Die gewisse Komik
[Peter Schubert] ...ich hatte erwartet, dass meine überlange Aufzählung solcher Fremdwörter eine gewisse Komik dieser Schreibweise erkennen lässt. [Fitneß, Fairneß, Miß Germany, Mißmanagement ...]
Noch zur Zeit meiner Großeltern schrieb man deutsch in „deutscher Schrift und benutzte für Fremdwörter die „lateinische Schrift. Das entsprach einer mehrhundertjährigen Tradition – heute noch bisweilen in den Kommentarüberschriften der FAZ erkennbar. Selbstverständlich ist es immer richtig, Fremdwörter in ihrer Originalschreibung darzustellen. Komischerweise passen sich die Reformfreunde klaglos den übrigen nicht minder „komischen Gewohnheiten deutscher Fremdwortschreibung an, etwa der k-Konvertierung („Doppelkonsonanten), oder, weil sie „neu ist, der ph-Konvertierung („typografische) – auf daß alle geadelt würden: Typografen, Geografen, Pornografen. Es wundert zudem, daß sich auch andere Sprachen seit dem 15. Jahrhundert der Komik des „ß" bedienten, obwohl es dort nicht solche Vorteile wie im Deutschen bot.
Thomas Mace „Musick’s Monument 1676; Schrift: Antiqua, lang-s, rundes s, als ß in gerader Schrift nur eng zusammengeschoben (wie noch nach 1800 das deutsche Antiqua-ß), in kursiver Schreibweise in einem Linienzug:
p.134 ... inform you in most Neceßary Piece of Mastership ... such New Leßons ... Incompleteneß ... Quaintneß ... do not cause a Ceßation of Play, ... Busineß.
Auch in italienischen Handschriften und Drucken um 1500 findet man anstelle der sonst üblichen langen Doppel-s das eng aneinandergerückte lang-s mit folgendem runden s – allerdings selten konsequent. Im Inhaltsverzeichnis des handschriftlichen Tabulaturbuches eines Vicenzo Capirola stehen zwei belissimo/a gegen zwei belißimo/a, ohne daß Platzgründe dafür erkennbar wären. Wir finden häufig eßer, coßa, aber grosse, grosso.
Im Deutschen könnte das ß auch als Erweiterung des mittelhochdeutschen z mit einem vorgestellten langen s entstanden sein. Solange das lange „s der Spätantike im Gebrauch war, auch noch mit Aufkommen des ß, waren Antiqua und Fraktur jedenfalls bis ins 19. Jahrhundert hinein vollkommen kompatibel. Erst die durchgängige Anwendung des runden s ließ das Antiqua-ß der deutschen Texte als Anleihe aus der Fraktur erscheinen. Es ist also nicht wahr, daß das deutsche „ß" „Fraktur in meiner Buchstabensuppe sei ( FAZ v. 6.11.2002).
Seit 600 Jahren schreiben die Deutschen problemlos „es hieß, daß es muß". Seit 6 Jahren werden sie zur „Scheiß-Stussschreibung gepreßt, weil das einigen armen Pennäler- und Pennerseelen ein paar rote Striche im Schulheft ersparen soll – ein Fall höchster Komik, wären die Folgen nicht so traurig.
Der Volksbetrug Rechtschreibreform – ein „nationales Unglück (Reich-Ranicki) – hat eine ganze Nation in Schreibstümper verwandelt (auch Angela Merkel) und unsere besten Literaten als „Altschreiber aus den Schulbüchern verbannt. Die laufende verbissen-verbiesterte ss-Übermalung der klassischen Literatur für Schul- und andere Verdummungszwecke erinnert in ihrer Lächerlichkeit an die Verschandelung der sixtinischen Fresken Michelangelos durch den päpstlichen Hosenlatzmaler „Il Brachettone (Daniele da Volterra).
Dabei ist die „neue Umfunktionierung des „ß", ein Philologeneinfall von 1829, alles andere als logisch: Die lesefreundliche Ligatur wird zum einmaligen Sonderbuchstaben für scharfe „s hinter manchen langen Vokalen. Wenn die Erinnerung an den richtigen Gebrauch des ß getilgt ist, können ältere Literatur und Eigennamen nicht mehr richtig gelesen und die Frakturschrift, ein schützenswertes Kulturgut, nicht mehr regelrecht geschrieben werden. Ihrer von Hitler verfügten Ausbürgerung als „Judenlettern verleihen die Kultusminister damit den amtlichen Stempel der Endgültigkeit.
Wie wir gerade lesen konnten, sagt heute der ehemalige Kultusminister Bayerns, Hans Zehetmair: „Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen. Ich sage: Politik Hände weg von einer Rechtschreibreform! (Passauer Neue Presse v. 30.4.2003) Als damals Verantwortlicher höhnte er noch über die protestierenden Schriftsteller, die doch ohnehin schreiben könnten, wie sie wollten.
Die Büchse der Pandora ist geöffnet, und die deutsche Sprache leidet unter dem sich verbreitenden Unheil ebenso wie unter der zunehmenden Korrumpierung der nur so genannten Volksvertreter. Die schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten, die vor vier Jahren das Ergebnis des Volksentscheids gegen die Rechtschreibreform zu ihren Gunsten „korrigierten, haben sich gerade in Anerkennung ihrer schweren Aufgabe eine Diätenerhöhung um 45 Prozent (!) genehmigt, wieder gegen wütende Proteste der Bevölkerung und wollen – oder wollten (Kieler Nachrichten v. 30.4.2003) – dies auch noch durch eine Erhöhung der Landesschulden finanzieren. Damit sich „die Fresssäcke trotz aller Missstände in Esssälen und Imbissstuben ohne Essstörungen ihrer Genusssucht hingeben können. – Wer war es noch, der sich oben einer „gewissen Komik in der traditionellen Rechtschreibung schämte?
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