren.
2. dass vor dem Ablauf der Übergangszeit aufgrund unzureichender Erfahrungen keine Präzisierungen am amtlichen Regelwerk vorgenommen werden.
(...)
3. dass langfristig eine behutsame Weiterentwicklung in Richtung auf eine noch stärkere Systematisierung der Regln anzustreben ist.
Ausnahmen erschweren die Erlernbarkeit der Rechtschreibung. Insofern die Sprachgemeinschaft die interiorisierten Regeln per Analogiebildung auf bestehende Ausnahmen ausweitet, ist das Regelwerk an den beobachteten Sprachgebrauch anzupassen. Entsprechende Tendenzen zeichnen sich z. B. bei der Schreibung von Zahladjektiven wie *der Eine, *der Andere und *die Meisten ab.
Anmerkungen von Th. I.:
Der Beirat ist hauptsächlichen mit denen besetzt, die aus wirtschaftlichem Interesse an der Durchsetzung und Beibehaltung der Reform interessiert sind. Wie schon bei der Mannheimer Anhörung dürften die Statisten vom Deutschen Institut für Normung usw. kaum den Mund aufmachen. Bertelsmann und Duden zeigen, wo es langgeht. So erklärt es sich, daß der Beirat auf jeden Fall verhindern möchte, daß die gesamte Neuregelung noch einmal überdacht und gegebenenfalls zur Disposition gestellt wird. Auch brauchen die Verlage die Zeit bis 2005, damit die gewaltigen Kosten der Umstellung sich amortisieren. Unter diesem Aspekt wird die grotesk anmutende Fiktion aufrechterhalten, es habe bisher noch keine Präzisierungen, d. h. Veränderungen gegeben.
Von linguistischem Unverstand zeugt zum ersten der Hinweis auf die Getrenntschreibung von Infinitiv und Verb, denn gerade diese Festlegung beruht auf der unsinnigen Behauptung, zwischen kennenlernen und schwimmen lernen gebe es keinerlei grammatischen Unterschied. Vom selben Schlag ist die Behauptung, die bisherige Kleinschreibung der Zahladjektive sei eine Ausnahme. Hier wird in längst überholter, gerade auch vom Reformarbeitskreis zurückgewiesener Weise die Artikelfähigkeit als Kriterium der Wortart Substantiv und damit der Großschreibung zugrunde gelegt.
Der Beirat regt ferner an, den Begriff der Fachsprachlichkeit so auszuweiten, daß es der Sprachgemeinschaft freigestellt ist, die Rote Karte usw. auch wieder groß zu schreiben, ohne daß die Regeln geändert werden müßten.
In dieselbe Richtung zielt der Vorschlag des österreichischen Beirats für Sprachentwicklung (Anlage 6). Er sieht
in der Frage der Groß- und Kleinschreibung von Nominationsstereotypen nach der Art S/schwarzes Brett die praktikabelste Lösung darin, dass grundsätzlich Kleinschreibung des ersten Bestandteils (Adjektiv) vorgesehen wird, dass es aber keinerlei 'Fehler' sein soll, wenn betroffene Personen (etwa Mitglieder bestimmter Vereine, Interessensvertretungen) ihre jeweiligen Anliegen (z. B. Offenes Lernen, Lebensbegleitendes Lernen, Gelbe Karte) durch Großschreibung kennzeichnen wollen. Das Regelwerk muss sich dazu nicht unbedingt äußern.
Ebenso möchte der österreichische Beirat dem Toleranzgedanken, namentlich im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, mehr Raum geben.
Dies kann man wohl als typisch österreichische Lösung bezeichnen, die den Kenner und Freund unseres Nachbarlandes mit nicht geringer Heiterkeit erfüllen dürfte.
Fazit: Man schreibt in diesen umstrittenen Bereichen wieder so wie früher, tut aber so, als sei alles mit der Neuregelung verträglich. (Wenn bloß die Sternchen für neu im amtlichen Wörterverzeichnis nicht wären!)
– geändert durch Theodor Ickler am 20.02.2002, 06.26 –
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Th. Ickler
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