Die im Rechtschreib-Duden seit 1915 entwickelte und später mit einer Vielzahl von Sonderregelungen belastete Darstellung wird vor allem dadurch überschaubarer, dass von der Getrenntschreibung als dem Normalfall ausgegangen wird. An die Stelle schwer handhabbarer inhaltlicher Kriterien (Zusammenschreibung wenn ein neuer Begriff entsteht oder wenn die Bedeutung des Substantivs verblasst ist) treten grammatische Proben (Erweiterbarkeit, Steigerbarkeit usw.).
(Dr. Klaus Heller, Sprachreport Extra zum Thema Rechtschreibreform, Dezember 1998)
Welch Ironie des Schicksals ist es doch, daß die der alten Rechtschreibung entgegengebrachten Schmähurteile auf die neue Rechtschreibung noch sehr viel mehr zutreffen. Die Reformer vernichten sich gewissermaßen mit den eigenen Waffen. Im Vergleich der aktuellen Rechtschreibwörterbuch-Ausgaben von Duden und Bertelsmann hier eine weitere Stichprobe: Die Ausführungen zu Verben mit dem Erstglied fest. Was sagen zunächst einmal die Infokästen?
Duden 2000 | Wahrig 2002 |
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fest
- fes|te Kosten; fes|ter Wohnsitz; fes|tes Gehalt
Schreibung in Verbindung mit Partizipien [^K58]:
- die fest geschnürte [alte Schreibung festgeschnürte] Schlinge; fes|ter geschnürt
fest angestellte Mitarbeiterinnen, fest besoldete Beamte, eine fest gefügte Meinung, fest umrissene Begriffe usw. [alte Schreibungen festangestellt, festbesoldet usw.]
aber zum festgesetzten Zeitpunkt
Schreibung in Verbindung mit Verben [^K56]:
fest stehen (festen Stand haben); aber feststehen (sicher sein, entschieden sein)
eine Schleife [ganz] fest binden; aber festbinden (anbinden); die Kuh ist festgebunden
vgl. festbeißen, festbleiben, festfahren, festhalten, festheften, festklammern, festlegen, festnageln, festnehmen, festschreiben, festsetzen, festsitzen, festziehen usw.
| fest angestellt: Fügungen aus Adjektiv und Verb/Partizip, bei denen das Adjektiv mit wie erfragbar ist, werden getrennt geschrieben: die fest angestellte Mitarbeiterin; substantiviert: die fest Angestellten (neben: die Festangestellten). Ebenso: der fest besoldete Beamte, die fest gefügte Ansicht, die fest verwurzelte Tradition. § 34 E3 (3) festhalten, festnehmen, festsetzen: Gefüge aus Adjektiv und Verb, in denen das Adjektiv weder steigerbar noch erweiterbar ist (festhalten = schriftlich fixieren, festschreiben = bestimmen, festsetzen = bestimmen), werden zusammengeschrieben: Er hat die Vereinbarung festgehalten.
Die Polizei hat ihn festgenommen (= verhaftet). Das konnten wir letzte Woche festsetzen. § 34 (2.2)
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An den Beispielen unter den Partizipien fällt auf, daß Wahrig entweder bei Duden abguckt (wie das schon bei der Umschlaggestaltung höchst offensichtlich der Fall ist) oder beide auf eine gemeinsame Quelle zurückgreifen.
Bei Duden bleibt im Kasten der Grund ungenannt, aus dem festgesetzt, zusammengeschrieben werden soll. Die Dudenregel, auf die verwiesen wird (K 58), besagt: Partizipien richten sich generell nach den zugrunde liegenden Verbindungen mit Verben. Bei diesen Grundformen kommt dann die Dudenregel K 56 zum Zuge, die §34 E3 (3) / §34 E4 des amtlichen Regelwerks entspricht, also das Steigerbarkeits-/Erweiterbarkeitskriterium, auf das auch der Infokasten im Wahrig verweist. Dort wird komischerweise ein Kriterium Adjektiv mit wie erfragbar genannt. Davon ist im amtlichen Regelwerk keine Rede. Außerdem: Welches Adjektiv soll denn nicht mit wie erfragbar sein?
Also soll es wohl festgesetzt heißen, weil es auch festsetzen heißt. Aber warum dann fest besoldet? Dann müßte ja fest besolden die richtige Schreibung sein. Dieser Infinitiv taucht als Lemma interessanterweise in beiden Wörterbüchern nicht auf. Aber festbesoldet ist ein Zustand, der entweder voll zutrifft oder gar nicht, es gibt da keine graduellen Abstufungen, auf die sich eine Steigerung oder Erweiterung des Erstgliedes beziehen könnte. Ähnlich seltsam ist, daß es zwar fest geschnürt, aber festbinden heißen soll. Wiederum fehlen hier in beiden Wörterbüchern die passenden Pendants fest schnüren bzw. festgebunden, die die Unstimmigkeit noch etwas auffälliger gemacht hätten. Andererseits sind die Partizipien hin und wieder auch in den Beispielsätzen zu den Infinitiv-Stichwörtern zu finden (z.B. bei festfahren im Wahrig, s.u.), und Wahrig hat sogar das Stichwort festwurzeln, das bei Duden fehlt, wohl als Grundlage für fest verwurzelt, obwohl das dann plötzlich wieder getrennt geschrieben werden soll.
Für den umgekehrten Fall, eine bezüglich dem Infokasten unerklärliche Zusammenschreibung, findet sich im Duden u.a. festbleiben. Anscheinend hält man es beim Duden für ausgeschlossen, daß jemand oder etwas auch noch fester bleiben oder ganz fest bleiben könnte. Schaut man beim Stichwort nach, ist dort auch eine spezielle Bedeutungsangabe verzeichnet. Aber sollten die schwer handhabbaren inhaltlichen Kriterien nicht von der Reform beseitigt werden? Im folgenden eine Vergleichstabelle der betroffenen Stichworteinträge in Duden und Wahrig (inkl. Bedeutungsangaben):
Duden 2000 | Wahrig 2002 |
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fest s. Kasten | fest; fest angestellt; er ist fest besoldet; fest geschnürte Schuhe; fest kochende Kartoffeln; er hat fest umrissene Vorstellungen; sie ist hier fest verwurzelt; fest binden; aber: -> festbinden; fest halten; aber: -> festhalten; fest stehen; aber: -> feststehen | fest angestellt | fest angestellt | der/die fest Angestellte, auch Festangestellte | - | festbacken (ankleben); der Schnee backt fest, hat festgebackt, festzubacken | festbacken der Schnee backt fest | festbeißen, sich (auch für sich ausdauernd mit etwas beschäftigen); der Hund hat sich festgebissen; wir haben uns an dem Problem festgebissen | festbeißen sich in etwas verbeißen | fest besoldet | fest besoldet |
der/die fest Besoldete, auch Festbesoldete | - | festbinden anbinden); die Kuh ist festgebunden, aber die Schuhe [ganz] fest binden | festbinden anbinden | festbleiben (nicht nachgeben); er ist in seinem Entschluss festgeblieben | - | festfahren sich festfahren | festfahren eine festgefahrene Diskussion (wieder in Gang bringen) | festfressen, sich; der Kolben hat sich festgefressen | - | fest gefügt, fest geschnürt | fest geschnürt | festhaken sich festhaken | - | festhalten die Aussage wurde [schriftlich] festgehalten; man hat sie zwei Stunden auf der Wache festgehalten; aber das Kind [ganz] fest halten | festhalten schriftlich fixieren | festheften | - | festklammern; sich festklammern | - | festkleben; um das Foto festzukleben | festkleben | festklopfen; (ugs. für festlegen, besiegeln); festknoten; ein festgeknotetes Seil | - | fest kochend | fest kochend | festlaufen; das Schiff ist festgelaufen | - | festlegen; (auch für anordnen); sie hat die Hausordnung festgelegt; sich festlegen (sich binden); sie hat sich mit dieser Äußerung festgelegt | festlegen wir haben die Tagesordnung festgelegt | festliegen; auf einer Sandbank festliegen | festliegen | festmachen; (auch für vereinbaren); um die Taue festzumachen | festmachen befestigen, bindend vereinbaren | festnageln; (ugs. auch für jmd. auf etwas festlegen); ich nag[e]le fest | festnageln ich nagele, nagle es fest | festnähen; um einen Knopf festzunähen | - | die Festnahme; festnehmen (verhaften) | Festnahme / festnehmen vorläufig gefangen nehmen | festrennen, sich; vgl. festbeißen, sich | - | festsaugen, sich | - | festschnallen, sich festschnallen | festschnallen | - | festschrauben | festschreiben; dieser Punkt wurde im Vertrag festgeschrieben; Festschreibung | festschreiben durch eine schriftliche (oder auch mündliche) Vereinbarung vorläufig festlegen | festsetzen (bestimmen, anordnen; gefangen setzen); er wurde nach dieser Straftat festgesetzt; Festsetzung | festsetzen / Festsetzung | festsitzen (ugs. für nicht weiterkommen); sie haben festgesessen | festsitzen | feststecken; sie hat ihre Haare festgesteckt | feststecken | feststehen (festgelegt, sicher, gewiss sein); fest steht, dass ... [^K47]; es hat festgestanden, dass ..., aber: [ganz] fest stehen (festen Stand haben); feststehend (festgelegt, sicher, gewiss) | feststehen sicher sein, festgelegt, vereinbart sein; fest steht, dass ...; es hat festgestanden, dass ... | feststellbar | - | feststellen (ermitteln, [be]merken, nachdrücklich aussprechen) | feststellen | festtreten; um das Erdreich festzutreten | - | fest umrissen | - | fest verwurzelt | fest verwurzelt | festverzinslich | festverzinslich | festwachsen; [an der Wand] festgewachsenes Efeu | festwachsen | - | festwurzeln | festziehen | - |
Wie man sieht, ist beinahe der gute alte Zustand wiederhergestellt. Nur ein paar Einzelfälle widerstreben dem noch geradezu dickköpfig. Bemerkenswert ist also, daß nicht alle Einträge dem gleichen Prinzip folgen, sondern manche sich eher an die Reformregel halten, bei Steiger- bzw. Erweiterbarkeit des Erstglieds Getrenntschreibung gelten zu lassen, die meisten anderen das aber ignorieren und offenbar das bislang gebräuchliche, bedeutungsorientierte Kriterium bzw. das Schema des Ergebniszusatzes heranziehen. Diese Zuordnung scheint aber rein willkürlich zu sein und läßt sich nur durch Nachschlagen ermitteln (und dann mühsam auswendig lernen, bis zur nächsten Revision). Zwar sind die einzigen Fälle von Getrenntschreibung alle Partizipien, aber da deren Schreibung sich laut Neuregelung nach dem Infinitiv richten soll, dürfte das eigentlich keine Rolle spielen. Die zugrundeliegenden Infinitive müßten also ebenfalls getrennt geschrieben werden, aber da die nicht verzeichnet sind, läßt sich das nicht nachprüfen. Dafür sind bei den Beispielsätzen einiger Stichwörter, etwa eine festgefahrene Diskussion oder ein festgeknotetes Seil, die Partizipien genau wie die Infinitive zusammengeschrieben.
Weder das alte noch das neue Prinzip wird durchgängig befolgt. Vielmehr scheint man zwar zur Einsicht gekommen zu sein, daß das Erweiterbarkeits-/Steigerbarkeitskriterium konsequent durchgeführt dann doch allzu eigenartige Schreibungen verursachen würde und auch nicht der Aussageabsicht entspricht, die man in der Rede durch entsprechend markierende Betonung solcher Wörter ausdrückt. Auf eine ganze Menge zusammengeschriebener Stichwörter ließe es sich nämlich mit derselben Berechtigung anwenden wie auf jene, die getrenntgeschrieben aufgeführt sind. Hätte man von der Anwendung dieses Kriteriums aber völlig abgesehen, wäre ja alles wieder wie gehabt, und das darf natürlich wiederum auch nicht sein. Da läßt man lieber noch eine Prise Getrenntschreibung zu, selbst wenn sie nicht einmal durch das Reformregelwerk in allen Fällen korrekt begründbar ist. Das Resultat: Wie Theodor Ickler schon sagte, nichts Halbes und nichts Ganzes. Ein irrwitziger Eiertanz, um nur ja die Unbrauchbarkeit des Reformregelwerks nicht absolut offensichtlich werden zu lassen.
– geändert durch Christian Melsa am 17.06.2002, 06.06 –
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