Schwarzer Dienstag
Von Michael Hanfeld
Am Dienstag nach Ostern ist für die deutsche Presselandschaft „D-Day“. Es ist der Tag, an dem sich weisen wird, ob die Bundesregierung das Votum des Bundeskartellamts und der Monopolkommission würdigt oder in den Wind schlägt und tut, was sie machtpolitisch zu tun gedenkt.
Es ist der Tag, an dem sie ihren Einfluß auf die Presse abermals ausweiten kann. Es ist der Tag, an dem sie einer Zeitung, von der sie auffallend freundlich behandelt wird, das vermeintliche Überleben sichert und dafür eine andere, die ihr viel weniger wohlgesonnen ist, in den Regen stellt. Es ist der Tag, an dem zum letzten Mal Einreden gegen die Übernahme der „Berliner Zeitung“ durch Holtzbrinck vorgetragen werden können, für welche der Stuttgarter Zeitungskonzern bei Wirtschaftsminister Wolfgang Clement eine Ministererlaubnis beantragt hat. Doch ob überhaupt noch etwas bewirkt werden kann, ist sehr, sehr fraglich.
Längst alles entschieden?
Es gibt nämlich ein regierungsamtliches Schreiben aus dem Hause der Kulturstaatsministerin Christina Weiss, das darauf hindeutet, daß längst alles entschieden ist zu Gunsten von Holtzbrinck. Aber zunächst zu denen, die am kommenden Dienstag Widerrede leisten werden: Einwände wird vor allem der Axel Springer Verlag geltend machen, vertreten unter anderem durch den Herausgeber von „Welt“ und „Welt am Sonntag“, Dieter Stolte. Er wird argumentieren, dass, wenn „Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“ zusammengehen, „Berliner Morgenpost“ und „Welt“ aus dem Markt verschwinden werden.
Genau so hat es der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Verlags, Mathias Döpfner, diese Woche in einem Brief an den Wirtschaftminister Clement in flammender Rede formuliert: „Die angestrebte Erlaubnis“, schreibt Döpfner, „führt zwingend zum kurzfristigen Ausscheiden der ,Welt' und zum mittelfristigen Ausscheiden der ,Berliner Morgenpost' aus dem Markt.“
Show statt Showdown
Wenn man böswillig sein wollte, könnte man meinen, dass die Holtzbrinck-Methode Schule macht, die dem Motto folgt: Entweder wir bekommen, was wir wollen, oder unsere Zeitung ist verloren. Im Falle des „Tagesspiegels“ deutet allerdings alles darauf hin, daß eine Erpressung gar nicht nötig, sondern der Showdown am Dienstag eine Show und sonst nichts ist. Und wenn man sich am Ende fragt, welche Zeitung dieser Bundesregierung lieber ist, der „Tagesspiegel“ oder die „Welt“, fällt die Antwort leicht.
Das interne Schreiben aus dem Kanzleramt, auf das wir noch kommen werden, strotzt geradezu vor Zuneigung zum „Tagesspiegel“. Der politische Wille, diese Zeitung unter dem Deckmantel des Gemeinwohls zu stützen, ist unverkennbar. Von der „Berliner Zeitung“ redet in diesem Zusammenhang übrigens niemand. Für ihre Redaktion wird es auch keine Stiftung geben, sie wird offenbar nur gebraucht, damit der „Tagesspiegel“ überleben kann. Für das Transfusionsmodell Marke Holtzbrinck könnte Graf Dracula Pate gestanden haben.
Gefahr für die „Welt“
Doch zurück zu Springer. Dort argumentiert Konzernchef Döpfner, dass durch die vom Bundeskartellamt bereits abgelehnte und von der Monopolkommission ebenfalls verworfene Verbindung zwischen „Tagesspiegel“ und Berliner Zeitung“ die Sparbemühungen der Springer-Zeitungen zunichte gemacht würden. Durch die enge Koordination von „Berliner Morgenpost“, Welt“ und „Welt am Sonntag“, heißt es in seinem Brief, sei es zwar gelungen, „die rückläufige Ergebnisentwicklung bei diesen beiden Objekten bis zu einem gewissen Grade zu stabilisieren“, doch hänge die Existenz beider Zeitungen auch an diesem Modell.
Die „Morgenpost“ aber käme gegen die dann marktbeherrschende Anzeigen-Stellung von Holtzbrinck in Berlin nicht an und müsste „über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden“. Bei dieser Gelegenheit verrät der Springer-Vorstandschef Döpfner auch, „dass das Defizit, das wir mit der ,Welt' erwirtschaften, trotz der Koordination mit der ,Berliner Morgenpost' bei einem Vielfachen dessen liegt, das Holtzbrinck gegenwärtig mit dem ,Tagesspiegel' verliert.“ Holtzbrinck hatte die Verluste des „Tagesspiegels“ im Antrag auf Ministererlaubnis auf 75 Millionen Euro seit 1992 beziffert.
Marktbeherrschende Stellung
Ein weiteres Ansteigen der Verluste der „Welt“, so Döpfner weiter, wäre für den Verlag nicht zu verantworten: „Durch die marktbeherrschende Stellung, die Holtzbrinck durch einen Zusammenschluß im regionalen Anzeigengeschäft erlangen würde, wäre ,Berliner Morgenpost' und ,Welt' jegliche wirtschaftliche Perspektive genommen.“ Der publizistischen Vielfalt wäre also „auf keinen Fall gedient“, sondern nur Holtzbrinck. Döpfner geht sogar noch einen Schritt weiter: In einem vertraulichen Anhang hat er dem Wirtschaftsminister sogar auf ein Quartal bezogen die Summe genannt, die Springer in sein Prestigeobjekt „Welt“ steckt. Daran dürfte erkennbar sein, dass dieses Blatt weiter davon entfernt ist, schwarze Zahlen zu schreiben, als so manch andere große Zeitung in der gegenwärtigen Krise.
Und nun zur Medienpolitik der Regierung: Was diese bezweckt, wird unter dem Briefkopf von Frau Weiss mit Datum vom 10. April in einem Schreiben an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit klipp und klar formuliert: „Ich rege an, die Ministererlaubnis zum Zusammenschluß der Georg von Holtzbrinck GmbH und Co. KG Verlagsgruppe (Tagesspiegel) und der Berliner Verlag GmbH & Co. KG (Berliner Zeitung) zu erteilen, da sie trotz der damit verbundenen erheblichen Beeinträchtigungen des wirtschaftlichen Wettbewerbs auf den Berliner Zeitungsmarkt geboten ist, um den publizistischen Wettbewerb und damit das von Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz verbürgte Institut der freien Presse in Berlin zu erhalten und zu fördern.“ Die Gleichung der Regierung lautet also: „Tagesspiegel“ = Pressefreiheit in Berlin.
Neue „Tatsachengrundlage“
Verworfen wird in dem Weiss-Papier das Fusionsverbot des Bundeskartellamts vom 10. Dezember 2002 unter anderem mit dem Argument, daß sich seither die „Tatsachengrundlage“ verbreitert habe. Die neuen Tatsachen freilich, die hier eine Rolle spielen, bestehen allein in den Meinungsäußerungen der verschiedenen Gutachter, die seit damals im Auftrag von Holtzbrinck den Antrag auf Ministererlaubnis zu stützen suchen. Dem Minister selbst wird eine sogenannte „Einschätzungsprärogative“ bescheinigt, was bedeutet, daß er die Dinge ruhig anders bewerten soll als die Kartellwächter.
Wie all die versammelten Holtzbrinck-Gutachter, deren Exegesen hierzu quergelesen wurden, kommt Clements Kollegin Weiss zu dem Urteil, daß es zwar „bedeutsame negative wirtschaftliche Auswirkungen auf die konkurrierenden Blätter, insbesondere die Berliner Morgenpost“ sehr wohl geben werde: „Diese Auswirkungen würden jedoch nach bisherigem Kenntnisstand aller Voraussicht nach nicht zu einer ernsthaften Existenzgefährdung der Konkurrenten führen.“ Da Wirtschaftsminister Clement jetzt die Original-Zahlen von Springer kennt, könnte die Sache vielleicht doch etwas anders aussehen als die „Voraussicht“ der Gutachter und von Frau Weiss es weiß.
Was wäre beim Verkauf?
Wie eng der Kontakt zwischen Bundesregierung und Holtzbrinck ist, welche die seltsame Stiftungslösung für den „Tagesspiegel“ offenbar gemeinsam erfunden haben, lässt sich an dem dieser Zeitung vorliegenden Schreiben auch erkennen. Dort wird unter anderem darüber nachgedacht, daß nicht nur keine Politiker in der Stiftung sitzen sollten, sondern auch „Verantwortlichen anderer Medienunternehmen“ kein Einfluß auf den „Tagesspiegel“ zugebilligt werden sollte. Stattdessen sei an unabhängige Persönlichkeiten zu denken. Und an die Frage, was mit der Stiftung sei, wenn der „Tagesspiegel“ doch einmal verkauft würde.
Wirklich verräterisch aber ist erst der rein technisch gedachte Satz, der folgt: „Auch dieser Punkt sollte mit Holtzbrinck bereits im Vorfeld der anstehenden mündlichen Verhandlung erörtert werden.“ Im Vorfeld also. Wird alles geklärt. Oder? Ist schon alles geklärt worden? Im Vorfeld? Die mündliche Verhandlung ist, wie gesagt, angesetzt für Dienstag, 22. April 2003, um 10.30 Uhr in Berlin, im Wirtschaftsministerium der Bundesrepublik Deutschland. Ob sich das Kommen für die Vertreter anderer Verlage außer jenen von Holtzbrinck überhaupt noch lohnt?
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