Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Forum - Legasthenie und LRS
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Legasthenie und LRS
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Norbert Schäbler
21.11.2003 02.28
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Inventur

Momentan mache ich so etwas ähnliches wie Inventur; lese alte Gedanken nach – und dabei ist mir der Leitfaden „Legasthenie“ vor Augen gekommen.
Schrecklich habe ich mich gefühlt beim Lesen meines abschließenden Beitrages. Habe ich die Diskussion gar abgewürgt?

Ein solcher Gedanke wäre schlimm für mich!
Aber ich kann sagen, daß genau dieser Beitrag rund drei Monate später erfolgte als der davorstehende. Ich hielt es für angebracht, der Diskussion eine neue Komponente einzuverleiben.
Die Worte ... nun ja.

Bis zum Abwürgen des Leitfadens konnte fast der Eindruck entstehen, daß diejenigen, die der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig sind, in großem Maße schuldig sind; daß jene aufgrund ihres Wissensvorsprungs andere piesacken und verunglimpfen und sie zu Menschen zweiter Klasse verdammen.

Schöne Beiträge gab’s in diesem Leitfaden, und unter anderem wurde Elke Philburn zum rechten Schreiben bekehrt. Die war schon drauf und dran, LegasthenikerIn zu werden.

Selten wurde in diesem Forum so feurig, so emotional, so klar argumentiert.

Frage: Gibt es zu diesem Diskussionsthema noch was zu sagen?

__________________
nos

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Norbert Schäbler
01.04.2002 23.54
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Tönernes Rohr

Ein bißchen Einblick in den Umgang mit Legasthenikern habe ich, denn meine beiden Söhne waren als Legastheniker eingestuft. Der Ältere war neun Jahre alt, als ich ihn kennenlernte; der Jüngere fünf. Der Ältere verbesserte seine Leistungen im Fachbereich Deutsch innerhalb eines halben Jahres von „mangelhaft“ auf „befriedigend“ und mußte den LRS-Kurs nicht mehr besuchen; der Jüngere besuchte den LRS-Kurs ab der ersten Jahrgangsstufe – und ich – eigentlich parteiisch, war sein Lehrer.
Inzwischen bin ich kein Lehrer mehr.
Ich war es bis zum 12.10.2001. Über sieben Jahre hinweg, etwa von 1989 bis 1997, habe ich Legasthenikerkurse geleitet. Danach bin ich in Ungnade gefallen. Dann durfte ich nicht einmal mehr der Stundenplankommission angehören, der ich rund 14 Jahre vorstand.
Die leichten Stunden mit fünf bis acht Hanseln waren ab 1997 für mich tabu.
Will sagen: „Die Bürokratie ist ein tönernes Rohr.“


__________________
nos

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Elke Philburn
25.01.2002 15.08
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Legastheniker und die RSR

Rechtschreibschwäche und Rechtschreibreform

Erleichtert die neue Rechtschreibung das Lernen?



Der verlinkte Aufsatz untersucht, welche Auswirkungen die Rechtschreibreform auf die Vermittlung und den Erwerb der Rechtschreibung bei Legasthenie haben wird. Dabei werden die einzelnen Teilbereiche auf die Möglichkeit leichterer Lernbarkeit gegenüber der alten Rechtschreibung überprüft.
Die Verfasser kommen zu dem Ergebnis, daß sich lediglich in der Groß- und Kleinschreibung eine Erleichterung erkennen läßt, die dem Legasthenikerunterricht förderlich sein könnte. In allen anderen Teilbereichen ist keine Erleichterung zu erwarten. Stattdessen werden zusätzliche Schwierigkeiten auftreten, wo die Reformschreibung Gesetzmäßigkeiten des alten Rechtschreibsystems aufgehoben hat.

(Der Aufsatz ist nicht mehr ganz neu (1997), wegen seiner Unvoreingenommenheit und Gründlichkeit aber dennoch lesenwert.)

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Reinhard Markner
29.10.2001 14.36
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Dass

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
Als ich diese Beispiele aufgriff, war mir schon klar, dass die nicht von Ihnen kamen.
Und »dass« kam auch nicht von ungefähr.

Was die Fehlerhäufigkeit angeht, so sollte man schon aufpassen, wem man welche Normverstöße nachsieht. Verleger handeln mit Buchstaben, also kommt es auch auf jeden einzelnen an. Ich kann mich erinnern, daß der Spiegel in den 80er Jahren Ausgaben herausbrachte, die praktisch fehlerfrei waren. So etwas ist möglich, es ist alles eine Frage der Organisation. Bei vielen deutschen Tageszeitungen ist in den 90ern das Korrektorat abgeschafft worden, während gleichzeitig die orthographische Kompetenz der Mitarbeiter eine Abwärtstendenz aufwies. Dann kam die Reform und der Absturz auf die von Herrn Wrase eruierten Werte. Das ist keine allzumenschliche Imperfektion, sondern eine mutwillig herbeigeführte Krise.

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Theodor Ickler
29.10.2001 02.40
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Miss

Ja, schon gut, ich wollte es nur noch einmal gegen weitere Mißverständnisse absichern.
Nein, die Reformer kennen oder kannten ihr Werk auch nicht so richtig. Heller war überrascht, als er erfuhr, daß nochmal jetzt getrennt geschrieben werden muß, und Gallmann/Sitta wußten zuerst nicht, daß sogenannt aufgelöst werden muß. Kein einziger Reformer hat daran gedacht, daß man Aufsehen erregend ja auch steigern können muß – als sie es entdeckten oder vielmehr darauf gestoßen wurden, versuchten sie hastig, den ganzen Paragraphen 36 umzubauen – wie in meinem Kommentar zur Mannheimer Anhörung dargelegt. Etwas so Jämmerliches wie diese Reparaturversuche hat es in der ganzen Reformgeschichte noch nie gegeben. Da lobe ich mir die kräftigen Zeiten der Kleinschreibpropaganda.
__________________
Th. Ickler

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Elke Philburn
28.10.2001 23.03
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Re: Freiheiten, Intelligenz

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Da ich mir einbilde, das amtliche Regelwerk so gründlich studiert zu haben wie sonst nur wenige, bin ich selbst überrascht, wie oft ich doch schon wieder nachschlagen muß.

Wobei sich mir die Frage stellt, ob denn die Reformer selber ihr Werk auswÄndig kennen.(Vermutlich nicht.)

Zitat:
Tagebuch und Oma – damit das klar ist: diese Beispiele sind nicht von mir ins Feld geführt worden, sondern von Götze und seinen Genossen!

Vielleicht ein Missverständnis: Als ich diese Beispiele aufgriff, war mir schon klar, dass die nicht von Ihnen kamen.

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Theodor Ickler
28.10.2001 20.00
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Freiheiten, Intelligenz

Die „Freiheiten“ der Neuregelung sind, das habe ich schon oft gesagt, entweder Freiheiten aus Verlegenheit (weil die Kriterien der Reformer selbst nicht so recht passen und daher doch nicht so trennscharf sind, wie es beabsichtigt war), oder sie werden an völlig unvorhersehbaren Stellen eingeführt, so daß man sie sich unmöglich merken kann. Man betrachte unter diesem Gesichtspunkt doch nur einmal den ganzen Haufen von Univerbierungen wie zugrunde/zu Grunde usw.!
Ich erlebe das zur Zeit ganz kraß, denn aus einem bestimmten Grund lese ich den gesamten Rechtschreib-Bertelsmann durch. Da ich mir einbilde, das amtliche Regelwerk so gründlich studiert zu haben wie sonst nur wenige, bin ich selbst überrascht, wie oft ich doch schon wieder nachschlagen muß. Geradezu überwältigend auch, was ich an Änderungen von 1996 bis 1999 feststelle!

Tagebuch und Oma – damit das klar ist: diese Beispiele sind nicht von mir ins Feld geführt worden, sondern von Götze und seinen Genossen! Auch ich kenne Leute mit seltsamen Schreibhemmungen, aber es liegt nicht an der gefürchteten Rechtschreibung, sondern sitzt tiefer. Man findet besonders den Anfang nicht, fühlt sich beim Formulieren von Sätzen und Übergängen irgendwie gehemmt usw. – es ist die unnatürliche Situation selbst.

Wie anderswo schon gezeigt: Die Reformer haben eine Auffassung von Rechtschreibung und haben sie auch in einer solchen Weise ins Regelwerk gegossen, daß Rechtschreibleistung unbedingt mit Intelligenz zusammenhängt, nämlich mit Urteilskraft. Womit sie gar nicht mal so falsch liegen dürften, denn das analogische Wesen der Sprache und Schrift steht auf jeden Fall mit Intelligenz in Verbindung (wie immer man sie definiert). Mich hat das zwar nie interessiert, aber ich glaube Erfahrung genug zu haben, um sagen zu können, daß – abgesehen von jenen pathologischen Fällen – die intelligenteren Menschen auch korrekter schreiben und umgekehrt. Aber das spielt natürlich für die Beurteilung der RSR keine Rolle.
__________________
Th. Ickler

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Elke Philburn
28.10.2001 18.29
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Zu Christian Melsa:

Wenn Ernst Jandl oder Arno Schmidt Briefe abfassten, die den einen oder anderen Fehler enthielten, dann würde man das natürlich nicht als 'Fehler' interpretieren, sondern als Idiosynkrasien, oder sowas ähnliches, die man den großen Meistern zugesteht.

Macht ein Schulkind das, wird mit dem Rotstift dazwischengegangen.

Die Beispiele mit dem Tagebuch (das man ja eh nur selber liest) oder mit dem Brief an die gestrenge Oma sind denkbar albern.

Andererseits gilt eine einwandfreie Rechtschreibung immer noch als Zeichen der Intelligenz, bzw. Fehler als Zeichen der Dummheit. Und es gibt tatsächlich Leute, die es vermeiden, Briefe an Behörden zu schreiben, weil sie befürchten, sich zu blamieren. Für solche Leute bringt die Rechtschreibreform natürlich nichts, die sind höchstens noch mehr verunsichert. Ebenso bringt sie nichts für Legastheniker, denen man eine Umstellung abverlangt, die selbst durchschnittlich Rechtschreibbegabten schwerfällt. (Ob sie neu lernenden Legasthenikern etwas bringt, wäre allerdings eine andere Frage.)

Ein Schritt vorwärts wäre, zu überlegen, in welchen Bereichen man die Rechtschreibung liberalisieren kann. Und zwar da, wo Variationen keinerlei Probleme beim Leseverstehen bereiten. Einige Ansätze dazu gibt es ja bereits im Regelwerk.


Zitat:
Die Rechtschreibreform ist in diesem Sinne sozusagen verordnetes Lispeln.

Da Sie nun schon die Aussprache ansprechen: Wer sich mit sprecherbedingten phonetischen Variationen befasst, wird bald feststellen, dass auch hier die Sprache sehr flexibel und keineswegs auf strikte Normeinhaltung fixiert ist. Eine Abweichung macht sich als Sprachfehler bemerkbar, wenn sie auffällt, weil das Sprachverständnis darunter leidet. Die allermeisten Variationen dagegen werden gar nicht wahrgenommen.

Das Lispeln entspräche also einer Abweichung vom gewohnten Schriftbild, bei dem der Leser erst rekonstruieren muss, was gemeint ist. Das geschieht bei der Rechtschreibreform jedoch nicht.

Davon abgesehen: Man ist doch auch von Siebs gestelzter Bühnenaussprache als wünschenswerter Norm abgekommen und räumt gewisse Freiheiten ein. Warum sollte das nicht auch in der Rechtschreibung möglich sein?

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Theodor Ickler
28.10.2001 17.37
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Neue Probleme

Mich haben nach Vorträgen – zuerst nach der Podiumsdiskussion der Süddeutschen Zeitung 1997 immer wieder Lehrerinnen von Legasthenikern angesprochen und mir ganz im Gegenteil geklagt, daß jetzt alles noch schwieriger geworden sei.

Wenn jemand meint, die Neuregelung sei leichter, kann man ziemlich sicher sein, daß er das Original nicht kennt. Es befinden sich unzählige didaktische Aufbereitungen im Umlauf, alle verfälschen die Reform durch Vereinfachungen. Das Tollste ist jenes AOL-Kärtchen im Format eines Taschenkalenders, aber das bekannte Leporello der GEW ist auch nicht viel besser.
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Th. Ickler

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Christian Melsa
28.10.2001 15.40
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Aus Angst vor Rechtschreibfehlern kein Tagebuch führen? Ziemlich merkwürdige Vermutung.

Mir wurde jüngst in einem persönlichen Gespräch von einer Lehrerin, die Legastheniker unterrichtet, erzählt, diesen seien Regelbeschreibungen eine besondere Hilfe. Ich erklärte mir das so, daß die pathologische Störung der Legasthenie dann wohl wahrscheinlich das Einprägen der üblichen Schreibweisen erschwert. Allerdings war diese Lehrerin auch sehr bemüht, die Reform zu verteidigen, so daß sie nach jedem Strohhalm griff, an ihr noch irgendetwas Gutes zu finden (auf meine Entgegnung, durch ein beträchtlich angewachsenes Regelwerk würde es den Legasthenikern dann doch auch nicht gerade einfacher gemacht, meinte sie nur, es sei ja wenigstens in den Bereichen, in denen immer so viele Fehler gemacht worden seien – ss/ß-Schreibung und Silbentrennung – einfacher geworden).

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Theodor Ickler
28.10.2001 04.10
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Entlastung

Es ist allgemein bekannt, daß feste Gewohnheiten eine Entlastungsfunktion haben. Wenn man nicht bei jedem Wort neu nachdenken muß, wie es geschrieben werden könnte – als ob die Verschriftung immer wieder neu erfunden werden müßte –, so ist das natürlich eine Wohltat. Regeln spielen bekanntlich beim richtigen Schreiben kaum eine Rolle, aber das Einprägen der richtigen Schreibweisen wird durch den systematischen Charakter der Orthographie erleichtert, also durch das, was der Orthograph dann auch noch in Regeln fassen kann.

Zu den märchenhaften Einlassungen der Reformer gehört die Geschichte von dem Kind, das bisher aus Angst vor Rechtschreibfehlern kein Tagebuch zu führen oder der Oma einen Brief zu schreiben wagte und durch die Reform von seiner Angst befreit wird. So hat es Lutz Götze des öfteren dargestellt. Das Ganze ist frei erfunden, konkrete Beispiele sind nicht überliefert. Aber solche Geschichten mußten herhalten, die Reform zu begründen, und niemand hat gelacht.
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Th. Ickler

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Christian Melsa
27.10.2001 20.04
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Re: Re: Lern- oder Lehrschwäche?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn

Lernen die Schüler besser, ihre Gedanken in Schrift zu fassen, wenn sie dabei in das Korsett einer einheitlichen Rechtschreibnorm gezwängt werden? Oder ist es nicht eher so, dass die Befürchtung, Rechtschreibfehler zu begehen, vom kreativen, intellektuellen und auch spielerischen Gebrauch der Schriftsprache abhält?

Sprachliche Normen als Korsett anzusehen, halte ich für etwas fragwürdig. Das Bild stimmt nur dann, wenn man davon ausgeht, daß der Körper ohne das Korsett keinen Halt mehr hätte – das Korsett wäre demnach unverzichtbar.

Ein Widerstreit zwischen Rechtschreibungskompetenz und Kreativität besteht in Wirklichkeit nicht. Literarische Exzentriker wie Ernst Jandl oder Arno Schmidt können normalerweise auch den allgemeinen Konventionen gemäß schreiben. Briefe an Behörden haben sie sicherlich in einer anderen Form verfaßt als ihre künstlerischen Werke. Eine umfassende Bildung darf nicht das eine zugunsten des anderen vernachlässigen. Der künstlerische Reiz ergibt sich übrigens oft gerade erst aus der Abweichung von einer Norm. Ohne eine definierte Norm wäre man des Stilmittels der Abweichung beraubt.

Spielerischer Gebrauch der Sprache sollte in der Schule keinesfalls immerzu unterbunden werden. Aber die Schüler müssen auch lernen, wie man die Sprache ernsthaft gebraucht. Zum Spielen braucht man keine Schule. Zum Lernen ist sie da.

Zitat:
Ist die Rechtschreibung dann noch Mittel zum Zweck, nämlich die Schriftsprache für den Leser leicht entschlüsselbar zu machen, oder wird sie um ihrer selbst willen vermittelt?

Die Frage dürfte sich in anderen Fächern, wie Mathematik, Physik, Chemie, viel dringender stellen. Wozu muß ich im Alltag etwas übers Periodensystem der Elemente oder Integrale wissen? Die Schriftsprache spielt in unserer Kultur jedoch eine derart zentrale Rolle, daß sie auch eine entsprechend gründliche Behandlung verdient. Rechtschreibung ist in der Schriftsprache in etwa das, was deutliches Sprechen für die Rede ist. Wer dauernd nuschelt, von dem versteht man nur die Hälfte, die Kommunikation ist mühsam und die Wahrscheinlichkeit von Mißverständnissen erhöht. Kindern und Jugendlichen, die zum Nuscheln neigen, sollte man daher auch ein deutliches Sprechen beibringen (Erwachsenen natürlich ebenso). Die Rechtschreibreform ist in diesem Sinne sozusagen verordnetes Lispeln.

Zitat:
Im schlimmsten Fall wird sie zum Instrument, an dem sich der vermeintlich Kluge vom vermeintlich Dummen scheidet und durch das der aktive Gebrauch der Schriftsprache zum Privileg derjenigen wird, die die Rechtschreibung einwandfrei beherrschen.

Daran wird die Rechtschreibreform keineswegs etwas ändern. Im Gegenteil, ihre Einführung hat den Erwerb einer guten Rechtschreibbefähigung ja noch erschwert, einerseits durch ein umfangreicheres Regelwerk, andererseits durch das orthographische Durcheinander, dem man beim alltäglichen Lesen heute begegnet.

Zitat:
Meiner Ansicht nach wäre es deshalb wünschenswert, darüber nachzudenken, wie man den Schülern den Umgang mit der Schriftsprache nicht nur erleichtert, sondern den Schwerpunkt von formalen zu inhaltlichen Kriterien hin verlagert.

Das ist kein Entweder-Oder. Es muß ein Sowohl-Als-Auch sein. Um einen Dom zu bauen, reicht nicht allein Kreativität; man kann nicht einfach kreativ loslegen und Steine aufeinanderstapeln, sondern man muß erst eine Menge von Bauhandwerk verstehen. Nur so gelangt der Mensch zum Höchsten. Was die Sprache angeht: Gute Beherrschung des Formalen dient der guten Inhaltsdarstellung und -vermittlung.

Meines Erachtens sollte man zum Verbessern der Schule zunächst einmal weniger darüber nachdenken, Lernhinhalte zu verändern („Schwerpunkte“ anders setzen, um die Inhalte zu vereinfachen), sondern an einer Verbesserung der Didaktik arbeiten. Das betrifft nicht nur den Lehrer, sondern das Lernsystem im ganzen, also u.a. auch die Rolle, in die der Schüler in der Schule gesteckt wird.

Legasthenikern, also Menschen, deren Rechtschreibschwäche pathologisch bedingt ist, wird man ihre Behinderung nicht reparieren können. Man kann nur durch Förderunterricht versuchen, ihnen Hilfsmittel an die Hand zu geben, die sie ihre Schwächen am besten umschiffen lassen. Für Legastheniker ist ein möglichst einfaches und unkompliziertes Regelwerk besonders günstig. Das reformierte Regelwerk ist also gerade hier untauglich (abgesehen von der ss/ß-Schreibung, die wohl formal die einzige tatsächliche Vereinfachung in der Reform darstellen dürfte, aber aus anderen Gründen wieder abzulehnen ist).

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Elke Philburn
26.10.2001 15.36
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Re: Lern- oder Lehrschwäche?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Ich meine, man sollte ihnen im Gegenteil eine ganz besonders hohe Bedeutung zumessen, indem man sich mehr denn je darum bemüht, diese Fähigkeiten bei den Schülern zu entwickeln. Damit wird bekanntlich auch die differenzierte Denkfähigkeit entwickelt, und dies wiederum wirkt sich auf das Begreifen aller Lern- und Lebensgebiete aus.

Dagegen hätte ich nicht das Geringste einzuwenden. Die Frage ist nur, worauf das Augenmerk gerichtet ist.

Lernen die Schüler besser, ihre Gedanken in Schrift zu fassen, wenn sie dabei in das Korsett einer einheitlichen Rechtschreibnorm gezwängt werden? Oder ist es nicht eher so, dass die Befürchtung, Rechtschreibfehler zu begehen, vom kreativen, intellektuellen und auch spielerischen Gebrauch der Schriftsprache abhält?

Ist die Rechtschreibung dann noch Mittel zum Zweck, nämlich die Schriftsprache für den Leser leicht entschlüsselbar zu machen, oder wird sie um ihrer selbst willen vermittelt? Im schlimmsten Fall wird sie zum Instrument, an dem sich der vermeintlich Kluge vom vermeintlich Dummen scheidet und durch das der aktive Gebrauch der Schriftsprache zum Privileg derjenigen wird, die die Rechtschreibung einwandfrei beherrschen. Meiner Ansicht nach wäre es deshalb wünschenswert, darüber nachzudenken, wie man den Schülern den Umgang mit der Schriftsprache nicht nur erleichtert, sondern den Schwerpunkt von formalen zu inhaltlichen Kriterien hin verlagert.

Zitat:
Mir scheint es überhaupt so zu sein, daß die Pädagogen mit ihren Legasthenie- und sonstigen Lernschwächetheorien schlicht davon ablenken, daß die Schwäche bei ihnen selbst liegt, es ist eine Lehrschwäche der Pädagogen. Warum soll es plötzlich generationenweise lernunfähige oder -behinderte Kinder geben? Das Problem liegt vermutlich ganz woanders.

Ich denke mal, früher hat sich keiner um solche Erklärungsansätze bemüht, weil es einfach hieß 'der Bengel ist dumm', punktum. Das schließt nicht aus, dass die Lernschwäche im Einzelfall ein Instrument sein kann, die Verantwortung vom Lehrer auf den Schüler zu schieben. Ich glaube aber in der Tat, dass unsere Lehrer noch nie so gut waren und nach so strengen Kriterien geprüft und ausgewählt wurden wie heute.

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Walter Lachenmann
26.10.2001 13.30
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Lern- oder Lehrschwäche?

Zu Frau Philburns Aussage: »Stellt sich die Frage, ob man den schriftssprachlichen Fähigkeiten nicht von vornherein weniger Bedeutung beimessen sollte, als es im Moment zu sein scheint.«

Ich meine, man sollte ihnen im Gegenteil eine ganz besonders hohe Bedeutung zumessen, indem man sich mehr denn je darum bemüht, diese Fähigkeiten bei den Schülern zu entwickeln. Damit wird bekanntlich auch die differenzierte Denkfähigkeit entwickelt, und dies wiederum wirkt sich auf das Begreifen aller Lern- und Lebensgebiete aus. Deutsch- und Sprachunterricht halte ich für das allerwichtigste Lerngebiet überhaupt, weil es einerseits die Grundlage zum Erlernen und Erfahren der Wirklichkeit bereiten könnte und müßte, ebenso wie andererseits die Fähigkeit der sprachlich differenzierten Weitergabe von Wissen und Gedanken, es ist also auch die Grundlage der Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis, was ja eigentlich der Sinn des Lebens ist – das vergißt man leicht vor lauter Bemühungen um Vereinfachung der Lebensumstände.

Etwas anderes wäre die Bewertung sprachlicher Leistungen in Zeugnissen, aber warum eigentlich?

Mir scheint es überhaupt so zu sein, daß die Pädagogen mit ihren Legasthenie- und sonstigen Lernschwächetheorien schlicht davon ablenken, daß die Schwäche bei ihnen selbst liegt, es ist eine Lehrschwäche der Pädagogen. Warum soll es plötzlich generationenweise lernunfähige oder -behinderte Kinder geben? Das Problem liegt vermutlich ganz woanders.
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Walter Lachenmann

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Elke Philburn
26.10.2001 12.17
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LRS

Ganz richtig, Herr Lachenmann.

Was mich etwas misstrauisch macht, ist, dass die 'echte' Legasthenie und die Lese- und Rechtschreibschwäche so behandelt werden, als sei das eine nur eine schwächere – aber nichtsdestoweniger pathologische – Ausprägung des anderen.

Und Sie haben natürlich recht: Warum sollten die Auswirkungen einer psychisch bedingten Lernschwäche in dem einen Fach ernster genommen werden als in dem anderen.

Mir scheint es eher der Fall zu sein, dass man die 'echte' Legasthenie zum Anlass genommen hat, der Lese- und Rechtschreibfähigkeit einen Sonderstatus einzuräumen, den sie nicht verdient. Liegt darin nicht die Gefahr, schlechte schulische Leistungen einer Art 'Krankheit' zuzuschieben, ohne nach anderen Gründen suchen zu müssen? Sicher ist es für Eltern tröstlicher, sagen zu können, ihr Kind habe eine LRS, anstatt eingestehen zu müssen, ihr Kind sei einfach schlecht im Lesen und Schreiben. Stellt sich die Frage, ob man den schriftssprachlichen Fähigkeiten nicht von vornherein weniger Bedeutung beimessen sollte, als es im Moment zu sein scheint.

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