,,(da)ss vs. (da)ß`` und die Studie von Prof. Marx
(Re: 25339 Aufschläge / Spirituelle Klosterhofserenade)
Liebe Frau Menges!
(Zuvor: Ihren Vorschlag, einen Katalog aufzustellen und jeweils ca. 10 Vorschläge anzusammeln, finde ich eine gute Idee. Sagen Sie mir nur noch dazu, an welche Zielgruppe sich diese Sammlung letztlich richten soll an die Rechtschreibkommission oder an die KMK?)
Ich bin bei dem Thema der s-Laut-Schreibung unter anderem deswegen so hartnäckig geblieben, weil Sie vor ein paar Wochen mit einigen Behauptungen dazu aufwarteten, die unzutreffend sind oder am Kern der Sache vorbeigehen. Allen meinen Versuchen, Sie auf die entscheidenden Punkte hinzuweisen und von Ihnen genau dazu eine Antwort zu bekommen, sind gescheitert, weil Sie es immer wieder geschafft haben, sich der inhaltlichen Diskussion zu entziehen. Nach einer Weile behaupteten Sie dann, wir müßten das Thema fallenlassen (»uns aus der ss-ß-s-Vertiefung herausbewegen«), weil wir uns doch nicht einig werden könnten. So bereits geschehen bei der Diskussion um die Nichttrennung von ck (dreimal dürfen Sie raten, was der erste Punkt auf meiner Vorschlagsliste sein wird), und so auch jetzt wieder bei der Diskussion um ss vs. ß. Wie soll denn unsere Diskussion jemals zu einem Ergebnis kommen, wenn Sie sie bereits für beendet erklären, wenn über Inhaltliches noch gar nicht richtig gesprochen wurde?
Ein wichtiger Aspekt dabei ist, daß Sie völlig zu Recht! darauf hinweisen, daß Sie beruflich an der reformierten Schreibung nicht vorbeikommen und sich daraus eine besondere Sichtweise ergibt. Gut, diese Situation ist uns bekannt, und es ist wirklich nicht nötig, dieses Thema zum -zigsten Male durchzugehen. Aber um was für ein Thema handelt es sich dabei genau? Mir scheint, daß es dabei um etwas Formales geht: Per Erlaß sind Sie dazu gezwungen, es so zu machen, wie es in den neuen Regeln steht. Weil das eine formale und keine in der Sache selbst begründete Entscheidung ist, möchte ich daher vorschlagen, daß wir zur Entzerrung der Diskussion zwischen formalen und inhaltlichen Aspekten unterscheiden, und ich möchte diese Aspekte scharf trennen! Spielregel: Es darf bei der Diskussion um einen inhaltlichen Aspekt nicht mit einem formalen Aspekt gekontert werden (und umgekehrt). Das hat zur Folge, daß eine solche Diskussion die Tendenz haben kann, abgehoben zu erscheinen und ohne (unmittelbaren) Bezug zur Realität zu sein wenn in der Diskussion die formalen Kriterien zu kurz (zu) kommen (scheinen); mir ist klar, daß die in der Realität eine wichtige Role spielen. Das ist aber nötig, denn sonst wäre kein Fortschritt möglich!! (Stimmen Sie dem zu?) Ich frage Sie nun, liebe Frau Menges: Sind Sie zu so einer präzisen, quasi akademischen Diskussion bereit?
Lassen Sie mich ein paar Beispiele anführen, wo diese inhaltliche Diskussion steckengeblieben ist bzw. wo sie steckenzubleiben droht:
Beispiel: Sie schrieben heute: »Was richtig oder falsch ist wird durch Unterschriften besiegelt: Zur Zeit ist es Frau Hohlmeier, die die neuen Lehrpläne unterzeichnet.« Da haben Sie bereits inhaltliche und formale Kriterien unzulässigerweise miteinander vermengt. Glauben Sie wirklich an eine inhaltliche Wahrheit per Erlaß? Was wird durch Unterschriften wirklich besiegelt? Doch nur das, was formal als gültig anerkannt ist. Dagegen sind richtig und falsch Begriffe, die sich (m. E.) ausschließlich auf das Inhaltliche beziehen. Deshalb gilt: Was (inhaltlich) richtig oder falsch ist, kann nicht durch Unterschriften besiegelt werden.
Beispiel: Sie behaupteten, die gültige ss-Regelung sei nicht schlecht. Das ist eine inhaltliche Aussage, und sie betrifft allein die reformierte ss-Schreibung auf einer absoluten Skale (»ist nicht schlecht«). Dem widerspreche ich zwar nicht, und ich habe auch begründet, warum die Heysesche s-Schreibung (ich benutze das nur als Bezeichnung, alternativ zu reformierte s-Schreibung; wer welche Schreibweise eingeführt hat, soll damit überhaupt nicht thematisiert werden!) nicht schlecht ist (zumindest von der theoretischen Konzeption her), aber ich habe immer wieder betont, daß das nicht der Punkt ist: Die (präzise akademische) Frage muß doch lauten: Welche s-Schreibung ist besser, die Heysesche oder die Adelung/Gottschedsche?
Zur Beantwortung dieser Frage habe ich die beiden Regeln anhand dreier Kriterien verglichen: theoretische Regelkonzeption, praktische Anwendung und Lesevorgang. Mein Vergleich lieferte einige Punkte, in denen die Adelung/Gottschedsche Regel Vorteile gegenüber der Heyseschen aufweist. Das bedeutet nicht, daß die Heysesche Regel schlecht ist; sie ist in Ordnung, aber die Adelung/Gottschedsche ist deutlich besser (siehe Antiqua versus Fraktur). Sie aber ignorierten anscheinend die beiden Teile meines Vergleichs, in der die Heysesche Regel schlechter abschneidet, denn Sie behaupteten, ich hätte Gleichwertigkeit der beiden Regeln konstatiert; meine Proteste dagegen blieben folgenlos.
Beispiel: Sie schrieben: »Die Schreibung ss nach kurzem Vokal ist didaktisch- methodisch leicht zu erklären. Die Regel ist verständlich und es passieren weniger Fehler. [...] Diese Regelung macht es den Schülern deutlich leichter richtig zu schreiben.« In meinem soeben erwähnten Beitrag Antiqua versus Fraktur habe ich die Studie von Prof. Marx zitiert, aus der hervorgeht, daß er nicht zu diesem Befund gekommen ist. Die Studie bestätigt das Fazit meines Vergleiches der beiden s-Schreibungsregeln, daß nämlich in der Praxis die Heysesche Regel zu mehr Fehlern führt.
Sie gingen darauf nicht weiter ein, sondern behaupteten, daß die Studie vor allem bestätige, »dass das Rechtschreiben innerhalb drei Jahren schlechter geworden ist. Diese Aussage ist dieser Statistik eindeutig zu entnehmen, denn auch die Werte, die von der Reform nicht betroffen waren, waren deutlich schlechter.« Ich habe dieses Argument ernstgenommen und abgeschätzt, was daraus für ein allgemeiner Trend der Rechtschreibentwicklung folgen würde; er erschien unrealistisch. Und in der Tat findet man im 3. Kommissionsbericht auf Seite 11, daß im Gegenteil keine allgemeine Verschlechterung des Rechtschreibens festgestellt wurde. Ihre Behauptung ist damit widerlegt, und Ihre auf dieser Behauptung beruhende Schlußfolgerung ist hinfällig. Aber auch das scheinen Sie ignoriert zu haben.
Und selbst wenn Sie nun anführen, daß Ihnen die Studie von Prof. Marx zu klein angelegt erscheint, so bleibt doch als Maßstab Ihre Behauptung, daß weniger Fehler passieren würden. Wenn also die Ergebnisse von Prof. Marx nur ein statistischer Ausrutscher wären, was bedeutete dies für das allgemeine Niveau des Rechtschreibens im Bereich der s/ss/ß-Schreibung? Es hätte erheblich zunehmen müssen, damit sich insgesamt eine Verringerung der Fehlerzahl ergibt! Und was meinen Sie: Ist bei ca. 300 Grundschulkindern ein solcher statistischer Ausrutscher möglich? Was ich nicht weiß, ist, wie sich das Prozedere des Veröffentlichens in der Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und pädagogische Psychologie gestaltet, in welcher die Marx-Studie erschienen ist. Wie wahrscheinlich ist es (grob geschätzt), daß man diese Studie hätte veröffentlichen können, wenn sie im Verdacht stehen könnte, auf einem statistischen Ausrutscher zu beruhen?
Aber genug der Beispiele, lassen Sie uns beim aktuellen Stand der Diskussion weitermachen. Sie haben geschrieben: R. Menges:
Zu Herrn Wagner und seinen Erfahrungen:
Es stimmt schon, am dassdaß kann man die ss-ß Klärung vollziehen. Es ist hier eindeutig eine Frage des Schreibens und nicht des Lesens. Das Schöne bei dass und daß" zu suchen finde ich weit über die Sache hinausgelehnt. Dass schreibt sich leichter und ist verständlich in der Anwendung. Warum soll hierbei der Aspekt des Schreibens und nicht der des Lesens entscheidend sein, und warum ist das eindeutig so? Ist nicht die Schrift dazu da, gelesen zu werden, und muß nicht also die Rechtschreibung sich in erster Linie (aber nicht ausschließlich) daran orientieren, was dem Leser dient? Und überhaupt, wollen wir nicht zuerst einmal alle Kriterien zulassen, die bei dem Vergleich (da)ss vs. (da)ß relevant sein können, und dann die jeweils gewonnenen Erkenntnisse gegeneinander abwägen?
Nehme ich also Ihren Beitrag als einen zum Aspekt des Schreibens (und also müssen wir uns noch über das Lesen unterhalten, Frau Menges! Akademische Präzision!), dann sind Ihre Argumente: 1.) Dass schreibt sich leichter; 2.) Dass ist verständlich in der Anwendung. Meine Fragen dazu: 1.) Wie meinen Sie das schreibt sich leichter speziell handschriftlich oder allgemein? 2.) Verständlich in der Anwendung ist mir zu knapp; ich verstehe nicht, worauf Sie dabei hinauswollen. Ist denn nicht die Schreibung daß genauso verständlich weil es letztlich darauf ankommt, zu verstehen, wann der Laut /daß/ für die Konjunktion steht und wann für ein Relativpronomen bzw. einen Artikel? Kurz gesagt, es kommt auf die Unterscheidung zu das an aber das ist doch unabhängig davon, wie ich die Konjunktion schreibe.
(Es kann sehr gut sein, daß ich hier in eine von Ihnen gar nicht beabsichtigte Richtung gedacht habe, aber ich wollte Ihnen das trotzdem mitteilen, um klarzumachen, wie ich Ihre Bemerkung aufgefaßt habe. Bitte nehmen Sie das unter diesem Vorbehalt; ich würde mich freuen, wenn Sie ggfs. das Mißverständnis ausräumen.)
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Jan-Martin Wagner
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