allein_erziehend
Kleine Zwischenfrage: Warum eigentlich muß man dieses Wort nach den reformierten Regeln getrennt schreiben? Ich dachte erst, daß das gar nicht der Fall sei, weil man es ja (genauer: den ersten Teil) in seiner Bedeutung (bezogen auf den Alleinerziehenden; wie der Alleinstehende) nicht steigern kann. Jedoch fällt dieses Wort, wenn man es formal als Zusammensetzung aus allein und erziehend auffaßt (was ich zwar für unsinnig halte, aber die reformierten Regeln sind nun einmal so), nicht unter § 34 (in welchem das Steigerungskriterium unter Punkt 2.2 vorkommt), weil es dort nur um Verben geht, sondern unter § 36 (Partizipien).
Für eine mögliche Zusammenschreibung verweist § 36 (3) auf das dem Partizip zugrunde liegende Verb, was hier erziehen ist, und wenn es also alleinerziehen gäbe, dann auch alleinerziehend. Und sofort ist formal gesehen klar, daß getrennt werden muß, steht doch unter § 34 E3 (2) explizit allein stehen. Zudem ist allein erziehen als Wortgruppe korrekt (mehr dazu weiter unten).
Also: Nur weil es alleinerziehen nicht gibt, soll es auch alleinerziehend nicht geben. -- Der Infinitiv alleinerziehen steht aber gar nicht zur Diskussion und ist in bezug auf alleinerziehend völlig irrelevant, weil sich letzteres ja auf die/den Alleinerziehende/n bezieht. -- Nix da, sagt die Reformorthographie, das schreibt sich jetzt, in Konsequenz, der/die allein Erziehende. -- Welch ein Unfug!
Hier wird offensichtlich das Pferd von hinten aufgezäumt: Anstatt inhaltlich korrekt vorzugehen, wird formal korrekt vorgegangen, mit der Konsequenz, daß der inhaltliche Bezug, der überhaupt erst zu der Entstehung dieses Wortes geführt hat, verlorengeht. Natürlich hat alleinerziehend etwas mit allein erziehen zu tun, aber eben inhaltlich und nicht formal. Formal gesehen ist allein erziehen eine unter vielen möglichen Wortgruppen des Typs allein + Verb: allein bewältigen, allein fahren, allein rudern etc.
Fazit: Um sinnvolle Ergebnisse zu liefern, müßte das Zusammenschreibungskriterium der Nichtsteigerbarkeit des ersten Bestandteils explizit auch für Partizipien (§ 36) gelten, der Umweg über § 34 führt in die Irre. Dies scheint allerdings nicht beabsichtigt zu sein: Im 3. Kommissionsbericht steht im Teil B (Diskussion alternativer Regelungen) unter 1.1.0 (Verbindungen mit Partizipien Die Ausgangslage): Zitat: Die Neuregelung versucht hier zu einer Vereinfachung zu gelangen, indem die Schreibung konsequent davon abhängig gemacht wird, ob eine entsprechende Verbindung auch im Infinitiv besteht. Wenn dies der Fall ist, wird die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung von dort übernommen (...).
Wichtig hierbei ist die Voraussetzung, daß eine entsprechende Verbindung auch im Infinitiv besteht, denn nur dann soll sich die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung danach richten. Das geben die Regeln in ihrer jetzigen Form allerdings nicht her. Würden sie es, dürfte m. E. die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung von allein_erziehend nicht anhand des entsprechenden Infinitivs entschieden werden. (Und vielleicht sorgt eine entsprechende Meta-Toleranzregel demnächst für die Wiederbelebung der Zusammenschreibung...)
Mir scheint, daß dahinter ein generelles Defizit von § 36 steckt: Zu Adjektiven gewordene zusammengesetzte Partizipien werden nicht separat berücksichtigt. Genau darauf ging vor einigen Tagen bereits Herr Upmeier im "bisherigen Gästebuch" ein; er schrieb am 7.8.2002: Zitat: G.u.Z.: Sind auch Verbaladjektive Adjektive und auch Adjektive Nomina?
Verbalsubstantive sind Substantive mit allen Eigenschaften eines solchen, denn ,Verbal-' ist nur das Bestimmungswort zur Wortart ,Substantiv'. Sie dürfen mit anderen Wörtern feste Bindungen eingehen. Folgerichtig sind Verbaladjektive Adjektive. Wie Adjektive sind sie deklinierbar und nicht alle steigerbar. Nicht im Regelwerk, nur im großen Wahrig steht das Wort Verbaladjektiv: aus einem Verbum gebildetes Adjektiv. Adjektive dürfen mit anderen Wörtern feste Bindungen eingehen; neu: mit Partizipien nur noch eingeschränkt. Das Problem ist die Abgrenzung zwischen Partizipien als Verbform und Verbaladjektiven, zwischen Zustandspassiv (,sein'-Passiv) und Verbaladjektiv in prädikativem Gebrauch (früher: als ,Prädikatsnomen') mit ,sein'.
Zu ,Nomen' im Duden: Nennwort, Substantiv; häufig auch für Adjektiv und andere deklinierbare Wortarten. Im Bertelsmann: deklinierbares Wort. Im kleinen Wahrig: der Beugung unterliegende Wortart. Im großen Wahrig: deklinierbares Wort (Substantiv, Pronomen, Adjektiv)". Letzteres habe ich vor langer Zeit im Gymnasium gelernt. Aber dann steht im Duden und im großen Wahrig: Nomen acti: Substantiv, das den Abschluß oder das Ergebnis eines Geschehens bezeichnet; Nomen actionis: Subst., das ein Geschehen bez.; ... Nomen qualitatis: Subst., das eine Eigenschaft bez. In dieser hier unlogischen Einschränkung der Nomina auf Substantive liegt der Hund begraben, denn auch Adjektive können als Verbaladjektive ein Geschehen bezeichnen: aktiv: der beutejagende Wolf, medial: die einstürzenden Neubauten, passiv: der hochverehrte Professor oder das Ergebnis eines Geschehens: aktiv: der studierte Herr, medial: die eingestürzten Neubauten, passiv: das zerstörte Haus auch als prädikativ (als Prädikatsnomen) gebrauchte Verbaladjektive: die Sonne ging rotglühend unter, er kam braungebrannt heim und als ,Eigenschaftswörter' eine dauerhafte Eigenschaft. Viele Verbaladjektive können auch adverbial gebraucht werden: das interessiert mich brennend.
Wenn man folgerichtig die Kategorien ,Nomen acti, Nomen actionis, Nomen qualitatis' für alle Nomina gelten ließe, soweit im Einzelfall sinnvoll, also auch für Verbaladjektive, würde die neue Diskriminierung der Partizipien, nur dann mit anderen Wörtern zusammengeschrieben werden zu dürfen, wenn auch der zum Partizip gehörende Infinitiv zusammengeschrieben wird, für Verbaladjektive hinfällig und müßte im Einzelfall entschieden werden. Für Adverbien, die adverbial gebrauchte Verbaladjektive sind, müßte dann bei Getrennt- und Zusammenschreibung mit anderen Wörtern logischerweise dasselbe wie für alle übrigen Adjektive gelten.
Henning Upmeyer
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.
(Nachtrag) Vielleicht nur noch dies: Demnach wäre also alleinerziehend (als ganzes Wort) ein Verbaladjektiv, dessen innere Zusammensetzung als solche unerheblich ist, so daß es gar nicht erst unter § 36 fällt.
Fazit: Wer annimmt, es handele sich bei alleinerziehend um eine Zusammensetzung aus Adverb + Partizip entsprechend § 36, hat schon verloren bzw. sich gründlich geirrt. Wie aber kann man dies etwas leichter verständlich erklären bzw. begründen, als es Herr Upmeyer getan hat?
Natürlich gilt das allgemeine Prinzip, daß (echte) Zusammensetzungen (eigenständige) Wörter sind und daher zusammengeschrieben werden. Manche Leute reagieren aber allergisch, wenn man von einem konkreten Beispiel ablenkt und ein Pauschalargument verwendet. Was bleibt einem dann noch zur Verteidigung der Schreibung (eigentlich ja des Wortes) alleinerziehend?
– geändert durch J.-M. Wagner am 06.09.2002, 14.58 –
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Jan-Martin Wagner
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