Sich herumärgern? Nein - sich wehren!
Liebe Frau Menges,
natürlich haben Sie und Ihre Kollegen es besonders schwer, sich der Rechtschreibreform gegenüber kritisch oder gar ablehnend zu äußern bzw. sie für Ihren Tätigkeitsbereich rundweg abzulehnen, letzteres können Sie wahrscheinlich gar nicht. Wer Ihre Beiträge hier von Anfang an verfolgt hat, konnte, da haben Sie recht, deutlich erkennen, wie Ihnen nach einer ursprünglich fast begeisterten Befürwortung des »Neuen« an dieser Reform deren Fehlerhaftigkeit immer klarer geworden ist. Kritiker »reden sich« sehr leicht, aber sie reden wenigstens. Aber nicht deswegen diskutiert niemand aus Ihrer Sparte hier mit, sondern weil Ihre Kollegen, im Gegensatz zu Ihnen, offenbar kein Interesse daran haben, sich in dieser Thematik kompetent und kundig zu machen. Vermutlich wissen sie und wollen nicht permanent mit dieser Tatsache konfrontiert werden , daß sie sich in einer völlig verfahrenen und bei klarem Nachdenken ganz und gar unerträglichen Situation befinden:
Daß sie dazu vergattert sind, den Kindern, die sie doch aufs Leben vorbereiten sollen, als Grundlage des Verständnisses der Wirklichkeit ein Lesen und Schreiben beizubringen, wie es sie nie gegeben hat und niemals so geben wird. Hinzu kommt, daß nicht nur die Lehrer selbst diese Rechtschreibung, die sie unterrichten sollen, überhaupt nicht beherrschen können, sondern auch diejenigen, die sie sich ausgedacht haben, und dasselbe gilt für alle, die sie jetzt anzuwenden versuchen. Überall wimmeln die Fehler, die Widersprüche und die absurden Schreibweisen, und es nicht abzusehen, daß sich das jemals in irgendeiner praktikablen und in sich plausiblen Schreibpraxis einpendelt. Klar ist also nur, daß diese »Neue Rechtschreibung« eine völlige Fehlkonstruktion ist, daß sie eine gut funktionierende und von jedem normalbegabten Menschen ziemlich problemlos beherrschte Schreib- und Lesekultur nachhaltig beschädigt hat, daß niemand mit ihr zurechtkommt und daß sie in Zukunft keinen Bestand haben kann.
Für das Berufsethos eines ernsthaften Lehrers, der die Kinder aufs Leben vorbereiten, ihnen die Wirklichkeit des Lebens vermitteln und sich darin zurechtzufinden beibringen soll, ist ein solcher Zustand doch gar nicht hinzunehmen! Ihre Schulbehörden verlangen das aber von Ihnen. Wenn Sie »sich« ehrlich sind, dann werden Sie mir zustimmen, daß genau darin das Problem liegt. Sie hätten doch mit demselben beruflichen Engagement auch die bisherige Rechtschreibung Ihren Kindern beigebracht, dabei aber diese unlösbaren Probleme nicht gehabt. Und Sie hätten ihnen dann etwas beigebracht, was die Kinder in ihrer außerschulischen Umgebung vorfanden, es hätte übereingestimmt mit den geschriebenen und gedruckten Dingen, den Büchern und Zeitungen zuhause, der Werbung in der Öffentlichkeit und allem Geschriebenen wo auch immer. Jetzt unterrichten Sie eine Rechtschreibung, die Ihre Kinder NIRGENDS so vorfinden, wie Sie sie lehren, nirgends SO. Und niemand weiß mehr, was falsch ist und was nicht. Das war vorher anders.
Solange Sie nichts bewegen (Sie alle zusammen!!!! Ihre Vereine, Ihre Bayr. Akademie der Künste, Ihre Aktivitäten) solange muss ich mich und viele andere mit dem herumärgern, was wir haben und nicht mit irgendwelchen fiktiven Übergedanken.
Eben. Sie alle müssen sich damit herumärgern. Ist es dann nicht besser, sich für das Richtige auch in schwieriger Lage zu engagieren, als gar nichts oder gar das Falsche zu tun oder es zu rechtfertigen? Es geht nicht um »fiktive Übergedanken«, sondern um das permanente Verweigern von Falschem und als schlecht Erkanntem. Dafür haben doch auch Sie Ihre humanistische Bildung genossen; ein gebildeter und verantwortlich denkender Mensch muß sich dem Falschen und Schlechten verweigern, das ist humanistisches Ethos seit biblischen Zeiten! Diskutieren Sie also mit Ihren Kollegen über diese Dinge, versuchen Sie nicht vergeblich, sich auf all die Widersprüche einen behördenfreundlichen Reim zu machen, verweisen Sie Ihre Kollegen auf diese Diskussionen der kompetenten Reformkritik, wo die Fehler sachkundig benannt werden, ermutigen Sie sie, sich daran zu beteiligen und sich dann mit fundierten Argumenten bei den Schulbehörden über diese Zumutungen zu beschweren.
Also schlagen wir den Duden auf. Was sonst?
Wie wäre es mit dem besseren Wissen und dem eigenen Verstand?
Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird. Sie lieben Zitate, von wem ist dieses? Fleißbildchen zu gewinnen!
Und machen Sie sich keine Sorgen, es bewegt sich inzwischen gar nicht so wenig.
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Walter Lachenmann
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