Re-Mission
Liebe Renate Menges,
für so manche wichtige Sache im Leben muß man „früh aufstehen“. Habe das heute mal gemacht, um Ihnen zu antworten. Zunächst zu Ihrem Satz „Kollegen missionieren sollten Sie dagegen tunlichst unterlassen, denn das bekommt Ihnen schlecht, denn wer mag schon Missionare?“ Ich bin mir nicht sicher, ob Sie diesen Rat präventiv gemeint haben oder ihn auf einen konkreten zurückliegenden Fall beziehen.
Der Begriff „missionieren“ mag für viele negativ besetzt sein (etwa wie der Begriff „pädagogisieren“), weil es leider immer wieder „Missionare“ („Pädagogen“) gab und gibt, die ihre Tätigkeit – jetzt versuche ich es mal ganz vorsichtig auszudrücken – doch nicht so ganz zum Wohle ihrer Mitmenschen auszuüben willens bzw. imstande waren/sind. Für mich ist er zunächst einmal wertfrei. In dem Sinne, daß ich Kollegen (sowohl im engeren Sinne als auch im weiteren) eine bestimmte Meinung, Lebens- oder Verhaltensweise aufdrücken wollte, habe ich jedenfalls nie „missioniert“, und ich habe dies auch überhaupt nicht vor. Ist stelle jedoch gerne Fragen und weise gerne auf Widersprüche hin. Ersteres mag eine Spätfolge meiner Kindheits- und Jugendbegegnungen mit guten Pädagogen sein („Wenn ihr was nicht verstanden habt, dann fragt ruhig!“), letzteres eine Folge meines mathematisch-logischen („Von zwei sich widersprechenden Aussagen kann höchstens eine richtig sein.“) als auch politischen, ja sogar sprachlichen Interesses. Und ich ermuntere ausdrücklich alle, mit denen ich zu tun habe (insbesondere Kollegen, und selbstverständlich auch Sie, Frau Menges), dasselbe mit mir zu tun. Schließlich will ich mich mit ihnen und Ihnen auseinandersetzen und nicht auseinander setzen. Und wie sollte man Argumentationserfahrung sammeln, wenn man nie auf Gegenreden stoßen würde? (Aber wem sage ich das?)
Zur Relativierung meines „Mutes“: Ich bin, wie ich hier schon einmal schrieb, Lehrer an einer Musikschule. Dort kann man man (noch) frei wählen, in welcher Schreibweise man sich ausdrücken möchte. Und man muß die Klass(en)tür nur dann schließen, wenn die momentanen Tonarten in den Nebenklassen sich nicht mit der eigenen vertragen. Das ist allerdings fast immer der Fall. Musikschulen sind übrigens auch allgemein bildende Schulen, wenngleich nicht allgemeinbildende.
Eine interessante Beobachtung in diesem Zusammenhang: Bei der Kontrolle eines bestimmten Lückentextes (___-takt und ___-takt, einzutragen war „Auf“ und „Schluss“ bzw. „Schluß“) habe ich es nun schon in kurzer Zeit fünfmal gesehen, daß Schüler „Schluß“ eingetragen hatten. Alle fünf sind so jung, daß sie in der „richtigen“ Schule diese „falsche“ Schreibweise eigentlich noch nie gesehen haben dürften, zumindest nicht geschrieben. Aber alle gaben an, in ihrer Freizeit viel zu lesen. Es gibt halt noch immer (und hoffentlich noch lange) öffentliche Büchereien und auch private Haushalte, die nicht, um der KuMi-Obrigkeit zu gefallen, oder um angeblich Rechtschreibunsicherheiten vorzubeugen, gleich ihre in bewährter Rechtschreibung verfaßten Kinder- und Jugendbücher „verb(r)annt“ haben. Als „pisapanische“ Folge jagt derzeit eine Leseinitiative die andere; ist ja auch gut so, aber sollte man den Kindern nun mit der Bibelweisheit kommen: „Aus allen Büchern dürft (und sollt) ihr lesen, nur aus denen nicht, die ... !“? Und diesen Kindern soll man ab 2005 Fehler dafür ankreiden, daß sie viel und gerne aus denselben Büchern gelesen haben wie ihre älteren Geschwister, Eltern, Großeltern?
Stellen Sie sich mal vor, liebe Frau Menges, man hätte unter allen Lehrern und Beamten (um die geht es ja angeblich) vor vielen Jahren eine Umfrage gemacht, welche Reformen oder Verbesserungen sie für notwendig und vordringlich hielten, und dazu die ungefähren Kosten dafür genannt. Glauben Sie wirklich, die Umstellung der Rechtschreibung wäre dabei auch nur annähernd unter die „Top Ten“ gekommen? Mich würde mal interessieren, warum sie nach Ihrer Meinung als Thema trotzdem „ganz oben“ gelandet ist. Und warum nach ihrer Durchsetzung dann dem Spruch „es gibt Wichtigeres“ plötzlich wieder Bedeutung geschenkt werden durfte.
Ich stelle mir manchmal vor, man hätte die neuen Regeln einer ein- bis zweijährigen Testphase unterzogen (beispielsweise von 1996 bis 1998, dem Jahr der eigentlichen Einführung). Als Tester hätten alle Lehrer und Beamten (meinetwegen auch noch der Bundeselternrat!) sie in ihren dienstlichen Zusammmenhängen anwenden, sie danach bewerten, und sich schließlich einer Regelverständniskontrolle stellen müssen. Ich glaube, damit wäre das Thema schnell erledigt gewesen. Lesen Sie mal, was ich in den letzten paar Tagen lesen durfte (alles aus Schreiben von Lehrern allgemeinbildender Schulen):
die sich regelmässig trifft
ausserhalb des Internets
ich weiss nur nix davon
viel Spass beim Musizieren !
Wie heisst Du?
Schliesslich sind die großen Komponisten desshalb so berühmt
Den Musik präsentiert sich immer nach aussen
Wenn die Aufführungen nicht nur nett, sondern mitreissend sind
Nun bin ich im Internet auf das Buch ... gestossen.
was mir aber sehr viel Spass gemacht hat
Herzliche Grüsse
Gruss
Und dabei ist doch – wer sagte es doch noch gleich ? – die Neuregelung bezüglich der ss/ß-Schreibung erstens die bekannteste und zweitens die, welche die klarste und größte Schreibvereinfachung darstellt. Eigentlich seltsam, warum man dann davon nicht mehr Gebrauch macht! Nebenbei bemerkt scheint es so, daß man Diphthongen und Vokallängen (auch in manchen Lehrerkreisen) keine besondere Bedeutung zumißt. Da läge z.B. mal ein Ansatzpunkt für eine Reform des Deutschunterrichts.
Und was den Musikunterricht betrifft, da wird wahrscheinlich auch noch einer Kommission, die sich berufen fühlt (sich berufen läßt oder sich notfalls selbst beruft), bald ein Notationssystem einfallen, das den Schülern endlich mal das Notenlesen und -schreiben erleichtern wird. Auf diese Reform dürfte die ganze Welt gespannt sein, da hätte dann die Zwischenstaatlichkeit ihren Namen aber verdient! Übrigens hat Frau Christa Ludwig zu dem Thema Erstaunliches geschrieben.
Noch Fragen? Ich beantworte sie nach wie vor gerne! So gerne wie ich Antworten von Ihnen bekomme. Und garantiert ohne „Missionierungshintergedanken“.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
(... und selbstverständlich mit den Herren Vorrednern zusammen, daß Sie mal in den Himmel kommen. Am besten mit uns allen zusammen, da hätten wir dann genügend Zeit, um uns den unbeantworteten Fragen zu widmen. Falls es dann noch welche gäbe. Und jeglichem Missionierungsvorhaben wäre die Grundlage entzogen.)
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